Gelsenkirchen. Über Bagatell-Notrufe ärgert sich auch die Gelsenkirchener Zahnärzteschaft. Die Quote ist nach Sprecher-Angaben extrem hoch: 80 Prozent.

Über eine besonders ausgeprägte „Vollkaskomentalität und Bequemlichkeit“ aufseiten der Patientinnen und Patienten beschwert sich nun auch die Gelsenkirchener Zahnärzteschaft. Bei der Feuerwehr entpuppen sich aktuell 20 Prozent der Einsätze als unnötige Notrufe aufgrund eher harmloserer Gesundheitsbeschwerden. „Bei uns ist die Quote solcher Bagetell-Notrufe mit 80 Prozent sogar viermal so hoch“, sagt Dr. Dagwin Lauer, Pressesprecher der Zahnärzteschaft in Gelsenkirchen.

Gelsenkirchener Zahnarzt-Sprecher zu Bagatell-Notrufen: „Wir fühlen uns ausgenutzt“

Der Gelsenkirchener Zahnarzt Dr. Dagwin Lauer, hier bei einer früheren Demonstration zur richtigen Zahnpflege. Der Zahnmediziner hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen festgestellt, dass ein Großteil der Notrufe völlig unnötig sei.
Der Gelsenkirchener Zahnarzt Dr. Dagwin Lauer, hier bei einer früheren Demonstration zur richtigen Zahnpflege. Der Zahnmediziner hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen festgestellt, dass ein Großteil der Notrufe völlig unnötig sei. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

„Wir fühlen uns zunehmend ausgenutzt“, sagt der Gelsenkirchener Zahnarzt Dagwin Lauer, der für rund 130 Kolleginnen und Kollegen in der Emscherstadt spricht. Ausgenutzt, weil viele Menschen, „die Wartezeit bei einem niedergelassenen Arzt scheuen, bei dem die meisten der angeblichen Notfälle eigentlich besser aufgehoben wären“, so Lauer weiter.

Stattdessen werde der zahnärztliche Bereitschafts- oder Notdienst bemüht für einen Zahn, der schon „seit Wochen vor sich hin fault und oder Schmerzen bereitet“. Allzu gern an einem Grill-Wochenende, das ein Gewitter vorzeitig unterbricht oderunter der Woche am späten Abend nach Praxis-Schluss.

Gelsenkirchener Zahnarzt: Großteil der Bagatell-Notrufe von zugewanderten Menschen

„Diese Art der Vollkaskomentalität zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten, wir stellen aber fest, dass der Großteil dieser Bagatell-Notrufe von zugewanderten Menschen kommt, die aus Bequemlichkeit auf unsere Dienste außer der Reihe zugreifen“, sagt der Sprecher.

20 Jahre ist Lauer nun schon Zahnarzt, etwa fünf Mal pro Jahr übernimmt er einen solchen Notdienst, die Zahl der echten Notfälle kann er „aber selbst nach so langer Zeit an einer Hand abzählen“. Bereitschaft heißt, von 18 Uhr bis 8 Uhr zur Verfügung zu stehen, im Notdienst sind es 24 Stunden (von acht bis acht Uhr).

Lauer betont, dass er und seine Zahnarzthelferinnen den Weg zur Praxis jederzeit gerne auf sich nähmen, wenn es sich um echte Notfälle handele. Vorgebliche Notfälle aber, bei denen erst noch acht Stunden Arbeit oder sonstige Verpflichtungen akuter waren als die Verletzung, bis man mitten in der Nacht auf der Matte stehe, stoßen bei ihm allerdings „auf wenig Verständnis“, so etwas sei einfach nur ärgerlich.

Gelsenkirchener Zahnärzte: 2288 unnötige Bagatell-Notrufe im Jahr, sechs pro Tag

Um die Dimensionen von Bagetell-Anrufen bei der Zahnärzteschaft in Gelsenkirchen einzuordnen, ist ein Blick auf die Zahlen angebracht. An Wochenenden laufen dem Sprecher zufolge im Schnitt 15 Notrufe pro Tag auf, unter der Woche sind es derer fünf pro Tag. Macht zusammen im Jahr 2860 Notrufe im Jahr, von denen 2288 als unnötig eingestuft werden müssten – also sechs pro Tag im Schnitt. Feiertage und lange Wochenende nicht mit eingerechnet. Aktuelle Zahlen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe standen noch nicht zur Verfügung.

46.150 Einsätze sind 2021 bei der Feuerwehr Gelsenkirchen zu Buche geschlagen. Bei einer Quote von 20 Prozent, macht das 9230 Bagatell-Notrufe, pro Tag also rund 25 Alarmierungen wegen eher harmloserer Wehwehchen, aktuell sind es sogar 30, weil sich das Einsatzaufkommen überaus deutlich erhöht hat. Kein Wunder, dass das für die Retter eine härtere Zerreißprobe darstellt.

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Da war zum Beispiel ein Patient im Rollstuhl, der unentwegt Blutungen hatte, nachdem ihm mehrere Zähne gezogen worden waren – „nach der Erstversorgung in meiner Praxis mussten Kieferchirurgen in Essen das Wund-Problem operativ beheben“ erinnert sich Lauer. Oder die Patienten, die nach dem Zähneziehen Antibiotika einnehmen sollte und plötzlich dadurch taube Hände und Füße hatte – „also Anzeichen eines anaphylaktischen Schocks“ – das bedeutet Lebensgefahr. Sie kam direkt in ein Krankenhaus, mit Cortison wurde das Risiko des Ausfalls mehrerer Organsysteme rechtzeitig verhindert.

„Aber ansonsten – Fehlanzeige – nichts, was bei einem normalen Behandlungstermin bei einem Zahnarzt nicht behandelt werden könnte“, sagt der Zahnärztesprecher. Und, das ist bereits jetzt absehbar, der Stress für die Zahnärzte im Notdienst wird Lauer zufolge zunehmen. Statt nur Gelsenkirchen als Einsatzgebiet abdecken zu müssen, kommen den Planungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe nach „künftig Gladbeck und Bottrop noch dazu“.