Gelsenkirchen-Buer. Eine Halle in der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen dient Entwicklern als Raum zum Arbeiten. Moderne Technik trifft hier auf Visionen.
Wenn sich die unscheinbare graue Tür öffnet, auf der ein aufgeklebtes Plakat den „Maker Space“ ankündigt, dann betritt man einen unglaublichen Mikrokosmos. Einen, in dem nahezu alles möglich scheint, in dem Visionen einen Raum haben. Kaum ein Quadratzentimeter, der nicht ausgenutzt ist. Kaum eine Ecke, in der nicht moderne Technik steht. Die kleine CNC-Fräse ist da schon fast ein alter Hut. Auch wenn man zunächst erschlagen ist von der Vielzahl der Eindrücke, eines ist sogleich spürbar: In dieser „Halle 1“ der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen wird Zukunft gedacht und gemacht.
Wo Hirngespinst zur Realität reifen - im Gelsenkirchener Experimentierraum
Drei Studenten sitzen an Arbeitsplätzen, tüfteln an ihren Projekten und sind überrascht von den Besuchern. Aus einem Lautsprecher erklingt klassische Musik. Noch. Gleich wird sie abgestellt werden. Vermutlich, um das Gespräch nicht zu stören.
„Das hier ist ein Experimentierraum, wo Hirngespinste ausprobiert werden können“, erklärt Hochschulpräsident Bernd Kriegesmann. Zugänglich sei der Raum vor allem Studenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Professoren, grundsätzlich aber stehe er jedem offen. Immer wieder gebe es auch Schülergruppen, die für ein Projekt kommen. Oder Firmen nutzen die technischen Möglichkeiten dieses Raumes, wie etwa den 3-D-Drucker.
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„Die Mischung derer, die hier her kommen, ist bunt“, erklärt Matthias Rheinlaender, selbst Master of Science und wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie einer der Projektleiter des „Maker Space“. Hier träfen, führt er aus, Amateure auf Profis. „Da entstehen ganz interessante Verbindungen. So viel Technik wir hier stehen haben, unsere leistungsstärkste Maschine ist unser Netzwerk.“
Ziel in Gelsenkirchen: Erfinder- und Unternehmergeist zu entwickeln und zu vermitteln
Wer hier nicht von allein her findet, wird nicht selten von den „Anders-Machern“ dazu ermuntert. Die Initiative lädt Studenten ein, ihre Visionen zu konkretisieren und auf ihre Realisierbarkeit zu prüfen. „Es geht darum, Erfinder- und Unternehmergeist zu entwickeln und zu vermitteln: denk doch mal quer, du darfst auch scheitern“, so Kriegesmann.
Und tatsächlich wirken hier Erfinder, irgendwo zwischen Daniel Düsentrieb und Bill Gates. Entsprechend spannend ist es, einfach mal durch die engen Gänge zu gehen und zu schauen. Die erste Aufmerksamkeit erregt ein Pflanzenschrank. Der sieht aus wie ein großer Kühlschrank ohne Tür. Mit Kunstlicht beleuchtet wachsen hier Tomaten, die so üppig sind, dass wohl jeder Kleingärtner große Augen bekäme. Der Prototyp knüpft an den Trend des „Indoorfarmings“ an. Mittlerweile werden bekanntlich an den kuriosesten Orten regionale Lebensmittel erzeugt. Etwa Erdbeeren in Island.
Pflanzschrank-Bausätze an Schulen - Im Unterricht Bewusstsein für Ressourcen schaffen
Ein solcher Schrank ist dennoch ungewöhnlich. Denn er könnte einst bei jedem von uns zu Hause stehen. „Die Idee ist, das erst einmal als Bausatz an Schulen zu geben für den naturwissenschaftlichen Unterricht“, erklärt Mario Zwiers, einer der Entwickler. Schüler könnten so lernen, wie Pflanzen unter welchen Bedingungen wachsen. Jene nämlich könne man durch die Beleuchtung und andere Parameter beeinflussen. Später einmal sei es denkbar, den Schrank für jeden zugänglich zu machen. Da bekommt man glatt ein bisschen Gänsehaut, fühlt sich erinnert an endzeitliche Science-Fiction-Filme. Nebeneffekt: Man lernt wie wichtig Ressourcen und Nachhaltigkeit sind.
