Gelsenkirchen. Noch immer können sich Teile der Bevölkerung nicht durch eine Corona-Impfung schützen. Wie ist es bei den Schwangeren? Das sagt ein Frauenarzt.
Hohe Inzidenzen, steigende Infektionen – und die Impfzahlen, so scheint es, bewegen sich nur minimal nach oben. In Gelsenkirchen waren – so gibt es die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe an – am Donnerstag, 9. September, 166.368 Menschen vollständig geimpft. Es sind Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener, die auch der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) gefolgt sind. Seit Freitag empfehlen die Wissenschaftler nun auch für Schwangere und Stillende. Laut einem Beschlussentwurf der Stiko sollten sich bisher ungeimpfte Schwangere ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel sowie Stillende mit zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffs schützen, wie das Robert-Koch-Institut mitteilte. Bisher hatte die Stiko die generelle Impfung in der Schwangerschaft nicht empfohlen.
Wie ist die Situation aktuell bei den Schwangeren? Ein Besuch in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Marienhospital in Ückendorf.
Gelsenkirchener Chefarzt rät zur Corona-Impfung – auch bei Schwangeren
Dr. med. Adil Senol Sandalcioglu hat sich ein wenig Zeit genommen, um mit uns zu sprechen. Und er hat sich umgehört, vorbereitet auf dieses Gespräch. Kolleginnen des Chefarztes, niedergelassene Kolleginnen, hätten ihm berichtet, dass die Impfungen „sehr sehr schlecht von den Schwangeren angenommen“ würden. „Ganz ganz wenige machen sie“, sagt Sandalcioglu auch. Die Angehörigen hingegen hätten das Angebot der Corona-Impfung sehr gut wahrgenommen.
Dass die Frauen so abwartend reagieren, sei, so Sandalcioglu weiter, aber kein Gelsenkirchener Problem, sondern eher ein generelles. „Die Frauen sind sehr zurückhaltend und die meisten wollen abwarten, bis die Schwangerschaft vorbei ist“, sagt der Frauenarzt. Schließlich gebe es auch eine grundsätzliche Skepsis der Frauen, viele würden während dieser besonderen Zeit keine Medikamente nehmen, aus Vorsicht, aus Angst um ihr Kind.
Für die Skepsis der werdenden Mütter hat der erfahrene Mediziner vollstes Verständnis, auch wenn er die Impfung für Schwangere für „sehr sinnvoll“ hält. Er appelliert demnach an seine Patientinnen, dass sie sich unbedingt impfen lassen sollen – egal ob vor oder nach der Entbindung.
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Allerdings: „Ich finde es richtig, dass es keine Impfpflicht gibt“, so Sandalcioglu. Pflicht bedeute für ihn immer auch Zwang – „und wir leben in einem Land, wo wir mit Zwängen nicht aufgezogen worden sind.“ Die Entscheidung für eine Impfung, egal ob gegen Corona, Masern, Windpocken etc., sie treffe jede Frau selbst. „Das ist wie beim Stillen: Es ist die persönliche Entscheidung einer jeden Frau. Wir behandeln alle gleich.“ [Lesen Sie auch:Gelsenkirchens Krisenstabsleiter – „Man kann nicht mehr von dieser Krise sprechen“]
An diesem Nachmittag in Sandalcioglus Büro erinnert sich der Mediziner auch an die erste Phase der Pandemie, die wie ein „Tsunami“ im Frühjahr 2020 über die geburtshilfliche Station hereinbrach. Es gab die ersten Infizierten in den eigenen Reihen, und immer wieder wollten in diesem eigentlich geschützten, behüteten Raum Kinder auf die Welt. Der Betrieb musste sozusagen aufrecht erhalten werden. Dazu die Verantwortung seinen Patientinnen, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch sich selbst gegenüber – es war eine anstrengende Zeit. „Und wir hatten ja keine Erfahrung.“
Mit den steigenden Zahlen kamen auch immer mehr infizierte Schwangere
Mit den steigenden Fallzahlen und Inzidenzen kamen auch immer mehr infizierte Schwangere auf die Geburtsstation. Für sie gibt es einen separaten Kreißsaal. Und schnell wurde klar: Der Anstieg der Corona-Fälle draußen, er war immer auch an den Fallzahlen der Schwangeren zu sehen. In der zweiten Welle gab es Menschen, so berichtet es Sandalcioglu, die sich ein zweites Mal infiziert haben. Und die Schwangeren? „Sehr sehr viele waren ohne Symptome“, erinnert sich der Marienhospital-Chefarzt.
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Richtig schwere Fälle und Verläufe – die beispielsweise noch vor dem eigentlichen Geburtstermin entbunden werden mussten – haben Sandalcioglu und sein Team nur vereinzelt gesehen. Er berichtet von einer schwangeren Corona-Patientin, deren Zustand sich, ohne, dass die Ärzte es abschätzen konnten, rapide innerhalb von Stunden verschlechtert habe. Es war ein Einzelfall. [Lesen Sie auch:Corona-Impfung – Sind Vakzine in der Muttermilch nachweisbar?]
Die so genannte Cronos-Studie etwa bestätigt die Erfahrungen, die sie am Marienhospital gemacht haben. Erste Ergebnisse der noch andauernden Untersuchung wurden im November 2020 präsentiert: Die Studie kam da zu dem Ergebnis, dass eine Corona-Infektion bei Schwangeren einen überwiegend milden Verlauf hatte. 37 Prozent der an der Studie beteiligten Schwangeren zeigten keine Symptome, 38 Prozent der Betroffenen hatten Husten, 25 Prozent klagten über Fieber und knapp sechs Prozent mussten intensivmedizinisch behandelt werden (Quelle: Deutsches Ärzteblatt.).
RKI: Schwangere entwickeln seltener Symptome einer Covid-19-Erkrankung
Auch laut Informationen des Robert-Koch-Institutes (RKI) sollen Schwangere seltener Symptome entwickeln. Die Gefahr für schwere Verläufe ist laut Einschätzung des RKI grundsätzlich gering. Gleiches gilt für die Sterblichkeitsrate. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen: Das Alter, starkes Übergewicht oder Vorerkrankungen können einen schwereren Verlauf begünstigen. [Lesen Sie auch: Gelsenkirchens Impfbus – darum ist sein Einsatz so wichtig]
„Das Thema Corona wird uns noch lange beschäftigen, wir haben das alle unterschätzt“, ist sich Adil Senol Sandalcioglu sicher. Sein Weg aus dieser Lage, zurück zu einem Stück mehr Normalität: „Die Impfquote zu erhöhen.“.
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