Gelsenkirchen-Erle. Rauch quillt aus dem A2-Tunnel, Autos haben sich überschlagen: Die Feuerwehr Gelsenkirchen übt für den Katastrophen-Fall. So lief der Einsatz.
- Spektakulärer Einsatz: Die Feuerwehr hat in Gelsenkirchen für den Ernstfall geübt.
- Der A2-Tunnel in Erle wurde für die Übung komplett eingenebelt
- Welche Probleme es gab, was gut lief und wie die Laiendarsteller die Übung erlebt haben.
Der Rauch, der aus der Tunnelröhre quilt, ist so dermaßen dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sieht, verzweifelte Hilfeschreie sind zu hören. „Hier auf der A2 in Erle hat sich ein Unfall in einem Tunnel ereignet, es sind zwei Autos zusammengestoßen, hier sind Verletzte, die Hilfe brauchen. Kommen Sie schnell, was soll ich machen?“
Dieser Notruf geht am Donnerstagabend um 22 Uhr bei der Leitstelle der Feuerwehr ein. Gut zehn Minuten später tauchen die Scheinwerfer und Blaulichter zweier heranbrausender Löschzüge der Feuerwehr die Dunkelheit vor der 320 Meter langen Röhre in ein gespenstisches Licht. Danach fliegen die Hände, Rettungstrupps tasten sich unter Atemschutz zum Unglücksort vor, Feuerwehrleute löschen die qualmenden Fahrzeuge ab. Auf Tragen werden die drei Verletzten zwischen den Fahrzeugen aus dem Gefahrenbereich und vor den Tunnel gebracht. Dort werden sie medizinisch erstversorgt.
Die Retter haben es mit Brüchen an Armen und Beinen sowie schweren Platz- und Schnittwunden zu tun. Ein Auto hatte sich sogar überschlagen, liegt auf der Beifahrerseite, davor ein scheinbar lebloser Körper. Zwei andere sind eingeklemmt im Auto.
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Einsatzleiter Thorsten Geldermann von der für die Autobahn 2 zuständigen Feuerwehr Herten koordiniert die Rettungsmaßnahmen im abgesperrten Tunnel. Ihm zur Seite steht Joachim Hartl, Teamleiter bei Autobahn Westfalen. Er überwacht das Zusammenspiel der Einsatzkräfte mit der Tunnelleitzentrale der Autobahn in Hamm.
Hightech: LED-Scheinwerfer tauchen Unfallgeschehen in gleißendes Licht, digitale Schilder warnen Autofahrer vor Gefahr, Sensoren geben Alarm an Leitstelle weiter
Hartl nickt zufrieden, die zehn Millionen Euro teure Technik der frisch sanierten Tunnelröhren arbeitet einwandfrei: „Sensoren und Kameras haben angeschlagen, die Zentrale hat das Sperrprogramm aktiviert.“ Heißt: Die Ampeln am Tunneleingang leuchten rot, die digitalen Verkehrszeichen auf den Schilderbrücken weit vor dem Tunnel warnen die Autofahrer vor der drohenden Gefahr. Und Batterien von LED-Strahlern leuchten jeden Zentimeter gleißend hell aus.
Auch Thorsten Geldermann ist angetan von der Routine der Berufsfeuerwehr, die von freiwilligen Einheiten der Löschzüge Herten und Westerholt ebenso tatkräftig unterstützt wird. „Wir haben die Verunglückten schnell herausgeholt und den Brand zügig gelöscht.“ Kritik übt er aber auch: Probleme habe die Öffnung der mobilen Leitplanken bereitet, „das hat zu lange gedauert“, so der Brandamtsrat weiter.
Mobile Leitplanke an Gelsenkirchener Autobahntunnel leistet lange Widerstand, Umweltschmutz blockiert die drehbare Leitplanke, Einsatzkräfte haben zu kämpfen
Die riesigen Bolzen der Planken konnten zwar mit einer Ratsche und viel Muskelschmalz fix gelöst und die Drehachse eingesetzt werden, aber bewegen ließ sich die durch hartnäckigen Umweltschmutz verkrustete und blockierte Planke erst viel später. „Macht aber nichts“, sagt Geldermann, „im Ernstfall wären die Verletzten über die Planke gehoben worden – für uns eine Kleinigkeit.“
Elf Mitarbeiter in der Leitzentrale in Hamm überwachen rund um die Uhr neun Autobahntunnel und 18 solcher Röhren auf Land- und Bundesstraßen. Demnächst übrigens auch den neuen Tunnel am Kreuz A42/A43 in Herne.
Gegen 23 Uhr ist der Feuerwehreinsatz beendet, der Übungseinsatz aber noch nicht. Die Laiendarsteller Lara Gamaschlag, Ines Bartmann und Tobias Grazikowsky auf den Tragen rappeln sich auf, strecken die steifen Glieder. Die Decken haben augenscheinlich nicht sehr warm gehalten. Die drei Laiendarsteller eines sauerländischen Vereins haben bravourös und tapfer die Opfer gemimt. Theaterschminke, Kunstblut und Paste am Körper zeichnen ein verblüffend realistisches Bild ihrer angeblichen Verletzungen.
„Eiskalt war es“, sagt Lara Gamaschlag vor dem Tunnelportal, sie knetet ihre Hände und Finger durch. Feuerwehrmänner befreien währenddessen die verqualmte Röhre mit mehreren Gebläsen vom dichten Rauch. Ihre Jeans ist zerrissen, auf dem Oberschenkel prangt ein modellierter Knochenbruch, auf der Stirn eine Platzwunde, das Handgelenk scheint arg ramponiert zu sein. Obwohl schon Dutzende Male in solch einer Rolle, hat die 23-Jährige jedes Mal wieder „ordentlich Puls“ und ein „mulmiges Gefühl“ im Bauch, wenn die Sirenen losheulen und die Einsatzkräfte sich zu ihr und ihren Mitspielern durchkämpfen.
Alles muss schnell gehen, „von daher weiß man nie wie einen die Retter in der Eile anpacken, wenn sie die Scheibe einschlagen und mich in Sicherheit bringen“, sagt Lara, die bis zu zehn Mal im Jahr für Autobahn Westfalen und die Feuerwehren ehrenamtlich das Opfer spielt.
Alle vier Jahre wird solch ein „Worst-Case-Szenario“ geprobt. Und das aus gutem Grund, wie Thorsten Geldermann und Joachim Hartl erklären: „Das Gelingen solcher Einsätze hängt vom Zusammenspiel aller Beteiligten ab. Wertvolle Zeit spart die neue Technik ein – sie ist bislang noch einzigartig in Westfalen.
Denn: Eine Videodetektion ergänzt seit der Sanierung das Brandmeldesystem. 34 Kameras erfassen unter anderem Stillstand auf der Fahrbahn, Personen im und rund um den Tunnel und senden dann sofort entsprechende Warnsignale an die Leitzentrale. „Diese Technologie kann Leben retten“, sind sich die Experten sicher.
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