Gelsenkirchen. Helen Kessel und Michael Roch entwickeln an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen ein elektrisches Fahrrad mit Elementen eines Autos.

Helen Kessel und Michael Roch haben kein geringeres Ziel, als mit ihrem Fahrrad-Auto den Individualverkehr im Revier und später auch in der Republik um eine Möglichkeit der Fortbewegung zu bereichern. Ihr „Fair.be“ ist nicht nur ökologisch nachhaltig. Mehr noch: Es soll auch sozial nachhaltig produziert werden und Teilhabe ermöglichen. Gebaut wird es nämlich zunächst in der Behindertenwerkstatt der Diakonie in Recklinghausen.

Noch ist es nur ein hölzernes Modell, das da im „Maker Space“ der Westfälischen Hochschule steht. Der Raum, der Erfindern einen Platz und alle technischen Möglichkeiten bietet, wird von vielen kreativen Köpfen genutzt. Auch von den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern, die die Mobilitätswende schon lange umtreibt. Beide setzen bislang privat auf das Rad – und wissen um dessen Nachteile. Und so haben sie ein Gefährt entwickelt, das zwar auf der Technik eines Pedelecs beruht, aber ein Zweisitzer mit mehr Komfort ist.

Das „Fair.be“ hat ein ebenso ein Dach wie einen kleinen Kofferraum. Eine Frontscheibe mit Scheibenwischer macht die Fahrt durch den Regen angenehmer. Seitenteile allerdings hat es nicht. Denn das moderne Gefährt ist offiziell ein Rad und soll das auch bleiben. „Dadurch kann es auf allen Wegen fahren und darf ohne Führerschein bewegt werden“, erklärt Helen Kessel. Insbesondere im Ruhrgebiet berge das den Vorteil, dass man alle Fahrradtrassen benutzen dürfe. Ebenso wie alle Radwege. „So kann man am Stau einfach vorbei fahren.“

Diakonie ist Projektpartner und Pilotkunde der Gelsenkirchener

Entwickelt wird das Fahrrad-Auto in enger Zusammenarbeit mit der Diakonie in Recklinghausen. „Dort gibt es die technischen Möglichkeiten, die Räder zu fertigen und zu montieren“, erklärt Michael Roch. „Die Diakonie ist unser Projektpartner und zugleich unser Pilotkunde.“ Hier nämlich soll das Gefährt auch erstmals zum Einsatz kommen, hier werden Erfahrungen gesammelt, die dann in die Entwicklung eingehen. Bis zur Marktreife dauert es nämlich noch ein bisschen.

Aktuell wird das Entwicklungsprojekt gefördert durch Landesmittel. Sie erlauben es Helen Kessel, die einen Master in Nachhaltigkeit hat, und Michael Roch, diplomierter Mechatroniker, zu forschen, zu entwickeln und gleichsam die Gründung ihres Start-ups vorzubereiten. Dabei helfen auch die „Andersmacher“, die Gründungsinitiative der Westfälischen Hochschule. Sie sind vor Ort aktiv, wollen Lust machen auf eigene Unternehmungsgründungen und wissen, wie es geht. Drei Coaches haben selbst Gründungserfahrung. Sie helfen bei Businessplan und anderen Formalitäten, stehen zur Seite wenn es darum geht, den „Pitch“, also die mündliche Präsentation des Unternehmensidee, vorzubereiten. Seit einem Jahr sind sie aktiv und betreuen derzeit beachtliche fünfzehn Gründerteams. „Immer mehr spürt man hier und in der Region den Gründergeist. Wir wollen aber auch die Gründer befähigen, mit Hürden umzugehen“, erklärt Pia Grandt.

Der Prototyp entsteht noch in diesem Jahr

Gründergeist und eine Idee: Beides haben Helen Kessel und Michael Roch bereits. Sie feilen an den letzten Kleinigkeiten, dann kann der erste Prototyp entstehen. „Den wird es in jedem Fall noch in diesem Jahr geben.“ Dann folge sogleich ein zweiter, an dem die Mitarbeiter der Diakonie das Bauen üben. Ein dritter Typ nimmt alle Erfahrungen des Baus und erster Einsätze auf. „Dann vergeben wir die Lizenz“, erklärt Michael Roch. Die Diakonie, so glauben beide, könne zunächst rund 200 Fahrrad-Autos im Jahr bauen. Andere Lizenznehmer könnten die Zahl erhöhen.

Erste Anlaufstelle

Die „Andersmacher“ der Westfälischen Hochschule sind erste Anlaufstelle für Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und auch Professoren, die interessiert sind an Unternehmensgründungen. Dabei ist es egal, ob jemand schon eine konkrete Idee hat, oder bei dem eigenen Modell-Start-up mitmachen will.

Workshops und individuelle Beratungsangebote helfen, die Chancen und Risiken auszuwerten und den Schritt zu wagen in die Selbstständigkeit. Mehr Informationen bietet die Internetseite andersmacher.w-hs.de.

Was das Gefährt irgendwann kosten wird? „10.000 Euro“, sagt der Erfinder und schiebt gleich nach, das sei kein ungewöhnlicher Preis für elektrisch unterstützte Lastenräder. Sicher, das sei so viel wie ein Kleinwagen. „Der aber kostet Steuern, Versicherung, Benzin. Das gibt es bei unserem Fahrrad-Auto nicht. Wir glauben, dass eine Menge Leute das Geld ausgeben könnten und würden, wenn sie an anderer Stelle sparen.“ Gleichsam setzen die 27-Jährige und der 36-Jährige auf Leasingmöglichkeiten. Ob sie dafür dann gleich ein Tochterunternehmen gründen müssen? „Nein“, sagen alle. Und Pia Grandt erklärt, ein Start-up, das sich mit Leasingmodellen befasse, habe die Westfälische Hochschule bereits hervor gebracht. Sie macht deutlich, hier entstehen nicht nur innovative Unternehmen, hier wächst auch ein Netzwerk junger Firmen heran, dass sich gegenseitig helfen und befruchten kann.