Gelsenkirchen. . Der Gelsenkirchener Bergmann Günter Belka (58) will nicht wissen, wenn er todkrank ist. Auswahl für RAG-Bluttests trifft die Knappschaft..
Die Ruhrkohle AG hat am Montag angekündigt, das Blut von 200 Bergleuten auf PCB-Belastungen beziehungsweise Spuren von PCB zu untersuchen. Gerade Bergleute waren dem hochgradig gesundheitsschädlichen Stoff bei der Arbeit unter Tage jahrelang ausgesetzt, vor allem zwischen den 1960er Jahren und 1985. In Gelsenkirchen ist die PCB-Belastung unter Tage ohnehin seit Jahren ein großes Thema.
Bislang ging es allerdings vor allem um Sondermüll unter Tage, die Belastung des Grubenwassers mit PCB und drohende Gefahren für die Umwelt, wenn belastetes Wasseretwa in Flüsse geleitet wird. Jetzt geht es also um die Gesundheit der Bergarbeiter selbst.
„Viele Kollegen sind schon über Jahre krank geworden“
Die Auswahl der Testpersonen soll laut RAG nach dem Zufallsprinzip erfolgen. Günter Belka (58) selbst seit 1973 Bergmann und als Betriebsschlosser 32 Jahre unter Tage im Einsatz, ist mehr als skeptisch. „Es sind schon so viele Kollegen über die Jahrzehnte krank geworden und ausgeschieden, viele Kollegen sind gestorben. Die wurden aber nicht untersucht. Die Hauptbelastung war doch zwischen 1960 und 1985. In der Zeit bestand das Hydrauliköl, mit dem wir gearbeitet haben, quasi komplett aus PCB“, klagt der Gelsenkirchener: „Erst 1985 wurde die Obergrenze bei 50 Milligramm PCB je Liter festgeschrieben.“ Das sei schließlich eine 200-fache Belastung gewesen im Vergleich zu späteren Jahren. Er selbst will sich nicht untersuchen lassen. „Ich will das lieber gar nicht wissen, wenn ich todkrank bin,“ erklärt er.
Ethikkommission eingebunden
Die 200 Testpersonen sollen Bergleute des Jahrgangs 1947 bis 1968 sein, die meisten davon längst nicht mehr aktiv, erklärt der Sprecher der RAG, Christof Beike, auf WAZ-Nachfrage. Ausgewählt werden sie nicht von der RAG selbst, sondern von der Bundesknappschaft. „Das ist ein sehr komplexes Verfahren mit vielen Beteiligten. Es werden auch gezielt Mitarbeiter aus Bereichen untersucht, die besonders betroffen sein könnten. Elektriker und Betriebsschlosser zum Beispiel,“ erklärt Beike.
Die Diskussion um Gesundheitsprüfungen von Bergleuten auf PCB-Belastungen begann vor über zwei Jahren im Unterausschuss Grubensicherheit des Landtags. Daraufhin habe die RAG mit den Planungen begonnen. In die Auswahl der Testpersonen eingebunden waren neben der Bundesknappschaft laut Beike unter anderem die Berufsgenossenschaft, eine Ethikkommission, Datenschützer und die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die die Untersuchungsergebnisse bis zum Sommer vorlegen will.
Seit 1989 in Deutschland, seit 2011 weltweit verboten
>> Die Abkürzung PCB bezeichnet Polychlorierte Biphenyle, giftige Chlorverbindungen. PCB sind schwer entflammbar, weshalb sie gerade unter Tage gern eingesetzt wurden. Chlordiphenyl kann schon über Hautkontakt vom Körper aufgenommen werden. Leberschäden, Schädigung des Immunsystems, Unfruchtbarkeit, Chlorakne sind mögliche Folgeerkrankungen bei Kontakt damit. Sie stehen auch im dringenden Verdacht, krebserregend zu wirken.
>> 2001 wurden PCB durch das Stockholmer Abkommen weltweit verboten. Sie haben sich jedoch bereits ausgebreitet, sind in der Atmosphäre, Gewässern und Boden nachweisbar.
Kommentar: Viel zu spät reagiert
Vor 33 Jahren hat man die Gefahren, die von PCB ausgehen, erkannt. 1989 wurden in Deutschland die Herstellung und der Einsatz verboten. Im Jahr 2001 untersagte das Stockholmer Abkommen den Einsatz von PCB weltweit. Erst 17 Jahre nach dem internationalen Verbot und im letzten Jahr des Steinkohlebergbaus in Deutschland werden die Kumpel, die dem giftigen Stoff unter Tage ausgesetzt waren, endlich auf mögliche Belastungen untersucht.
Eine prompte Reaktion sieht anders aus. Ob und wie viele Bergleute als Folge großer PCB-Belastungen gestorben oder ernstlich erkrankt sind seit den 1960er Jahren lässt sich heute nicht mehr klären. Aber das ist wohl auch nicht das Ziel. Es geht darum zu ermitteln, ob Folgen nachweisbar sind. Gut und richtig ist allerdings der Ansatz der RAG, vorwiegend ältere Jahrgänge und besonders gefährdete Berufsgruppen zu testen, um echte Ergebnisse zu ermöglichen.