Gelsenkirchen-Erle. Die Gelsenkirchener Bürgerinitiative läuft erneut Sturm gegen die Neubaupläne von Vivawest in Erle. Was sie besonders ärgert.

Der Ärger über die geplante Nachverdichtung hat sich gelegt bei den Anwohnern der Erler Siedlung Görtzhof, Haunerfeld-, Heinrichstraße und Gartmannshof? Von wegen! Nachdem die Bürgerinitiative (BI) im Mai noch gefunkt hatte, sie sei mit den Änderungen des Bebauungsplan-Vorentwurfes zufrieden, heißt es nun: Alles auf Anfang.

„Wir sorgen uns, dass hinter den Kulissen Fakten geschaffen werden, die wir am Ende auszubaden haben“, sagt BI-Mitglied Britta Seikowski. Tatsächlich seien nach wie vor viele Anlieger der Brachfläche alarmiert, was die Neubaupläne von Grundstücks-Eigentümerin Vivawest angeht, dort rund 40 Doppelhaushälften sowie drei Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 40 Wohneinheiten zu errichten.

Gelsenkirchener Anwohner kritisieren vermeintlichen Burgfrieden zur Nachverdichtung

Wie berichtet, ist dafür im Februar 2020 ein Bebauungsplan-Verfahren mit der Nr. 440 angelaufen, dessen Vorentwurf in einer frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung vorgestellt – und heftig kritisiert wurde.

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Der mittlerweile verstorbene Detlev Kallmeier, Initiator der BI „Klimavernichtung durch Wohnraumvernichtung“, habe nicht für alle gesprochen, als er nach Ortsterminen mit dem Projektleiter im städtischen Referat Stadtplanung Grund für eine Entwarnung gesehen hatte, betont Britta Seikowski.

„Zu geringer Abstand“: Bürgerinitiative fürchtet um Privatsphäre der bisherigen Anlieger

Der Ärger über das Ausmaß der geplanten Neubebauung ist groß bei vielen Anwohnern der Siedlung in Gelsenkirchen-Erle. Detlev Hannig, Peter und Britta Seikowski und Monika Kaminski (v.l.) kritisieren besonders die fehlenden Abstände zu den Bestandshäusern, weil sie um ihre Privatsphäre fürchten.
Der Ärger über das Ausmaß der geplanten Neubebauung ist groß bei vielen Anwohnern der Siedlung in Gelsenkirchen-Erle. Detlev Hannig, Peter und Britta Seikowski und Monika Kaminski (v.l.) kritisieren besonders die fehlenden Abstände zu den Bestandshäusern, weil sie um ihre Privatsphäre fürchten. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Sie bekräftigt vielmehr die schon damals genannten Befürchtungen – Kahlschlag, Betonwüste, Parkplatznot –, um sie um weitere zu ergänzen: „Durch die Nachverdichtung wird die kleine grüne Oase zerstört, mit ihr der Lebensraum für viele Vogelarten, Fledermäuse, Wiesel, Frösche, Igel und Eidechsen. In Zeiten des Klimanotstands werden weitere Flächen versiegelt und damit Möglichkeiten der Abkühlung in heißen Sommern genommen.“ Die Garagendächer zu begrünen, so die Pläne, sei da „ein Witz“.

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Was vielen BI-Mitgliedern besonders bitter aufstößt, sind die ihrer Auffassung nach zu geringen Abstände der Neu- zur Bestandsbebauung. „Wir fürchten, dass da teilweise nur drei Meter frei bleiben und uns die künftigen Hauseigentümer in die Zimmer und auf die Terrasse schauen können“, ärgert sich etwa Monika Kaminski.

Gelsenkirchener sorgen sich um Verschattung ihrer Gärten durch neue Gebäude

Anwohner Peter Seikowski sorgt sich um den unverstellten Blick in die bisherige grüne Oase hinter seinem Garten – und um seine Privatsphäre. Auf der Brachfläche plane Vivawest eine Nachverdichtung.
Anwohner Peter Seikowski sorgt sich um den unverstellten Blick in die bisherige grüne Oase hinter seinem Garten – und um seine Privatsphäre. Auf der Brachfläche plane Vivawest eine Nachverdichtung. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Zudem drohe eine Verschattung ihrer Gärten durch die „zu hohen“ Gebäude. Die Doppelhaushälften sind nach Angaben von Vivawest mit je zwei Vollgeschossen und einem Satteldach, die Mehrfamilienhäuser mit jeweils drei Vollgeschossen und einem Staffelgeschoss geplant.

Mit der von Kallmeier als Kompromiss gewerteten Zusage, jeweils die Hälfte der Doppelhaushälften mit einem Keller bzw. einem extra Abstellraum hinter der Garage zu versehen, mag sie sich ebenso wenig zufrieden geben wie Britta und Peter Seikowski: Das schon jetzt ab 18 Uhr bestehende Parkplatzproblem werde sich durch die Neubebauung verschärfen, da die Garagen etwa für schwere Gartengeräte und Fahrräder genutzt würden. Daher könne man den Platz vor den Garagen auch nicht als Stellplatz werten.

