Gelsenkirchen. Was für ein furioser Auftakt! Begeisterungsstürme am ersten Abend der Figurentheaterwoche in Gelsenkirchen. Glanzleistung des Theaters Korona.
Jubelnde, wild mit den Füßen stampfende Besucher, zwei glückselig strahlende, die Begeisterung mit jeder Pore aufsaugende Puppenspieler und dazu noch eine Herde liebestoller Stoff-Schafe als heimliche Publikumslieblinge: Nein, viel emotionaler und gelungener hätte dieser Auftakt der siebten Gelsenkirchener Figurentheaterwoche kaum ausfallen können. Diese Shakespeare-Interpretation von „Wie es euch gefällt“ des Leipziger Theaters Korona am Samstagabend legt die Euphorie-Messlatte für die in den nächsten Tagen folgenden Stücke bereits in himmlische Sphären.
Sitztribüne im Consol Theater war bis auf den letzten Platz gefüllt
In seiner Begrüßungsrede blickte Hans-Joachim Siebel noch einmal kurz auf die Historie der Figurentheaterwoche zurück, die er seit 1990 in der Funktion des Festivalleiters entscheidend mitgeprägt hat. Und er erklärte auch noch einmal die pandemiebedingten Spielregeln im Saal – etwa, dass die Maske auch am Platz aufbehalten werden müsse. Einige Besucher wunderten sich über die prall gefüllte Tribüne. „Wir haben aber die maximal mögliche Platzzahl reduziert“, betonte Siebel. Dicht an dicht saßen die Gäste trotzdem: Der unter 2G-Regeln stattfindende Premierenabend war ausverkauft.
Mit dem Theater Korona – ja, das hieß auch in Prä-Virus-Zeiten schon so – schauten alte Bekannte in Gelsenkirchen vorbei. Bei der sechsten Figurentheaterwoche in 2020 hatten die beiden Schau- und Puppenspieler Frank Schenke und Ralf Kiekhöfer bereits eine famose Fassung des Stückes „Die Vermessung der Welt“ vorgelegt. Nun wagten sie sich an den größten aller Stückeschöpfer heran: Shakespeare.
Die Stimme des Regisseurs erklingt aus dem Off
Doch Regisseur Harald Richter verleiht der ganzen Sache einen doppelten Boden, in dem er die Geschichte von „Wie es euch gefällt“ in die Rahmenhandlung einer Theaterprobe einbettet. Und so schaut das Publikum zunächst auf Harry und Fred – zwei Schauspieler, die sich ständig kebbeln und foppen, sich trotz aller Animositäten letztlich aber doch auf das konzentrieren können, was sie eint: besagtes Shakespeare-Stück hinzubekommen.
Der dritte Mann im Bunde ist Peter. Der Regisseur bleibt zwar unsichtbar, schaltet sich aber immer wieder per Zwischenruf aus dem Off ein. So schlichtet er mal einen auflodernden Disput seiner so gegensätzlichen Schützlinge, dann wird er von den Akteuren selbst dabei ertappt, eine Szene verschlafen zu haben. Das ist oft witzig und erweist sich als gelungener Regie-Kniff.
Die Songs der Beatles haben nicht einen Funken ihrer Kraft und Wärme verloren
Tragender Wirbel im Rückgrat dieser Geschichte sind auch die vielen Beatles-Songs, die geschickt in das Handlungsgeflecht eingewoben werden. Ob „Here Comes The Sun“, „The Fool on the Hill“ oder „Blackbird“: Nicht wenige im Publikum summen oder singen gar leise mit, als die Klassiker von John, Paul, George und Ringo erklingen. Diese Musik, die Schenke und Kiekhöfer da auf der Bühne sauber intonieren, hat auch 60 Jahre nach der Entstehung nicht einen Funken ihrer immensen Kraft und Wärme verloren.
Als wahrer Meister seines Faches erweist sich das Duo aber im Umgang mit den Puppen: Da wird kurz ein Handschuh übergestreift und ein kleiner Plastikkopf auf Zeige- und Mittelfinger gestülpt – schon ist da der nächste Bühnen-Protagonist glaubhaft und authentisch zum Leben erweckt. Und so buhlt die ebenso verliebte wie gerissene Rosalind mit Scharaden und Maskeraden um die Gunst des angebeteten Orlando.
Beide gibt’s aber auch im Großformat, als sogenannte Klappmaulpuppen. Die bestehen nur aus einem Kopf, der so groß wie ein menschlicher ist. Auch hier genügen ein paar kluge Handgriffe der Akteure, um die perfekte Illusion einer lebendigen Figur zu erzeugen.
Eine Herde aus Stoff-Schafen als Hauptdarsteller der Herzen
Als grandioses Intermezzo mischt sich eine Herde Stoff-Schafe ein, die alle an einem hölzernen Stiel kleben. Diese können zwar Shakespeare und Schiller zitieren, wollen aber viel lieber kopulieren. Große Kunst! Und so schnell werden aus mähenden Randfiguren die Hauptdarsteller der Herzen.
Nach Eindreiviertelstunden Netto-Spielzeit ist dann Schluss. Der Jubel will kein Ende nehmen. Am Ende ergreifen Schenke und Kiekhöfer dann aber doch noch einmal das Wort. Sie hätten sich im Vorfeld gefragt, ob eine Aufführung in Zeiten wie diesen überhaupt Sinn mache. Das für Publikum und Schauspieler begeisternde Erlebnis lasse aber nur einen Schluss zu: „Theater muss sein!“