Gelsenkirchen-Buer. Was Stadträtin Heselhaus von einem neuen Jugendzentrum in Gelsenkirchen-Buer hält. Und wie Teilnehmer einer Diskussion mit ihr Klartext redeten.
Randale im Goldbergpark, Ruhestörung am Michaelshaus, Pöbeleien auf der Hochstraße: Die Empörung war groß, als die WAZ im Sommer 2021 über das Verhalten einzelner Gruppen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen berichtete. Stimmen aus Politik und Bürgerschaft überschlugen sich mit Forderungen und Vorschlägen. Und heute? Ist „Buer-Mitte – ein Ort für Jugendliche?“ Dieser Frage widmete sich jetzt das Buersche Forum der SPD Buer-Mitte I in einer Online-Diskussion – mit überraschenden Neuigkeiten.
Dass das Ausmaß an Ruhestörungen und Pöbeleien groß war, gestand Anne Heselhaus als Stadträtin mit dem Verantwortungsbereich Jugend unumwunden ein. „Wir verzeichneten bis zum Oktober letzten Jahres tatsächlich sehr viele Beschwerden in Buer. Der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) hat etwa 500 Kontrollen vorgenommen, zum Teil waren auch Einsätze der Polizei-Hundertschaft nötig.“
Gelsenkirchener Stadträtin mahnt zu einem differenzierten Blick auf „die Jugendlichen“
Es habe sich aber nicht immer um dieselbe Gruppe Jugendlicher gehandelt, mahnte sie zu einem „differenzierten Blick“: Am teils überdachten Michaelshaus hätten sich der Witterung wegen Schülerinnen und Schüler der „Club- und Partyszene“ getroffen, auch Ultras seien nach Schalke-Spielen in dem Bereich unterwegs gewesen.
Den angrenzenden Park hätten wiederum Angehörige der Drogenszene sowie Alkoholisierte genutzt, wohingegen es im Goldbergpark Jugendliche gewesen seien, die angesichts der Coronabeschränkungen ihren „erheblichen Freiheitsdrang ausgelebt“ hätten. Für Ansprachen des KOD seien sie aber durchaus zugänglich gewesen.
Sozialarbeiterin: Nötig sind mobile Angebote und Streetworker in Gelsenkirchen-Buer
So unterschiedlich die Gruppen, so unterschiedlich seien auch die städtischen Angebote: Sozialarbeiterin Anna Töns betonte, dass Jüngere besonders von mobilen Angeboten zur Freizeitgestaltung profitierten, während für Ältere auch Streetworker-Einsätze hilfreich sein könnten.
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Dem konnte Christin Siebel als Vorsitzende der Falken nur beipflichten: „Streetworker als verlässliche Anlaufstellen können individuell Hilfestellung leisten. Ihnen sagen die Jugendlichen womöglich eher, was sie sich wünschen, und gehen dann nicht sofort in einen Konflikt.“ Besonders in der Coronakrise sei die Sehnsucht danach, sich ohne Aufsichtspersonen auszuprobieren, groß.
An einem neuen Jugendzentrum in Gelsenkirchen-Buer scheiden sich die Geister
Ob die Etablierung eines neuen Jugendzentrums in Buer-Mitte die Situation entscheidend entschärfen könnte, darin gingen die Meinungen auseinander: Während Stadträtin Heselhaus das jetzige Angebot für „bedarfsdeckend und vielfältig angelegt“ hielt – worin ihr auch Falken-Chefin Siebel zustimmte – attestierte ihr etwa Zuhörer Klemens Wittebur, früher SPD-Bezirksverordneter in Nord: „Ihre Wahrnehmung ist da schlicht und einfach falsch!“
Das Paul-Loebe-Haus der Falken an der Düppelstraße sei nicht zentral genug, das „Manus“ der Manuel-Neuer-Kids-Foundation an der Urbanusstraße konzentriere sich (zu) sehr auf Nachhilfe für Grundschüler, und die „Apotheke“ der Trinitatis-Kirchengemeinde leiste Jugendverbandsarbeit und keine Arbeit der offenen Tür. Kurz: „In Buer gibt’s keine offenen Angebote und kein Personal, das diese mit Jugendlichen gemeinsam entwickeln kann.“
Stadt Gelsenkirchen entwickelt neues Maßnahmenpaket für Jugendarbeit
Ähnlich sahen das auch andere Konferenzteilnehmer. „Wenn es so viele Jugend-Angebote in Buer gäbe wie Altenheime, wäre das toll“, meinte etwa Dietmar Schäfers, der wie einige andere, alten „Pappschachtel“-Zeiten hinterher trauerte. Er empfahl das 1977 eröffnete und 1982 abgebrannte offene „Kommunikationszentrum“ an der De-la-Chevallerie-Straße als Vorbild auch noch für heutige Jugendarbeit.
Handlungsbedarf räumte auch Heselhaus ein. Sie verwies auf Gespräche der Stadt mit verschiedenen Trägern, in denen ein Maßnahmenpaket entwickelt werden solle, das dann variabel in verschiedenen Stadtteilen angewendet werden könnte. Um ein neues Jugendzentrum gehe es ausdrücklich nicht, betonte sie. „Wir müssen mit den jungen Leuten sprechen, was sie wollen und brauchen, um nicht an ihrem Bedarf vorbeizuplanen“, stellte sie mehrfach klar.
Gelsenkirchener regen Beteiligung Jugendlicher an – und klagen über Aggressionen
Wie sie später auf WAZ-Nachfrage konkretisierte, will sie in Abstimmung mit den Ordnungsbehörden referatsübergreifend neue Schwerpunkte setzen und dabei – das ist neu – sowohl die Jugendlichen als auch die übrigen Bürgerinnen und Bürger vor Ort einbinden. „Der soziale Frieden soll durch geordnete Angebote gewahrt werden.“ Ob das Konzept, wie geplant, noch im ersten Quartal Politik und Öffentlichkeit vorgestellt werden kann, sei wegen der schwierigen Bürgerbeteiligung in Coronazeiten allerdings fraglich.
Das Buersche Forum – ein Traditionsformat
Das Buersche Forum des SPD-Ortsvereins Buer-Mitte I ist ein traditionelles Veranstaltungsformat, das immer wieder aktuelle Themen vor Ort aufgreift, um sie mit wechselnden Fachleuten zu diskutieren. Die Palette reicht von Handel über Verkehr bis hin zu sozialen Problemen.Ortsvereins-Vorsitzender Daniel Schliefke moderierte die Online-Konferenz mit rund 25 Teilnehmenden. Auf dem digitalen Podium saßen Stadträtin Anne Heselhaus, Falken-Vorsitzende Christin Siebel und Sozialarbeiterin Anna Töns.
Unabhängig davon wurden weitere Vorschläge gemacht. Dietmar Schäfers regte an, leerstehende Lokale für Jugendangebote zu nutzen. Eventmanager Markus Jansen, Initiator des abgesagten Weihnachtsdorfs am Dom, schlug unterdessen vor, bei der Pfarrgemeinde St. Urbanus nachzufragen, ob die Klause im Gemeindezentrum nicht auch von Jugendlichen für Jugendliche betrieben werden könne. „Dann verkauft dort vielleicht niemand mehr Drogen.“
Denn er stellte auch fest: Die nächtliche Zerstörungswut einiger junger Leute am Michaelshaus sei enorm: „Da wird Bepflanzungen sowie Mülleimer weggetreten und Abfall verteilt. Sonntagmorgens sieht’s da manchmal aus wie Dresden ‘45!“