Gelsenkirchen. Hartz IV: Die Kundenzahl ist riesig - 2021 wurden 22.940 Bedarfsgemeinschaften vom Jobcenter Gelsenkirchen betreut. So geht das IAG die Arbeit an

22.940 Bedarfsgemeinschaften wurden Ende 2021 vom IAG, dem Integrationscenter für Arbeit Gelsenkirchen, gezählt. Regelleistungen, also Hartz IV, bezogen 49.434 Personen, somit nahezu jede(r) fünfte Gelsenkirchener(in) und mehr als jeder fünfte Haushalt. Bei rund 270.000 Einwohnern sei der Anteil „ziemlich hoch“, räumt Anke Schürmann-Rupp, die Geschäftsführerin des Jobcenters ein. Doch wie so oft kommt es auf die Betrachtung an.

Blick zurück: Im März 2018 zählte das IAG noch 24.687 Bedarfsgemeinschaften und deutlich über 52.000 Empfänger. Seither geht die Kurve kontinuierlich bergab. Im Vergleich durchaus eine gute Bilanz.

33.779 erwerbsfähige Leistungsberechtigte wurden 2021 gezählt. Für 6460 Kunden des IAG ist vergangenes Jahr die Integration in Arbeit gelungen. Bis einschließlich Februar 2022 waren es weitere 642. Sprich: Sie haben nach Jahren der Langzeitarbeitslosigkeit auf einem von der Corona-Pandemie geprägten Stellen-Markt wieder einen Job gefunden.

Gezielte Stadtteilarbeit vor Ort in Gelsenkirchen

7926 Personen wurden 2021 zudem in arbeitsmarktpolitische Angebote vermittelt: Sie befinden sich in Qualifizierung oder Weiterbildung, in diversen Projekten, auf dem sozialen Arbeitsmarkt. Aktuell werden hier 750 Personen gefördert, 1200 sind es seit 2019. Ihre Arbeitsplätze finden sie zu 60 Prozent bei der Stadt und zu 40 Prozent in der freien Wirtschaft, gerne in den Bereichen Erziehung und Hauswirtschaft, Verkehr, Logistik oder auch Gartenbau. Lesen Sie auch: Sauber: Gelsenkirchener Gafög-Team putzt für 700 GGW-Mieter

Sprachbarrieren, Schulden, Sucht- und gesundheitliche Probleme

„Etwa 36 Prozent sind hier sechs Monate nach Austritt aus der Förderung noch in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“, rechnet die IAG-Chefin. „Ich finde, das ist ein guter Wert bei der Kundenstruktur.“ Vielfach erschweren sogenannte Vermittlungshemmnisse die Erfolgschancen von Langzeitarbeitslosen: Das sind oft Schulden, Suchtprobleme, gesundheitliche Probleme, Sprachbarrieren, fehlende Abschlüsse, aber auch Probleme bei der Kinderbetreuung.

IAG-Geschäftsführerin Anke Schürmann-Rupp (r.) mit Sozialdezernentin Andrea Henze und Arbeitsagentur-Chef Frank Thiemann beim Pressegespräch über die Jobcenter-Bilanz für das vergangene Jahr.
IAG-Geschäftsführerin Anke Schürmann-Rupp (r.) mit Sozialdezernentin Andrea Henze und Arbeitsagentur-Chef Frank Thiemann beim Pressegespräch über die Jobcenter-Bilanz für das vergangene Jahr. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Entsprechend verfolgt das IAG eher ganzheitliche Lösungsansätze und setzt auf Nähe bei der Begleitung, auf Coaching. Credo: Kommen die Kunden nicht zu uns, gehen wir zu ihnen. Schürmann-Rupp: „Wir haben versucht, unsere Strukturen der Kundschaft anzupassen. Wir haben viele Angebote mit aufsuchendem Ansatz.“ Nähe sei dabei wichtig, auch die niederschwellige, stadtteilbezogene Präsenz vor Ort – zuletzt wurde sie weiter ausgebaut durch das neue und mit vier IAG-Mitarbeitern besetzte Quartiersbüro in Rotthausen.

