Gelsenkirchen. Mit dem neuen Chancen-Aufenthaltsrecht sollen gut integrierte Ausländer sichere Bleibeperspektiven bekommen. Was das für Gelsenkirchen bedeutet.

Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist es ein „Perspektivwechsel in der Einwanderungspolitik“: Mit dem neuen Jahr ist das sogenannte Chancen-Aufenthaltrecht in Kraft getreten. Wer fünf Jahre in Deutschland lebt und nicht straffällig geworden ist, muss erst einmal nicht mehr damit rechnen, abgeschoben zu werden, sondern bekommt für 18 Monate Zeit, sich ein reguläres Bleiberecht zu sichern. Die Stadt Gelsenkirchen geht von rund 750 Personen aus, die diese Voraussetzungen erfüllen und damit potenziell in den nächsten Wochen einen Antrag stellen könnten. Das heißt jedoch bei weitem nicht, dass all diese 750 Personen am Ende auch sicher in Gelsenkirchen bleiben können.

Doch zunächst mehr zu dem Gesetz: Faeser will damit „die bisherige Praxis der Kettenduldungen“ beenden. Eine Duldung sichert einem Ausländer keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland. Er muss das Land eigentlich verlassen, es wird aber aus bestimmten Gründen vorübergehend davon abgesehen, ihn abzuschieben. Solche Gründe können eine schwere Krankheit, fehlende Papiere, aber auch eine begonnene Ausbildung sein. Ausgestellt wird eine Duldung nicht länger als für die Dauer von sechs Monaten. Ausländer ohne positiven Asylbescheid, bei denen Abschiebungshindernisse vorliegen, verbleiben also in einem unsicheren Schwebezustand, hangeln sich von Duldung zur Duldung.

Neues Gesetz: „Die Hoffnung bei vielen Geduldeten ist jetzt sehr groß“

Gut integrierten Ausländern soll das mit Hilfe des neuen Gesetzes nicht mehr zugemutet werden. Wer sich bis zum 31. Oktober 2022 fünf Jahre lang in Deutschland aufgehalten hat und nicht erheblich straffällig geworden ist, hat nun eine Chance, sich ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu sichern. Diejenigen haben dann 18 Monate Zeit, die Voraussetzungen zu erfüllen. Solche Voraussetzungen sind gute Deutschkenntnisse, die Klärung der Identität durch die Vorlage eines Passes oder ein Nachweis über die eigenständige Sicherung eines Lebensunterhaltes.

„Die Hoffnung bei vielen Geduldeten ist jetzt sehr groß“, sagt Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats in Nordrhein-Westfalen. Bei Naujoks selbst hält sich die Euphorie allerdings in Grenzen. „Der große Befreiungsschlag wird das Gesetz nicht sein.“

Birgit Naujoks, Vorsitzende des Flüchtlingsrates NRW, zum neuen Chancen-Aufenthaltsrecht: „Nicht der große Befreiungsschlag“
Birgit Naujoks, Vorsitzende des Flüchtlingsrates NRW, zum neuen Chancen-Aufenthaltsrecht: „Nicht der große Befreiungsschlag“ © Volker Hartmann / FUNKE Foto Services

Denn bei den 750 potenziellen Antragstellern aus Gelsenkirchen geht es lediglich um Menschen, die einen über fünfjährigen Duldungsstatus haben, wie die Stadt betont. Das heißt: Hier müssen noch jene Menschen abgezogen werden, die straffällig geworden sind oder wiederholt ihre Identität getäuscht haben. Naujoks behauptet: „Das wird auch vielen Menschen unterstellt.“ Dass es Unklarheiten mit der Identität eines Ausländers gebe, habe aber oft auch mit Gründen wie unkooperativen Botschaften, fehlender Registrierung im Heimatland oder sogar damit zu tun, dass die ausländischen und für deutsche Behörden ungewohnten Namen der Betroffenen falsch geschrieben werden. „Es liegt da sicher nicht immer bewusste Täuschung vor.“

