Gelsenkirchen. Wirtschaftsförderer Rainer Schiffkowski geht nach 35 Jahren im Dienst der Stadt Gelsenkirchen in den Unruhestand. Ein Rückblick.

Wachstum zu fördern, bedarf vor allem einer Eigenschaft: Nehmerqualitäten. 35 Jahre lang hat sich Rainer Schiffkowski, seit 2015 Referatsleiter der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung, der Herausforderung gestellt, den Strukturwandel der einstigen Montanstadt mit voranzutreiben. Der Unruheständler blickt zurück auf Erfolge und Misserfolge – eine Bilanz.

Das Gelsenkirchener Stadtquartier Graf Bismarck am Rhein-Herne-Kanal. Es verfügt über eine Marina und zieht viele Besucher auch von außerhalb an. Die Gesamtfläche des „Ehemaligen Kraftwerksgeländes Graf Bismarck“ beträgt rund 80 Hektar, Hier wird erfolgreicher Strukturwandel erlebbar.
Das Gelsenkirchener Stadtquartier Graf Bismarck am Rhein-Herne-Kanal. Es verfügt über eine Marina und zieht viele Besucher auch von außerhalb an. Die Gesamtfläche des „Ehemaligen Kraftwerksgeländes Graf Bismarck“ beträgt rund 80 Hektar, Hier wird erfolgreicher Strukturwandel erlebbar. © www.blossey.eu | Hans Blossey

„Für mich als Gelsenkirchener war und ist es eine Herzensangelegenheit, die wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmen für die Stadt mitgestalten zu können“, sagt Rainer Schiffkowski. Stand heute verfügt Gelsenkirchen über rund 82.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, gehören statt Stahl und Kohle die Gesundheitswirtschaft und der Dienstleistungssektor mit über 60 Prozent am Gesamtaufkommen zu den Leitmärkten der Emscher-Kommune. Das ist mehr als nur vorzeigbar, aber, wie der 65-Jährige direkt zu Beginn des Gespräches heraushebt, die Leistung vieler „hochmotivierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sehr viel Know-how“ und nicht die eines einzelnen.

Wirtschaftsförderung in Gelsenkirchen: Langer Weg bis zum Erfolg

Rainer Schiffkowski, Referatsleiter der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung    
Rainer Schiffkowski, Referatsleiter der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung     © Unbekannt | Foto: St

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Beim Blick zurück kristallisiert sich heraus, dass Fußball und Wirtschaftsförderung einiges gemeinsam haben, insbesondere in Gelsenkirchen. Nach Niederlagen aufzustehen und unverdrossen weiterzumachen, ist eine der vorrangigsten Eigenschaften, die man mitbringen muss im steten Werben um neuansiedlungs- oder expansionswillige Unternehmen. „In neun von zehn Fällen bekommt man eine Absage“, sagt Rainer Schiffkowski. Wie viele Wochenenden an Mehrarbeit dabei draufgegangen sind, um die Weichen in Richtung Gelsenkirchen zu stellen, kann er nicht mehr zählen.

Der Frust, doch noch gescheitert zu sein, neue Arbeitsplätze zu schaffen, ist für den Wirtschaftsförderer und glühenden Schalke-Fan immer dann besonders hoch, wenn die Neuansiedlung zugleich auch einen Imagegewinn für Gelsenkirchen bedeutet hätte. So war es beispielsweise beim Deutschen Fußballmuseum, das heute am Dortmunder Hauptbahnhof seine Heimstatt hat.

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„Wir hatten ein Super-Angebot“, erinnert sich Schiffkowski. Das Museum sollte seinen Platz neben dem einstigen Marriott-Hotel auf Schalke finden, im Schlagschatten der Veltins-Arena. Eine Bedingung: Der Standort sollte dem ÖPNV wie dem Individualverkehr gleichermaßen genügen. Parkplätze im Arena-Park gibt es reichlich, Bus und Bahn stellen auch kein Problem dar. Dagegen ist Dortmunds Hauptbahnhof zwar ein Drehkreuz, bei Abstellplätzen im Umfeld kann der Reviernachbar aber nicht so groß auftrumpfen aus Sicht des Gelsenkircheners. Warum dann Dortmund den Zuschlag bekommen hat, erschließt sich Schiffkowski bis heute nicht recht.

Als „herben Rückschlag“ bezeichnet der Netzwerker auch die gescheiterte Ansiedlung eines großen DAX-Unternehmens auf Schalke. Schiffkowski zufolge gab das Unternehmen auf der Zielgeraden, also kurz vor Unterschriftsreife, der Nachbarstadt Bochum den Zuschlag. „Mehr als 1000 Mitarbeiter sollten in einen sieben Stockwerke hohen Neubau an der Arena einziehen“, sagt der 65-Jährige. Eine bittere Pille, immerhin verbuchte der Konzern 2020 noch einen Bilanzgewinn von knapp zwei Milliarden Euro - da wäre auch für eine klamme Kommune wie Gelsenkirchen ordentlich etwas abgefallen.

