Gelsenkirchen. Eine Afghanin flüchtete vor ihrer Zwangsheirat. Ihre Rechte wurden aber auch in Gelsenkirchen von ihrem Ex missachtet. So fand sie einen Ausweg.
Ihre Großmutter wollte, dass sie einen älteren Mann heiratet. Dabei hatte sich die damalige 24-jährige Afghanin Masal Daulat* in den jungen Mann verguckt, der im Geschäft ihres Bruders arbeitete. „Wir haben telefoniert, haben uns Briefe geschrieben“, erzählte sie. Ein Tabu.
Denn der junge Mann hatte dem Islam den Rücken gekehrt und war fest entschlossen, zum Christentum zu konvertieren. „Er wollte und konnte deswegen nicht mehr in Afghanistan bleiben“, erzählt sie. Also begann sie, mit ihm vor sieben Jahren zusammen die Flucht nach Europa zu planen. Nicht nur wegen der Liebe. Auch weil sie nicht dasselbe Schicksal erleiden wollte wie viele andere zwangsverheiratete Frauen, die sie kannte – die von ihren Männern unterjocht und misshandelt wurden.
Afghanin flüchtete nach Gelsenkirchen – und wurde hier von ihrem Ex-Mann misshandelt
Ihre Geschichte teilte Masal Daulat bei einer Veranstaltung zu „Frauen unter den Taliban“ in der Gelsenkirchener Flora. Und dort erschütterte sie die anwesenden Gäste nicht nur mit den Schilderungen aus ihrem Heimatland, auch mit ihren Erlebnissen hier in Gelsenkirchen.
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Denn ihr heutiger Ex-Mann, mit dem sie geflohen war, entpuppte sich nach der gemeinsamen Flucht ebenfalls als Patriarch. „Ich dachte, dass mein Mann ein moderner Mensch ist. Aber er wollte dann, dass ich nicht nach draußen gehe, nicht mal zum Einkaufen. Er wollte nicht, dass ich mit anderen Frauen spreche.“ Auch geschlagen habe er sie. „Ich habe viele afghanische Männer erlebt“, sagte Masal Daulat. „Und viele denken wie die Taliban.“ Selbst jene, die aus dem Land geflohen seien. „Das macht für mich keinen Sinn. Warum verhalten sie sich so, wenn sie Afghanistan so schlimm finden?“
Islam-Expertin: Strikte Trennung von Geschlechtern auch in Gelsenkirchen nicht dulden
Masal Daulats Schilderungen wurden von Prof. Dr. Susanne Schröter eingeordnet. Die Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Uni Frankfurt schilderte zunächst, dass es in der islamischen Welt auch schon im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert progressive Frauenrechtsbewegungen gab und auch in Afghanistan in den Siebzigern „Frauen studierten, in Cafés gingen, ein Leben führten wie in London oder Berlin“ – bis Afghanistan zum Schauplatz eines Stellvertreterkonflikts zwischen der Sowjetunion und den USA wurde, was später in der ersten Machtübernahme der Taliban resultierte.
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„Die Taliban waren und sind bis heute besessen von der Idee, dass die Frauen die personifizierte Sünde sind und die Männer unendlich gefährdet sind, den Frauen zu erliegen“, sagte Schröter. Insofern dürfe man sich keine Illusionen machen, dass auch das neue Taliban-Regime, das nach Abzug der westlichen Truppen im August 2021 an die Macht stürmte, für Frauen nichts Gutes bedeute.
Aber, und hier lag Schröters Kernbotschaft, im Kampf für Frauenrechte müsse man nicht nur nach Ländern wie Afghanistan schauen. „Wenn man sagt, dass Frauen und Mädchen gleiche Rechte haben sollen, dann soll man das auch ernstnehmen – egal ob in Afghanistan oder in Gelsenkirchen“, sagte die Islam-Expertin. „Die Geschlechtertrennung gibt es auch bei uns, auch in den muslimischen Communitys.“ Dies einfach so zu akzeptieren und mit Blick auf Afghanistan Frauenrechte einzufordern, sei doppelmolarisch.
31-Jährige flüchtete nach Deutschland: „Ich wollte nie leben wie eine Afghanin“
Es sei aber nicht nur die Unterdrückung im Hinblick auf religiöse Wertvorstellung, die auch im Hinduismus, Buddhismus oder christlichen Fundamentalismus zu finden seien. „Die Universalität von Frauenrechten muss beachtet werden ohne Kulturbonus“, so Prof. Schröter. Für sie heißt das zum Beispiel: Auch in Deutschland müsse direkter über Femizide, also Morde an Frauen und Mädchen, gesprochen werden. Denn oft werden Fälle, in denen Männer Frauen deshalb töten, weil sie eben eine Frau sind, immer noch als „Familientragödien“ oder „Beziehungsdramen“ bezeichnet.
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Masal Daulat konnte der Gewalt entfliehen. Sie fand für ein Jahr im Frauenhaus Schutz. Die Angst, dass ihr Ex-Mann wieder nach ihr suchen könnte, begleitet die heute 31-Jährige jedoch täglich, gerade in der Nacht. „Ich frage mich: Was macht er mit mir, falls er mich finden sollte?“ Aber Daulat sagt jetzt auch: „Ich bin hier frei, habe nicht mehr so viele Probleme.“ Inzwischen macht sie eine Ausbildung in Duisburg, lebt alleine und hat zu wenig Menschen aus ihrem Heimatland Kontakt. „Ich wollte nie leben wie eine Afghanin“, sagt sie. Nun tut sie es auch nicht.
(* Der Name wurde geändert, um die Frau nicht in Gefahr zu bringen. Ihr richtiger Name ist der Redaktion bekannt)