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Doch es bleibt auch stets das Dilemma: Vermittlung ist das Ziel, doch Monat für Monat rückt neue Kundschaft nach. Und die Zahlen bleiben in Gelsenkirchen, der ärmsten Stadt im Land, insgesamt hoch. Bundesweit hat Gelsenkirchen die zweitniedrigste Beschäftigungsrate von Frauen (45,8 Prozent), die höchste SGB-II-Quote und mit 15.450 Personen Ende 2021 die höchste Quote an nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. „Ich sehe das ein Stück weit als Herausforderung. Das ist ein Langstreckenlauf“, macht die Geschäftsführerin deutlich, dass sie die Situation mit ihrer Mannschaft engagiert sportlich angeht.

635 Mitarbeiter an sieben Standorten im Stadtgebiet

Seit anderthalb Jahren leitet Schürmann-Rupp mit André Vomschloß das Jobcenter. Mit 635 Mitarbeitenden an sieben Standorten – davon zwei in Buer – ist es nicht allein wegen des Hauptsitzes im 14-stöckigen Hochhaus an der Ahstraße eines der größten in NRW, und eines der innovativsten. Weiteres Thema:Dirk Sußmann sagt dem Jobcenter Gelsenkirchen ade

Seit 2019 ist das IAG eines von bundesweit 45 Jobcentern, das als sogenannte„LZA-Schwerpunktregion“ Menschen durch neue Ansätze unterstützt. Dafür arbeitet es rechtskreisübergreifend mit der Agentur für Arbeit und dem Referat Gesundheit und Soziales zusammen. Ferner setzt es vom Land geförderte Projekte – aktuell sind es vier – für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt um.

Die Jobpoints haben „immer aktuell“ an die 1000 offenen Stellen

Auch die Initiative für den sozialen Arbeitsmarkt ging von Gelsenkirchen aus. Mit dem Gelsenkirchener Appell und langem Atem wurde der Anstoß gegeben – auf kommunaler Ebene, schließlich auf Bundesebene. Es ist ein Beispiel für Innovation. Weitere sind längst etabliert: Die Bildungsberatung für Weiterbildung mit derzeit über 900 Angeboten in der B-Box des IAG, die Jobpoints mit – „immer aktuell“ an die 1000 offenen Stellen oder Abteilungen, die sich gezielt um eine besondere Klientel kümmern. Mit so vielen „zielgruppenspezifischen Teams stechen wir schon heraus“, glaubt Schürmann-Rupp.

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„Was ich in Gelsenkirchen herausragend finde, ist der Quartiersansatz“, betont die Gelsenkirchener Sozialdezernentin Andrea Henze. „Das kenne ich von anderen Jobcentern weniger.“ Dass Stadt, IAG und Arbeitsagentur so nahe zusammen rücken, ist auch für Agenturchef Frank Thiemann besonders: „Wir arbeiten Hand in Hand und als Institutionen mit gemeinsamem Blick.“ Schürmann-Rupp ist überzeugt: „Wenn wir uns beispielsweise immer die gesamte Bedarfsgemeinschaft angucken, werden wir auch den Familien gerechter.“

Der Jobcenter-Ausbau läuft digital und analog

Digital will sich das Jobcenter IAG noch breiter aufstellen: So wurde die B-Box bereits während der Pandemie virtuell „hochgefahren“, die Möglichkeit der Videoberatung soll es als ergänzendes Angebot dauerhaft geben. Eine Digitalisierungsgruppe arbeitet aktuell an einer Jobcenter-App für Gelsenkirchen.

Ganz analog ist der Umbau im Erdgeschoss des Hochhauses an der Ahstraße: Dort wird die Eingangszone komplett und einladender umgebaut. „Wir wollen noch mal offener und transparenter sein“, so die Jobcenter-Chefin.