Gelsenkirchen. Kräfte-Minus statt Stellenplus: Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt mehr Stellen für die Polizei zu. Das droht in Gelsenkirchen zu scheitern.

  • 250 neue Beamtinnen und Beamte soll die Polizei in NRW zum 1. September hinzu bekommen.
  • Mit mageren 1,82 Planstellen mehr geht Gelsenkirchen dabei allerdings so gut wie leer aus.
  • Und: Pensionierungen, Ausbildung und Prüfungsfehlschläge könnten hier sogar ein Minus bewirken.

Das von Innenminister Herbert Reul (CDU) überschwänglich verkündete „deutliche Personalplus“ bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen zum 1. September dieses Jahres trifft beim Gelsenkirchener Präsidium und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf unterschiedliche Resonanz. Anerkennend wird zwar die Ankündigung registriert, dass landesweit voraussichtlich 250 zusätzliche Planstellen für den Beamtenbereich geschaffen werden und zum ersten Mal „jede der 47 Kreispolizeibehörden mehr Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte bekommt“ – doch zur Wahrheit gehört auch: In Gelsenkirchen kommt davon (fast) nichts an.

Polizeibeamte in Gelsenkirchen: Stellenplus in 2022 von 1,82 fällt mager aus

Laut eines Entwurfs kann sich Münster zum Beispiel in 2022 über 15,5 Stellen mehr freuen. Demgegenüber wirft die sogenannte „Belastungsbezogene Kräfteverteilung“ (BKV) für Gelsenkirchen magere 1,82 aus. Schon auf dem Papier ist das eine verschwindend kleine Größe, die von der Realität umso schneller eingeholt und zunichtegemacht werden kann.

Jörg Klink, Vorsitzender der Kreisgruppe Gelsenkirchen der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Klink sieht noch keine spürbare Entlastung der hiesigen Polizei durch die neue Stellenplanung des NRW-Innenministeriums.
Jörg Klink, Vorsitzender der Kreisgruppe Gelsenkirchen der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Klink sieht noch keine spürbare Entlastung der hiesigen Polizei durch die neue Stellenplanung des NRW-Innenministeriums. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

„Beispielsweise durch die jetzt bevorstehende Pensionierung der besonders geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre“, wie der Gelsenkirchener GdP-Sprecher Jörg Klink dazu erklärt. Das ist die Generation von Beamtinnen und Beamten, die zur Hochzeit der Rote Armee Fraktion (RAF) für Sicherheit gesorgt hat. Die linksextremistische Vereinigung wurde 1968 gegründet und verübte bis in die 1990er-Jahre in Deutschland zahlreiche Attentate, bei denen 35 Menschen ermordet wurden.

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Auch in den Nachbarstädten Gelsenkirchens sieht es nicht wesentlich besser aus bei Beamtenzuwachs. Essen, wie Gelsenkirchen eine Clan-Hochburg, bekommt gerade einmal 1,66 Beamtenstellen mehr, in Dortmund sind es 2,42 und in Bochum immerhin 6,09. Deutlicher fällt der Zuwachs aus, wenn man die sonstigen Mitarbeitenden hinzurechnet: Dann bekommt Essen nach Angaben des Innenministeriums insgesamt 24,25 Stellen obendrauf, Gelsenkirchen 11,06, Bochum 25,78 und Dortmund 25,09.

Gewerkschafter: Präsenz der Polizei in Gelsenkirchen noch eher geschmälert als gestärkt

Weiteres Schrumpfpotenzial besteht laut GdP zudem in der Zahl der Kommissaranwärterinnen und -anwärter, die ihre Prüfung nicht bestehen oder vorher hinwerfen, wie es jeder Fünfte schon getan hat. Die Abbrecherquote lag zuletzt bei 20 Prozent.

„Vor diesem Hintergrund kann von einer spürbaren Entlastung noch nicht die Rede sein“, sagt Gewerkschafter Jörg Klink. Zumal die Neuankömmlinge „vor Ort weitere Ausbildungen durchlaufen, bei denen sie erfahrene Beamte begleiten“. Etwa bei der ersten Unfallaufnahme als Streifenwagenbesatzung. Somit würden Kräfte gebunden und fehlten an anderer Stelle. Das passiert auch, wenn Behörden auf Weisung des Ministeriums Kräfte für besondere Aufbauorganisationen – sprich Schwerpunktermittlungen – zusammenziehen müssten, etwa zur Bekämpfung von Kinderpornografie oder Clan-Kriminalität. Lesen Sie dazu auch: [Gelsenkirchen verzeichnet neuen Tiefstand bei Straftaten

Klinks Fazit lautet deshalb: „Die Präsenz der Polizei auf den Straßen wird trotz des landesweiten Zuwachses eher geschmälert anstatt gestärkt.“ Dadurch schwinde das Sicherheitsgefühl der Menschen, das besonders von der Sichtbarkeit der Polizei im öffentlichen Raum abhänge, eher als dass es wachse. „Regierungsangestellte sind eben kein Eins-zu-Eins-Ersatz für Beamte im Wach- und Wechseldienst, bei der Kripo oder im Verkehrsdienst.“

Planung: 2022 sollen in Gelsenkirchen 709 Polizeikräfte im Dienst sein

Der Gelsenkirchener Polizeisprecher Matthias Büscher, hier bei einem Termin mit der jüngst zur Stadt Düsseldorf gewechselten ehemaligen Polizeipräsidentin Britta Zur.
Der Gelsenkirchener Polizeisprecher Matthias Büscher, hier bei einem Termin mit der jüngst zur Stadt Düsseldorf gewechselten ehemaligen Polizeipräsidentin Britta Zur. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Bei der Polizeibehörde Gelsenkirchen fällt die offizielle Beurteilung des Stellenplus positiver aus. „Wir freuen uns über mehr Personal, über noch mehr Beamte hätten wir uns natürlich noch mehr gefreut“, sagte Sprecher Matthias Büscher. Die Behörde komme mit dem Personal aus und werde weiterhin für Sicherheit und Ordnung in Gelsenkirchen sorgen.

Gelsenkirchen soll nach den Planungen des Innenministeriums am 1. September über insgesamt 709 Beamte verfügen. 2020 waren es 702. Die unterschiedliche Verteilung der neuen Kräfte hängt von vielen Faktoren ab – das Kriminalitätsaufkommen und die Größe der jeweiligen Stadt sind maßgebliche Einflussgrößen. Das vergleichsweise große Plus an Beamten in Münster und Bochum hängt damit zusammen, dass die Behörden nicht nur für ihre Stadt zuständig sind, sondern auch für Nachbarkommunen. Im Fall von Bochum ist es die Stadt Herne, bei Münster ist es Steinfurt.