Im Kampf um neue Standorte spielen Firmen die Kommunen gegeneinander aus

Das Gewerbegebiet Schalker Verein aus der Luft. Hier haben sich in den vergangenen Jahren neue Firmen angesiedelt, sind Arbeitsplätze entstanden.
Das Gewerbegebiet Schalker Verein aus der Luft. Hier haben sich in den vergangenen Jahren neue Firmen angesiedelt, sind Arbeitsplätze entstanden. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Der Wettbewerb, gerade in einem Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet, ist knallhart. Im Kampf um den Zuschlag überbieten sich die Städte mit Grundstücksangeboten, Hilfen bei Erschließung Genehmigungsverfahren und Zuschüssen. Und nicht selten spielen Unternehmen Kommunen gegeneinander aus, in dem sie auf ein noch besseres Angebot drängen.

Aber wie gesagt. In dem Job gilt: Aufstehen, weitermachen. Und es gibt ja durchaus auch Erfolgsgeschichten. Etwa die von Medicos auf Schalke. „Vor gut 20 Jahren hat das Unternehmen mit 30 Mitarbeitern angefangen“, sagt Rainer Schiffkowski. „Heute ist Medicos mit über 400 Mitarbeitern Europas größte Reha-Einrichtung.“

Direkt nach der Schule bei der Stadt in die Lehre gegangen

Rainer Schiffkowski begann im Jahr 1970 mit 14 Jahren seine Ausbildung bei der Stadt zum Verwaltungsangestellten. Seine erste Station nach der Ausbildung war die Wohngeldstelle. Über den zweiten Bildungsweg kam der heute 65-Jährige in den gehobenen Dienst. Als Inspektor arbeitete Schiffkowski im Liegenschaftsamt, danach drei Jahre im Sozialamt der Stadt Gelsenkirchen. 1986 wechselte der Gelsenkirchener als Finanzierungsberater in die Wirtschaftsförderung, wo er 2015 Referatsleiter wurde.

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Freude kommt bei dem Gelsenkirchener, der im Alter von gerade einmal 14 Jahren bei der Stadt seine Ausbildung als Verwaltungsangestellter begann, auch auf, wenn er auf die pulsierenden Quartiere Graf Bismarck und Schalker Verein schaut. Neben der Stölting Group haben sich kleine und mittelständische Firmen am Rhein-Herne-Kanal angesiedelt, zahlreiche Familien haben dazu neue Wohnungen und neue Häuser bezogen und die Marina mit ihrem gastronomischen Angebot übt seit Bestehen eine große Anziehungskraft auf Besucher aus – selbst über das Ruhrgebiet hinaus.

Ein ausgesprochener Motorradfan ist der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderer Rainer Schiffkowski. Mit 65 Jahren geht er jetzt in den Unruhestand.
Ein ausgesprochener Motorradfan ist der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderer Rainer Schiffkowski. Mit 65 Jahren geht er jetzt in den Unruhestand. © Unbekannt | Foto: RS

Maßgabe: Möglichst viele neue Arbeitsplätze für Gelsenkirchen

Ein paar Kilometer weiter, am Schalker Verein, siedelt sich Automobilzulieferer Bilstein an, dazu das Modelabel Navahoo, hervorgegangen aus einem Start-up und heute international erfolgreich auf Plattformen wie Amazon, Zalando oder Otto. Bilstein ist in dem Zusammenhang übrigens ein gutes Beispiel dafür, was für die Wirtschaftsförderung entscheidend ist: „Ein gutes Verhältnis von Gewerbefläche und neuen Arbeitsplätzen“, erklärt Rainer Schiffkowski.

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Bilstein erhielt den Vorzug vor einem Autoverwerter, denn der Automobilzulieferer hat das Potenzial von bis zu 400 Arbeitsplätzen auf mehreren zehntausend Quadratmetern Gewerbefläche, bei dem Autoverwerter wäre es bei einer Handvoll Kräfte geblieben.

Der Kampf um die Gunst von Firmen ist seit dem 1. Oktober nun offiziell vorbei. Urlaub steht bei dem Motorrad- und Fernreisefan zunächst einmal an. Dass Rainer Schiffkowski nach 35 Jahren Dienst für die Wirtschaftskraft seiner Heimat Gelsenkirchen von jetzt auf gleich keiner Beschäftigung mehr nachgeht, ist allerdings nur schwer vorstellbar. Mehr als drei Jahrzehnte Akquise haben ein verzweigtes Netzwerk geschaffen, zudem jede Menge Know-how.

In Sachen Zukunftsplänen mag sich der Ex-Wirtschaftsförderer jedoch nicht allzu dezidiert auslassen, der 65-Jährige ist aber wie so oft nicht um ein Bonmot verlegen: „Ich bin mit Frau Merkel zum Telefonat verabredet. Und ich bin sicher, dass uns zu unserer Zukunft etwas einfallen wird.“ In diesem Sinne: Tschüssikowski!