Anwohner fürchten Überflutungen durch die weitere Versiegelung

Darüber hinaus fürchten sie Überflutungen, da der Kanal nicht für die weitere Bebauung ausgelegt und schon jetzt phasenweise überlastet sei. „Bereits heute schießt das Wasser bei Starkregen in Richtung Gartmannshof. Wir haben Angst, dass künftig unsere Keller volllaufen werden.“ Das im südlichen Bereich vorgesehene Regenrückhaltebecken sei bei Starkregen viel zu klein, meint die BI – und fordert Sickermöglichkeiten.

Als völlige Ablehnung des Vorhabens will die BI ihre Kritik allerdings nicht verstanden wissen. „Wir lehnen nur das Ausmaß ab. Mit einer geringeren, aufgelockerteren Bebauung mit weniger Doppelhaushälften und größeren Abständen zum Bestand sowie einer Durchgangsstraße, um die Heinrichstraße zu entlasten, könnten wir uns arrangieren“, listet Britta Seikowski auf in der Erwartung, dass die Verwaltung per Bebauungsplan rigidere Vorgaben macht – und dass Vivawest die eigenen Pläne etwas abspeckt und den Anwohnern entgegenkommt.

Vivawest: Haben unsere ursprünglichen Pläne bereits reduziert

Das Unternehmen freilich weist auf WAZ-Anfrage darauf hin, das ursprüngliche Vorhaben von 2018 bereits reduziert zu haben: Damals seien an der Heinrichstraße zwei Mehrfamilienhäuser und dafür weniger Doppelhaushälften vorgesehen gewesen. „Die Verdichtung wäre jedoch insgesamt höher gewesen, so dass diese Planung nach der ersten Bürgerversammlung zurückgenommen wurde“, so ein Sprecher.

Was den Vorwurf der mangelnden Privatsphäre angeht, so stellt die Verwaltung auf Nachfrage der Redaktion klar: Ein Bebauungsplan könne die Fenster-Ausrichtung in eine bestimmte Richtung nicht vorgeben oder verbieten. Sprich: Darauf habe die Stadt keinen Einfluss. Im Mai hatte die Stadt eine aufgelockerte Bebauung im nördlichen Teil versprochen, so dass die Distanz zum Bestandsbau „groß genug“ sei.

Gelsenkirchen sieht keine erhöhte Gefahr für Schulkinder durch stärkeren Verkehr

Was die Parksituation angeht, so kündigt Vivawest „im öffentlichen Straßenraum so viele Parkplätze wie möglich für die Besucher des Gebiets“ an. Zudem bestehe für jede Doppelhaushälfte die Möglichkeit, eine Garage zu stellen sowie in derer Zufahrt ein weiteres Fahrzeug zu parken.

Auch die Stadt sieht keine „signifikante Änderung“ der Situation, besonders auch was eine mögliche Gefährdung von Kindern auf dem Schulweg angeht. „Die Erschließung des Blockinnenbereiches ist über eine öffentliche Zuwegung (verkehrsberuhigter Bereich) von der Heinrichstraße aus beabsichtigt, wo zuvor die Gebäude Heinrichstraße Nr. 58 bis 62 standen. Eine erhöhte Gefährdung von (Schul-)Kindern durch KfZ-Verkehr wird dadurch nicht gesehen“, heißt es.

Vivawest weist auf die zusätzliche, nicht notwendige Flächenversiegelung hin, die eine Durchgangsstraße zur Folge habe: „Hierzu müssten Bestandsgebäude abgerissen und Fremdgrundstücke angekauft werden.“ Durch eine zusätzliche Straße sei eher mehr als weniger Verkehr zu erwarten, „was eine zusätzliche Lärmbelästigung für die Anwohner bedeuten würde.“

Stadt räumt ein, dass Kanal-Kapazitäten für Neubebauung nicht ausreichen

In Sachen Kanal-Kapazitäten räumt die Verwaltung jedoch ein, dass diese „nicht zusätzlich belastet werden“ dürften. Daher solle die Entwässerung der Doppelhausbebauung über ein in der neuen Erschließungsstraße vorgesehenes Trennsystem erfolgen.

Der geplante Schmutzwasserkanal solle an die Mischwasserkanalisation in der Heinrichstraße angeschlossen werden. Eine Versickerung von Niederschlagswasser, wie von der BI gefordert, sei aber „in diesem Bereich nicht möglich“, da der Boden nicht durchlässig genug sei. Daher soll Regenwasser in südliche Richtung abgeleitet und über ein Regenrückhaltebecken am südöstlichen Rand der anschließenden Freiflächen „gedrosselt in den Mischwasserkanal in den Gartmannshof“ eingeleitet werden.

Gelsenkirchen: Regenwasser soll gesammelt und nur gedrosselt abgeleitet werden

Die Ersatzneubauten – also die drei Mehrfamilienhäuser – sollen (wieder) direkt an die bestehende Mischwasserkanalisation angeschlossen werden. Im Kreuzungsbereich Görtz- und Gartmannshof ist allerdings eine Beschränkung der Einleitmenge geplant.

„Für Teile der anfallenden Regenwassermengen muss eine Rückhaltung erfolgen. So ist es angedacht, das notwendig werdende Regenrückhaltevolumenunterhalb der befestigten Parkplatzflächen zu realisieren“, heißt es in der Antwort der Stadt auf die WAZ-Anfrage. Denn eine natürliche Versickerung sei auch an dieser Stelle wegen des undurchlässigen Bodens nicht möglich.