Gelsenkirchen. Zu hohe Abwassergebühren sind laut OVG-Urteil rechtswidrig. Bekommen Gelsenkirchener Immobilienbesitzer bald Geld zurück? Wie die Stadt vorgeht.

Nachdem das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster zu dem Urteil kam, dass bei den Abwassergebühren über Jahre zu viel Geld eingezogen wurde, hoffen nun Tausende Immobilieneigentümer darauf, dass sie eine Rückerstattung erhalten. Auch in Gelsenkirchen, wo Anfang des Jahres rund 70.000 entsprechender Bescheide verschickt wurden.

Einzelrückzahlungen überschaubar in der Höhe, in der Summe sind es für Städte Millionenbeträge

Das Urteil hat nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes viele Kommunen regelrecht aufgeschreckt. Von „Anspannung“ ist die Rede. Verständlich. Denn mag die mögliche Rückzahlung für den einzelnen Immobilienbesitzer auch recht überschaubar sein, in der Summe sind es doch Millionenbeträge.

Im Falle des Klägers aus Oer-Erkenschwick waren die Gebühren nach Feststellung des Gerichtes insgesamt um rund 18 Prozent überhöht. Immerhin - bei 599 Euro Gebühren, die der Kläger bezahlen musste, wären das 120 Euro zu viel gezahlt. Dem Steuerzahlerbund zufolge beliefen sich die Mehreinnahmen für die Stadt im Vest durch die Falschberechnung der Abwassergebühren auf knapp eine Million Euro insgesamt.

Ein ähnliches Szenario wäre auch für Gelsenkirchen denkbar – bei einer angenommenen Rückzahlung von 50 Euro im Durchschnitt käme ein Posten von stattlichen 3,5 Millionen auf die ohnehin klamme Haushaltskasse der Emscherstadt zu.

Zu hohe Abwassergebühren: Gelsenkirchen trifft noch keine Maßnahmen zur Neuberechnung

Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen.
Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Hektik kommt bei der Gelsenkirchener Verwaltung ob des Urteils, das jetzt als Muster-Verfahren gilt, aber nicht auf. Nach Angaben von Pressesprecher Martin Schulmann „trifft die Stadt noch keine Vorbereitungen für eine Neuberechnung oder Rückzahlung.“ Begründet wird diese Haltung damit, dass man zunächst die Urteilsbegründung abwarten wolle. Und dass kann „mehrere Monate dauern“. Noch länger zöge es sich hin bis zu einer endgültigen Entscheidung, wenn Oer-Erkenschwick tatsächlich Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Urteil einlegte. Das aber ist noch offen.

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Die Stadt Gelsenkirchen setzt große Hoffnungen darauf, dass ihre Berechnung der Abwassergebühren gesetzeskonform gewesen ist und sie keinen Kalkulationsfehler gemacht hat. Dreh- und Angelpunkt dabei ist der verwendete kalkulatorische Zinssatz.

Das OVG kam zu dem Schluss, dass die Kommunen bei der Kalkulation ihrer Abwassergebühren nur die Zinsen der letzten zehn Jahre zugrunde legen dürfen. Bei der Abschreibung vom Wiederbeschaffungszeitwert müssten außerdem die realen Zinsen berücksichtigt werden. Während Oer-Erkenschwick bisher einen Zinssatz von 6,52 Prozent zugrunde legte, dürfte der laut OVG derzeit nur bei 2,42 Prozent liegen.

Der Gelsenkirchener Rechtsanwalt Arndt Kemgens.
Der Gelsenkirchener Rechtsanwalt Arndt Kemgens. © FFS | Nikos Kimerlis

Gelsenkirchener Anwalt rät: Widerspruch einlegen und Neuberechnung beantragen

Gelsenkirchen hat bei der Berechnung der Gebühren für festes und bewegliches Vermögen Zinssätze von 5,74 und 2,75 Prozent festgesetzt, liegt damit unter dem Wert, den das OVG für Oer-Erkenschwick als rechtswidrig eingestuft hat. Weil aus dem Urteil nicht hervorgeht, welche Prozentsätze für die einzelnen Vermögensarten angesetzt worden sind, erhofft sich die Verwaltung durch die ausführliche Urteilsbegründung Aufschluss darüber, ob sie mit ihrer „Kalkulation richtig oder daneben gelegen hat“. Erst dann könne man reagieren.

Neuwert geltend gemacht

Die Abwassergebühren setzen sich aus einer Reihe verschiedener Faktoren zusammen – neben den Betriebskosten unter anderem noch aus dem „Abschreibungswert“ und den aktuellen Zinsen. Die beklagte Stadt Oer-Erkenschwick hatte bei der Abschreibung der Entwässerungsanlagen immer den Neuwert geltend gemacht. Und sie hatte zu hohe Zinsen zugrunde gelegt.

Bislang war diese Rechnung in Kommunen üblich und entsprach dem Kommunalabgabengesetz. Durch das OVG-Urteil aber könnte dieser Gesetzespassus kippen, eine Änderung der Landesgesetze könnte die Folge sein.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Stadt Beschwerde einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Der Gelsenkirchener Rechtsanwalt Arndt Kempgens empfiehlt Immobilienbesitzern, „der Stadt die Gelegenheit zu geben, zu prüfen, ob die Bemessungsgrundlage der Verwaltung neu zu bewerten ist“. Gleichwohl rät er Eigentümern, die sich an das Urteil anhängen wollen, schon jetzt auf Basis der noch zu erwartenden Vorgaben des Oberverwaltungsgerichtes Münster aus der schriftlichen Urteilsbegründung eine Neuberechnung der Abwassergebühren zu beantragen und vorsorglich gegen die Bescheide, die bereits bestandskräftig sind, Widerspruch einzulegen. Begründung: „Sowohl Bürger als auch Stadt müssen sich verwaltungs- und rechtmäßig korrekt verhalten“, so Kempgens.
Aktenzeichen: 9A1019/20 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen 13K4705/17)