Schätzung: Nur 105 Ausländer in Gelsenkirchen profitieren am Ende vom neuen Asyl-Gesetz

Zudem wird sicher nicht jeder Antrag am Ende auch zu einem gesicherten Bleiberecht in Deutschland führen. Denn in den 18 Monaten nach der Antragstellung müssen die Ausländer einiges regeln. „Und sie werden keinen Tag länger Zeit haben als die 18 Monate“, sagt Naujoks. Wer bis dahin etwa seinen Job wieder verliere – „und viele sind in prekärer Beschäftigung“ – der könne dann eben nicht mehr die Sicherung seines Lebensunterhaltes nachweisen. Auch dass der Pass nach 18 Monaten vorliegen muss, sei in zahlreichen Fällen kein geringes Hindernis. „Ganz oft wird der Pass von Schleppern weggenommen“, merkt Naujoks an. Und dann sei es schwierig, erneut an Ausweisdokumente zu kommen – etwa aufgrund von Botschaften, die nicht kooperieren wollten oder personell unterbesetzt seien.

Naujoks macht darauf aufmerksam, dass selbst Prognosen der Bundesregierung davon ausgehen, dass aufgrund all dieser Faktoren am Ende nur 14 Prozent aller Geduldeten den Sprung vom Chancen-Aufenthaltsrecht in ein dauerhaftes Bleiberecht schaffen werden. Für Gelsenkirchen würde das bedeuten: Lediglich 105 Geduldete würden am Ende voraussichtlich von dem Gesetz profitieren.

Chancen-Aufenthaltsrecht: Um diese Nationen geht es beim neuen Asyl-Gesetz

Welche Nationen das vor allem sein werden? Das kann man in Gelsenkirchen erst sagen, wenn mehr Anträge eingegangen und bearbeitet sind, wie die Stadt betont. Im noch sehr jungen neuen Jahr sei erst eine Zahl von Anträgen im zweistelligen Bereich eingegangen.

Klar aber ist: Es geht vor allem um Menschen aus Nationen, die beim Asylverfahren meist schlechte Karten haben und sich gerade deswegen von Duldung zu Duldung hangeln. Hoch ist die sogenannte Schutzquote etwa bei Syrern, Afghanen oder Irakern, gering ist sie etwa in Balkan-Ländern wie Kosovo oder Serbien oder in afrikanischen Ländern wie Nigeria oder Gambia. Auf sie zielt das Chancen-Aufenthaltsrecht eher ab. Lesen Sie hierzu: Gelsenkirchen: Das steckt hinter umstrittener Abschiebung nach Nigeria

Die Hoffnung, über das neue, im Bundestag kontrovers diskutierte Gesetz, tatsächlich eine Perspektive in Deutschland zu bekommen, will Birgit Naujoks diesen Menschen nicht nehmen. „Aber klar ist: Es müssen viele Voraussetzungen erfüllt sein.“ Ob das tatsächlich der angekündigte„Perspektivwechsel“ ist?

Zusätzliche Belastung

Für das personell ohnehin stark belastete Ausländeramt Gelsenkirchen bedeuten die Anträge der potenziell 750 Geduldeten, die sich das Chancen-Aufenthaltsrecht sichern könnten, weitere Aufgaben. Laut Stadtsprecher Jan-Peter Totzek sei man jedoch in der Lage, die Anträge „in den Regelstrukturen abzuarbeiten“. Heißt: Es müssen keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden oder Mitarbeitende aus anderen Abteilungen der Stadt abgezogen werden.

Aber Totzek merkt auch an: „Da bisher kein Verfahren beschieden wurde, kann der verfahrensrechtliche Aufwand noch nicht bemessen werden“. Es seien im Vorfeld jedoch verschiedene Verfahrensabläufe simuliert und das Personal geschult worden.