Gelsenkirchen. 2019 untersuchte die RAG die PCB-Belastung bei Bergleuten. Manchen Kumpels und Ärzten reicht das nicht. Sie setzen nun eine eigene Studie um.
„Ich will das lieber gar nicht wissen, wenn ich todkrank bin“, zitieren wir den Bergmann Günter Belka in einem WAZ-Artikel von 2018. Damals lehnte der Gelsenkirchener seine Teilnahme an einer Studie der Ruhrkohle AG (RAG) ab, welche die Belastung von Bergleuten mit dem Umweltgift PCB in den Blick nehmen wollte. Aus heutiger Sicht scheint es so, dass sein damaliger Satz weniger mit der Angst vor der Diagnose, sondern mehr mit dem Misstrauen gegenüber seinem alten Arbeitgeber zu tun hatte. Denn dass die RAG vor der Corona-Pandemie ehemalige Kumpel untersuchen ließ, reicht dem Bergmann und seinen Unterstützern nicht. Sie wollen in einer eigenen Studie herausfinden, welche Folgen der Dauerkontakt mit Schwermetallen und PCB-haltigem Hydrauliköl hat.
RAG-Studie fand raus: Bergleute sind stärker belastet als der Rest der Bevölkerung
Aber zunächst zur RAG-Untersuchung: Anfang 2019 veröffentlichte der Bergbaukonzern erste Ergebnisse seiner „Pilotstudie" und verbreitete die Kernbotschaft: Die untersuchten Bergleute seien nicht gesundheitlich gefährdet, aber stärker mit PCB belastet als der Durchschnitt der Bevölkerung. Zusammengearbeitet hatte die RAG mit dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Uniklinik Aachen, insgesamt 210 Bergleute nahmen teil.
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Obwohl sich ein Zusammenhang zwischen Folgeerkrankungen und PCB-Belastung laut RAG durch die Studie nicht ableiten ließ, wurde den Teilnehmern medizinische Nachbetreuung angeboten. Ob wirklich ein Zusammenhang besteht, könne nur in einer Nachfolgestudie mit mehreren Tausend Teilnehmern aufgeklärt werden, hieß es damals. Zum Thema:Bluttests der RAG für ältere, besonders Gefährdete
RAG konnte wegen Corona nicht noch mehr Bergleute untersuchen
Zu einer solchen Folgestudie ist es noch nicht gekommen. „Wir sind weiterhin an dem Thema dran, aber Corona hat uns ausgebremst“, sagt RAG-Sprecher Christof Beike. Man könnte aufgrund der Pandemie nicht riskieren, ehemalige Bergleute – überwiegend Männer im hohen Alter und damit eine Corona-Risikogruppe – über Land und Länder reisen zu lassen. „Wir müssten das Projekt auch europaweit ausschreiben“, ergänzt Beike.
Hier nun kommen Günter Belka und sein Unterstützerkreis ins Spiel. Er behauptet: „Es ist notwendig, eine von der RAG unabhängige Studie durchzuführen.“ Belka, selbst MLPD-Mitglied, führt seinen Kampf für die „Kumpels für AUF“. Die Bergarbeiterbewegung hat besonders im Linksaußen-Spektrum Unterstützer: Hinter der „Ärzteinitiative gegen Zechenflutung und Giftmüll unter Tage“, die sich mit für die alternative Studie verantwortlich zeigt, stecken Köpfe wie der Duisburger Arzt Günther Bittel, Direktkandidat der MLPD in Duisburg bei der Bundestagswahl 2021, oder Günter Wagner, der seine Praxis im Gebäude der Gelsenkirchener MLPD-Parteizentrale hat und keinen Hehl um seine Sympathien für die Kommunisten macht.
Was hat PCB angerichtet? Ärzte wollen Blut und Urin von Bergleuten untersuchen
Die Studie sei jedoch nicht politisch gefärbt, sondern erfülle „wirklich wissenschaftliche Standards“, betont Wagner. Statt über tausend weitere Probanden zu finden, wie es in einer Nachfolgestudie der RAG geschehen soll, erhoffen sich die beteiligten Ärzte bereits Erkenntnisse durch 100 untersuchte Bergleute. Weitere freiwillige Teilnehmer werden aktuell noch gesucht.
Dabei soll das Blut nicht nur auf PCB untersucht werden, auch der Urin auf Schwermetalle wie Quecksilber, Cadmium oder Arsen. Die Analyse soll das Medizinische Labor Bremen übernehmen. Über Fragebögen wollen die Ärzte zudem Details über das Arbeitsleben und den Gesundheitszustand der Teilnehmer erfahren und so mögliche Zusammenhänge mit der PCB- oder Schwermetall-Belastung erkennen.
Gelsenkirchener Arzt: „Viele Bergleute sind chronisch krank“
Bislang untersucht worden seien bereits über 50 ehemalige Bergleute, die auf Zechen der RAG in NRW und im Saarland im Einsatz waren – darunter auch Günter Belka selber. „Ergebnis war, dass mein Körper definitiv mit PCB und Schwermetallen belastet ist“, sagt der ehemalige Betriebsschlosser und Hydraulikfachmann. Und er vermutet, dass auch seine chronische Bronchienentzündung und seine Hautprobleme mit der Schadstoffbelastung zusammenhängen. Allgemeinmediziner Wagner hält das für plausibel: „Die Kumpel, die wir bis jetzt untersucht haben, sind alle chronisch krank.“
„Wir Bergleute wollen eine Zukunft und nicht schon den Sargdeckel öffnen“, sagt Belka. So hofft er, dass über die Ergebnisse Ansprüche zur Anerkennung von Berufserkrankungen gemacht werden können. Aber, und das werden die AUF-Kumpels nicht verneinen, dient die Studie auch als Abrechnung mit dem RAG-Konzern: „Man hat uns jahrzehntelang nicht hinreichend darüber aufgeklärt, mit was für giftigen Stoffen wir gearbeitet haben“, behauptet Belka. „Stattdessen sind wir Kumpel als Simulanten abgestempelt worden, wenn wir uns krank gefühlt haben.“
Das Problem mit dem Grubenwasser
Im Bergbau waren PCB-haltige Hydrauliköle seit Mitte der 1960er-Jahre und bis 1986 zur Verbesserung des Brandschutzes unter Tage eingesetzt worden. Damals habe es noch keine Hinweise auf ihr Gefährdungspotenzial gegeben, betonte die RAG Mit PCB ist auch das Grubenwasser belastet, das die RAG auf Dauer aus den stillgelegten Zechen abpumpen muss. Bei der Einleitung des Grubenwassers in Oberflächengewässer würden aber alle Umweltnormen eingeleitet, heißt es bei der RAG. Die „Kumpels für AUF“ dagegen bezeichnen das belastete Grubenwasser als „tickende Zeitbombe“. Sie fürchten, dass dadurch eine Trinkwasserkatastrophe im Ruhrgebiet entstehen könnte.