Gelsenkirchen. Aktionen von Klimaaktivisten in Museen sorgen in Gelsenkirchens Kunstwelt für Diskussion. Wer Fan der Aktion ist, wer sie „schwachsinnig“ findet.
Tomatensuppe auf die berühmten „Sonnenblumen“ von Vincent van Gogh, Kartoffelbrei auf ein Gemälde von Claude Monet oder ein Kopf, der am legendären „Mädchen mit dem Perlenohrring“ von Jan Vermeer festgeklebt wird: Die jüngsten Aktionen von klimaaktivistischen Gruppen wie „Just Stop Oil“ oder „Die letzte Generation“ sorgen für viel Gesprächsstoff – auch in der Kunstszene Gelsenkirchens. Wird die Kunst verletzt wie ein unschuldiges Kind? Oder trifft die Symbolik der Aktionen genau ins Schwarze? Vier Meinungen, vier Protokolle.
Jutta Kabuth (56), Galeristin und Kunstsachverständige: „Als würde man Kinder verletzen“
„Ich sehe das Anliegen dieser Aktionen, ich selbst habe drei Kinder, die auch eine lebenswerte Zukunft haben sollen. Aber dass man sich an unschuldigen Kunstwerken vergreift, das ist, als würde man kleine, hilflose Kinder verletzen.
Die Kunst hat damit nichts zu tun, was wir der Umwelt antun. Es wird sich an etwas vergriffen, was sich nicht wehren kann und für viele Menschen von großer Bedeutung ist. Dafür habe ich als Kunsthistorikerin, als Galeristin und Kunstsachverständige kein Verständnis.
Mit solchen Aktionen nimmt man in Kauf, dass die Kunstwerke Schaden nehmen. Und eine Restauration ist nicht lapidar. Jeder Eingriff eines Restaurators ist ein Eingriff in die Kunst und beschädigt das Werk, es hat dann nicht mehr seine eigentliche Authentizität und erfährt dadurch eine Wertminderung.“
Leah Gerfelmeyer (26), Medienwissenschaftlerin und Mitglied des Gelsenkirchener „kurz.kollektiv“: „Ich bin ein Fan der Aktionen!“
„Ich bin ein Fan dieses Protests! Medienpolitisch sind die Aktionen sehr schlau, weil sie größtmögliche Aufmerksamkeit schaffen. Überall werde über die Aktionen berichtet.
Ich glaube, dass bewusst Werke ausgewählt wurden, die verglast sind. Die Rahmen haben vielleicht einen Kratzer bekommen, aber die Kunst soll keinen ernsthaften Schaden nehmen. Würde es genauso viel bringen, Fahrzeuge mit Tomatensuppe zu überschütten, wäre das ja schön. Aber das würde die Leute nicht ansatzweise so erreichen und interessieren.
Hinter den – übrigens weiterhin gewaltfreien – Aktionen steckt die Botschaft: Warum wird so viel Geld investiert in die Vergangenheit und warum denkt niemand an die Zukunft? Ich finde diese Symbolik sehr stark und treffend. Aber da ist noch mehr.
Denn: Getroffen wurden bislang die sehr bekannten, kanonisierten Werke, es werden keine Werke von Künstlerinnen und Künstlern angegriffen, die gerade so von ihrer Arbeit leben können. Deswegen lassen sich die Aktionen auch als Kritik an unserem kulturellen Erbe verstehen, das uns in die Klimakatastrophe gebracht hat. Die Werke stehen symbolisch für eine dominante, westliche Kultur, die für die Klimakatastrophe verantwortlich ist.
Außerdem ist die Kunstwelt unglaublich kapitalistisch. Es werden Millionen mit den großen Werken verdient, Kunst ist eine Geldanlage. Kapitalismuskritik und Aufmerksamkeit für das Klima: Das passt zusammen.“
Wolfgang Sternkopf (72), Künstler und Autor: „Diese Respektlosigkeit ist nicht in Ordnung“
„Die Grundidee dieser Aktionen mag berechtigt sein; die Ausführung ist es nicht. Diese Respektlosigkeit gegenüber den Arbeiten ist nicht in Ordnung. Wenn man etwas beschützen will und man das nur erreicht, indem man etwas zerstört, dann passt das nicht zusammen.
Ich nehme den Klimawandel sehr ernst. Das Schmelzen der Gletscher beispielsweise schreitet in einem unglaublichen Tempo voran. Und ich gehöre zu den Alt-68ern, wurde damals auch von Wasserwerfern getroffen. Aber solche Linien haben wir nicht überschritten. Ich bin gegen Gewalt! Mit kriminellen und aggressiven Mitteln vorzugehen, ist nicht der richtige Weg. Wenn man damit etwas schafft, dann nur neue Probleme.
Meine Befürchtung ist, dass es nach solchen Aktionen viele Trittbrettfahrer gibt. Sie könnten als Blaupause dafür dienen, Grenzen zu überschreiten. Dabei entwickelt sich die Gesamtgesellschaft doch dahin, keine Grenzen und Schranken mehr zu beachten. Das sehen wir gerade hier in Gelsenkirchen: Der eine schmeißt 17 Tonnen Müll in den Wald, andere werden auf offener Straße attackiert. Diese Aktionen fügen sich da ein.“
Claudia Tebben (56), Künstlerin: „Diese Aktionen sind zu weit hergeholt“
„Um es deutlich zu sagen: Ich finde diese Aktionen schwachsinnig. Die Kunst und der Klimawandel: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe die Aktion nicht verstanden, für mich gehört es nicht zusammen und ist zu weit hergeholt. Es macht keinen Sinn, die Kunst zu beschädigen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Brücke fehlt.
Zudem: Ich glaube, dass die Aktionen deutlich nach hinten losgehen. Es ist richtig, den Klimaschutz mehr in die Köpfe der Leute zu bringen, aber durch solche Aktionen wird der ganze Protest nur noch negativer gesehen. Es ist eine unüberlegte Aktion, die keine guten Spuren hinterlässt. Es gäbe Millionen andere Möglichkeiten um gehört zu werden.“