Gelsenkirchen. Der Mini-Orden betreibt an der Hans-Böckler-Allee einen Jugendtreff. Das Besondere: Auch wenn rund 200 Kinder regelmäßig kommen, ist es familiär.
„Hier gefällt’s uns”, sagt Sophie. Mit ihrer Freundin Alissa hockt die Neunjährige auf den Stufen zum Holzhaus an der Hans-Böckler-Allee. Die jungen Damen kommen regelmäßig zum Kinder- und Jugendtreff der Amigonianer. Wie die vielen anderen jungen Menschen, so finden sie hier einen Raum – zum Lernen, zum Spielen, zum Leben.
„Das ist unser Lieblingsplatz”, erzählt Sophie und betätigt sich dann als Fremdenführerin. Gerne, berichtet sie, gehen die beiden auch in die Drachenhöhle. Wo die ist? „Ganz da hinten”, sagt das Mädchen und zeigt hinweg über die große Wiese und zu ein paar Bäumen. „Da spielen wir. Und noch mehr”, erzählt sie geheimnisvoll. Denn was genau die Mädchen da so machen, worüber sie sprechen, das soll unter den besten Freundinnen bleiben. Dafür erzählt Alissa jetzt noch etwas: „Wir spielen gern Vater, Mutter, Kind – und Schule. Manchmal auch Fußball”, so die Neunjährige.
Einige kommen schon zum Mittagessen her
Zu rund zweihundert Kindern haben die Mitarbeiter hier Kontakt. Siebzig kommen sehr regelmäßig. Einige schon recht früh, gleich nach der Schule. Zum gemeinsamen Mittagessen im kleinen Kreis. „Das ist der erste Moment, wo wir mit den Kindern zusammenkommen, wo wir hören, wie es in der Schule war”, sagt Pater Ralf Winterberg. Das Besondere: Der Tisch in der kleinen Küche bietet Platz für bis zu zwölf Menschen. Gegessen wird also wie in einer Großfamilie. So fühle es sich auch an, meint Pater Ralf. Und wenn mehr Kinder zum Essen angemeldet sind? Dann werde in zwei Schichten gegessen.
Im Nebenraum arbeiten einige Mädchen unterschiedlichen Alters miteinander am Tisch. Gemeinsam mit „Bastel-Tine” gestalten sie eigene Laternen für den bevorstehenden Martinsumzug. Die runde Form der Leuchtkörper aus Papier ist vorgegeben, die Persönlichkeit verleihen die Damen ihm nun selbst. Es könnte ein Mäuschen entstehen, ein Dinosaurier oder ein Schaf. Die meisten aber entscheiden sich für das Häschen, schnibbeln und malen an langen Ohren aus Papier herum. „Weil es einfach schön ist”, erklärt Rahaf lächelnd.
Im Hausaufgaben-Raum herrscht konzentrierte Stille
Wieder einen Raum weiter gibt es eine große Überraschung: Es ist der Hausaufgabenraum. Ganz eifrig sitzen hier etliche Kinder mit recht großem Abstand an Tischen und arbeiten an ihren Schulaufgaben – ganz konzentriert und fleißig. Ob das der Vorführeffekt ist? „Nein”, sagt Melanie Schaefer. „Ich finde es heute eher wuselig. Sonst ist es stiller. Die Kinder kommen gerne her.” Und schon muss sie kurz an einen anderen Tisch, einem Mädchen bei den Mathe-Aufgaben helfen.
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Derweil ist ein junger Mann fertig. Er meldet sich bei der Mitarbeiterin ab und hält ein Kärtchen vor, das Melanie Schaefer abzeichnet. Es ist etwas, das nur wenige noch dem Namen nach kennen und wohl keiner aus dem persönlichen Erleben: Ein Fleißkärtchen. „Das haben wir eingeführt als Belohnung. Jeden Tag zeichnen wir die Karte ab. Und wenn sie voll ist, bekommen die Kinder eine Überraschung.”
Das Kärtchen von Hannaa ist fast voll. Sie sitzt gerade über ihren Mathe-Hausaufgaben. Die mache sie sehr gern, erzählt sie. „Bei der letzten Klassenarbeit hatte ich die beste”, sagt sie. Das sei auch, weil sie hier so gut üben könne.
Das christliche Menschenbild bestimmt die Arbeit
Wer seine Aufgaben erledigt hat, geht gerne noch etwas spielen. Das großzügige Außengelände bietet viel Freiraum dafür. Das Besondere: Alle Kinder verbringen hier gemeinsam ihre Zeit. Die Kinder ab sechs Jahren ebenso wie die Jugendlichen bis zur Volljährigkeit. „Aber die Kleinen müssen früher gehen, damit die älteren Jugendlichen noch etwas Zeit für sich haben und sich die Mitarbeiter ihnen ganz widmen können”, erzählt Pater Ralf. Um ihnen besonders gerecht zu werden, gebe es offene Angebote und Gruppenangebote, auch geschlechtergetrennt. Damit die Jugendlichen in der persönlichen Findungsphase auch Schutzräume haben.
Auch an der Hauptschule Grillostraße, von der aus zuletzt ein deutlicher Hilferuf ausging, sind die Amigonianer tätig und unterstützen Kinder und Jugendliche sowie die Schule.
Gegründet wurde der Verein „Amigonianer soziale Werke”, der das Projekt bis heute betreut, einst von den Ordensmännern der Amigonianer. Der christliche Ansatz spiegele sich bis heute im Menschenbild wider, das alle Mitarbeiter verbinde. „Jeder Mensch hat seine Würde und es verdient, gefördert zu werden.” Das übrigens habe sich herumgesprochen im Quartier, habe die Eltern überzeugt, die vielfach eine Migrationsgeschichte haben und meist auch wenig Geld.
Erstmals übernehmen auch Laien Verantwortung
Nun sei es an der Zeit, einen Teil der Verantwortung abzugeben. Indem nicht mehr nur Ordensmänner der Amigonianer wichtige Ämter im Verein übernehmen. Mit Methe Weber-Bonsiepen und Uwe Beyer sind erstmals kirchliche Laien im Vorstand. Nur das, so Pater Ralf, sichere die Zukunft. „Wir Amigonianer werden irgendwann aussterben. Aber diese Einrichtung und ihr pädagogisches Konzept soll weiterleben”.
Draußen nutzen einige Kinder die letzten Minuten im Freien, bevor gleich der Regen kommt. Mit dabei ist Dunia Houssa, die stellvertretende Einrichtungsleitung. Noch einmal kommt das Gespräch auf das bevorstehende St. Martinsfest, das am Freitag, 11. November, ab 17 Uhr hier beginnt und für jeden offen ist. Los geht es dann mit der Martinsgeschichte. Einem christlichen Gleichnis, das für alle Kinder aufbereitet wird. „Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, zu teilen, Mitgefühl zu haben. Es zeigt den Kindern, dass man mit kleinen Gesten viel bewirken kann und dass wir alle ein Teil der Gesellschaft, einer Gemeinschaft sind.”
Eben auch aus jener Motivation heraus, spendete der Rotary Club Gelsenkirchen nun einmal mehr die Einnahmen seines Benefiz-Fußballturniers „Daganfutu“ den Amigonianer in der Feldmark. 15.000 Euro nahm Pater Ralf entgegen. Geld, das für die wertvolle Sozialarbeit im Kiez von großer Bedeutung ist.