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Tatsächlich aber hat das Konzept der effektiven Selbstversorgung einen realen Hintergrund: „Wir müssen in den nächsten vierzig Jahren so viel Lebensmittel generieren wie in den vergangenen 10.000 Jahren zusammen“, zitiert Mario Zwiers eine Studie und weiß damit zu beeindrucken. Geschuldet ist Lebensmittelproduktion dem rasanten Bevölkerungswachstum.
Beeindruckend ist erst recht die Kostprobe. Zwiers nimmt eine knallrote Tomate von einer buschigen Pflanze und reicht sie den Besuchern. Sie duftet ebenso aromatisch wie sie schmeckt. Kein Wunder. „Wir ahmen den hellsten und wärmsten Augusttag nach, den es gibt.“ Der große Vorteil für jene, die hier tüfteln, ist, dass es viele hilfreiche Nachbarn gibt. In den Hallen nebenan sind Fachleute der Werkstoffkunde am Werk, Beleuchtungsfachleute und Mitarbeiter eines Hochspannungslabors.
Gelsenkirchener Idee: Abwärme eine Computers für Fußbodenheizung nutzen
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Beim Schlendern durch den „Maker Space“ fällt der Blick auf einen stylischen Stuhl. Der sei fast eine Spielerei der Tüftler, macht aber einen Ansatz deutlich: Die Form folgt den Möglichkeiten. Steht eine Idee im Raum, prüfe man die Möglichkeiten der jeweiligen Maschinen, erklärt Matthias Rheinlaender. So sei die CNC-Fräse recht klein, könne also auch nur kleine Teile fräsen. Somit entsteht der Stuhl in einem Bausatz-Prinzip, das viele kleine Teile zu einem großen Stück vereint.
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Eine echte Innovation ist ein „Ding“, dessen Funktion man nicht sogleich erfasst. Das gute Stück heißt „Server-Heizung“, so Rheinlaender, der Erfinder. „Das soll die Fußbodenheizung werden für mein noch zu bauendes Tiny-House.“ Hat man es einmal nachvollzogen, ist die Funktionsweise simpel: Arbeitende Rechner, das weiß jeder, erzeugen Wärme. Diese wird hier durch wasserführende Schläuche aufgenommen und kann genutzt werden. Zudem strömt an den Seiten warme Luft aus.
Starthelfer für die Unternehmensgründung
Die „Halle 1“ der Westfälischen Hochschule ist die erste Anlaufstelle für Studenten mit Visionen und Erfindungen. Hier können sie jene auf ihre Realisierbarkeit überprüfen.Die „Anders-Macher“ helfen, aus einer Idee ein Konzept für eine Unternehmensgründung zu machen und an eventuelle Fördermittel zu kommen. Und nicht selten entstehe daraus ein junges innovatives Start-Up „Made in Gelsenkirchen“.
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Was diese Heizung an Wärme ausspuckt? „Dieser kleine Prototyp schafft eine Kilowattstunde.“ Und das ist gar nicht wenig. Ein Bildschirm zeigt die Vorlauftemperatur an – knappe 30 Grad Celsius. Für eine Fußbodenheizung sei das gerade richtig. Natürlich muss der Rechner auch arbeiten, um Wärme zu erzeugen. Da man dafür nicht ständig selbst sorgen kann, spendet die Hochschule die Kapazität in diesem Moment der Universität in Washington. Die berechnet hier gerade Daten für die Therapie von Parkinson-Patienten. „Man könnte aber auch Bitcoins berechnen.“ Die Berechnungen benötigen viel PC-Kapazität, wenn sie „geschürft“ werden. Die Heizung der Zukunft also könnte im Betrieb nicht Geld kosten, sondern es verdienen. Eine Vorstellung, die wohl jeden angesichts steigender Energiekosten mit Glück erfüllt.
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