Gelsenkirchen. In Gelsenkirchens Synagoge wird der Auschwitz-Überlebenden Bejarano gedacht. Auch Philipp Burger war eingeladen – was für Empörung sorgte.

Esther Bejarano überlebte das Todeslager Auschwitz, war jahrelang eine gefragte Zeitzeugin gegen Antisemitismus und engagierte sich bis zuletzt auf unzähligen Bühnen für Antifaschismus. Am 10. Juli 2021 ist die 96-jährige Holocaust-Überlebende nach kurzer, schwerer Krankheit in ihrer Wahlheimat Hamburg gestorben. In einigen Wochen, am 22. September, soll ihr in Gelsenkirchen gedacht werden. Doch die Gästeliste zu der Veranstaltung hat vorab für hitzige Diskussion gesorgt. Denn ursprünglich sollte Philipp Burger, der Frontmann der umstrittenen Südtiroler Rockband Frei.Wild, teilnehmen. .

Gedenkveranstaltung für Bejarano in Gelsenkirchen: So war sie erst geplant

Die Veranstaltung im jüdischen Gemeindezentrum an der Georgstraße, die nicht von der Gemeinde, sondern von der Bochumer Veranstaltungsagentur Lamalo Consulting organisiert wird, trägt den Titel „„Nie schweigen“, so wie Bejaranos Buch, das sie zusammen mit dem Journalisten und Veranstalter Sascha Hellen veröffentlicht hatte. Esther Münch, bekannt für ihre Bühnenfigur Waltraud Ehlert, der „berühmtesten Reinigungsfachkraft aus dem Ruhrgebiet“, wird aus dem Buch lesen.

Über Themen wie Antisemitismus, rechte Gewalt und den Umgang mit der Erinnerungskultur sollten anschließend auf dem Podium diskutieren: Abraham Lehrer (Vizepräsident der des Zentralrates der Juden), Holger Münch (BKA-Präsident), Ahmad Mansour (Psychologe und Autor) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Antisemitismusbeauftragte in NRW) – aber auch Frei.Wild-Frontmann Philipp Burger.

Frei.Wild-Frontmann Philipp Burger hat rechtsextreme Vergangenheit

Kritiker werfen dem Sänger vor, Nationalismus und antisemitische Versatzstücke in seinen Liedtexten zu verwenden und zeigten sich empört über seine Einladung. Vor allem auf Twitter entzündete sich die Kritik. Dort äußerte sich auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die forderte, Burger wieder auszuladen. Die Vereinigung bezeichnet Burger als einen Menschen, „der nationalistische Phrasen über Identität drischt“. So jemanden auf einer Veranstaltung über den Schrecken der Shoah sprechen zu lassen, sei eine „plumpe Vereinnahmung des Andenkens an Esther Bejarano“ und eine „Normalisierung rassistischer, faschistischer und völkischer Positionen“.

Kein Auftritt beim Metal-Festival „Wacken“

Wie umstritten Freiwild ist, zeigt sich etwa daran, dass die Band seit 2012 nicht mehr beim Metal-Festival „Wacken Open Air“ auftreten darf. Zwischen 2009 und 2011 bot das kultige Metal-Festival Freiwild drei Jahre am Stück eine große Bühne. Doch mit dem wachsenden Erfolg der Band wurden auch die Debatten um ihre politische Ausrichtung immer lauter.

Philipp Burger quittierte die neuerliche Absage für das Festival in diesem Jahr auf seine Weise. „Ihr malt euch Freiheit, Offenheit und Toleranz auf eure Fahnen, verkauft euren Fans Rock‘n‘Roll- und Metal-Spirit und auch die pure Lust am wilden Leben und an jugendlicher Rebellion, seid aber so schwach, angepasst und establishmenttreu.“

Tatsächlich hat der Südtiroler eine rechtsextreme Vergangenheit, wie er 2012 in einem Youtube-Video einräumte. In seiner Jugend habe er drei Jahre nicht so gelebt, „wie man hätte leben sollen“, sagt Philipp Burger darin. In seiner Jugend spielte er in der Skinhead-Band Kaiserjäger. Auch engagierte er sich in der Partei „Die Freiheitlichen“, einer Art Südtiroler Schwesterpartei der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Doch in dem Video distanziert sich Burger – auch im Namen der Band – von Rechtsextremismus, fordert eine zweite Chance für alle, die sich geändert hätten und sagt zugleich, dass Neonazis auf Frei.Wild-Konzerten nicht erwünscht seien.

Kritik an Einladung von Frei.Wild-Frontmann: Veranstalter beugt sich öffentlichem Druck

Um diese Rolle des „Aussteigers“ auf dem Podium zu übernehmen, war Burger nun anscheinend auch zur Veranstaltung in Gelsenkirchen eingeladen worden – auf Nachfrage wollte sich die Agentur Lamalo aber nicht öffentlich dazu äußern, welchen Gedanken sie bei der Einladung Burgers verfolgte. Wohl aber beugte sich die Agentur am Freitagvormittag dem öffentlichen Druck und erklärte, den Frei.Wild-Sänger nun doch nicht in der Neuen Synagoge sprechen lassen zu wollen.

„Nach reiflicher Überlegung und mit Blick auf die öffentliche Kritik, haben wir uns entschlossen, auf die Teilnahme von Philipp Burger an der Diskussion im Nachgang zur Lesung ,Nie schweigen’ in Gelsenkirchen zu verzichten“, teilten die Bochumer mit.

Philipp Burgers Management wurde am Freitag für ein Statement zu seiner Ausladung angefragt. Eine Antwort liegt bislang noch nicht vor.

Tickets für die Lesung „Nie schweigen“ (22 Euro) am 22. September um 19 Uhr in der jüdischen Gemeinde an der Georgstraße 2 gibt es unter anderem online auf eventbrite.de