Gelsenkirchen. Das Gesundheitsministerium steht in der Kritik, weil es zu hohe Kompensationsmittel gezahlt haben soll. Das sagen Gelsenkirchener Krankenhäuser.

Der Bundesrechnungshof kritisierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jüngst nicht nur dafür, dass es keine echten Kontrollmechanismen für die Abrechnung von Corona-Schnelltests gibt und Apotheken vergleichsweise viel Geld für den Vertrieb von Schutzmasken bekommen haben, auch die Kompensationszahlungen für Krankenhäuser werden scharf kritisiert. Der Verdacht steht im Raum, dass den Hospitälern zu viel und unnötigerweise Geld ausgezahlt wurde.

Tatsächlich zahlte der Bund für das Jahr 2020 rund zehn Milliarden Euro für Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser. Auf Kliniken in Gelsenkirchen entfielen davon zunächst rund 40 Millionen Euro, wie das Gesundheitsministerium in Düsseldorf auf WAZ-Anfrage erklärt. In der zweiten Kompensations-Phase vom 18. November 2020 bis zum 15. Juni 2021 wurden darüber hinaus in Nordrhein-Westfalen rund 1,3 Milliarden Euro ausgezahlt. Wie hoch der Anteil der Gelsenkirchener Krankenhäuser an diesem Betrag ist, der wegen Nachmeldungen sogar nosch wachsen könne, vermag das Ministerium noch nicht zu beantworten.

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Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass das derzeitige System der Ausgleichszahlungen „unerwünschte Mitnahmeeffekte“ eröffne. Die Zahlungen hätten vielen Krankenhäusern 2020 eine „massive Überkompensation“ aus Steuermitteln ermöglicht, weil der Bund nicht nur gezahlt habe, um freie Kapazitäten für Corona-Patienten zu gewährleisten, sondern vielmehr „das betriebswirtschaftliche Risiko“ einer nicht ausreichenden Belegung der Krankenhäuser mitgetragen habe.

Gesundheitsministerium: Keine Belege für falsche Angaben zur Auslastung der Intensivbetten

Spahns Ministerium hält dagegen und erklärt, dass von März bis September 2020 Krankenhäuser für jedes gegenüber dem Vorjahresdurchschnitt nicht belegte Bett eine Pauschale in Höhe von 560 Euro pro Tag erhalten hat. „An weitere Leistungsvoraussetzungen waren die Zahlungen nicht geknüpft, sodass nahezu alle Krankenhäuser, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß, in den Genuss dieser Ausgleichszahlungen gekommen sind“, so das Bundesgesundheitsministerium.

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Ab November 2020 zahlte der Bund erneut zeitlich befristete Ausgleichszahlungen, um die stationäre und intensivmedizinische Versorgung einer erneut steigenden Zahl von Corona-Patienten sicherzustellen. Diesmal jedoch wurden die Mittel zielgerichteter ausgezahlt, „um ausschließlich die Krankenhäuser in besonders belasteten Regionen zu unterstützen, die für die Sicherstellung der intensivmedizinischen Versorgung der Bevölkerung Behandlungskapazitäten freihalten“, so das Ministerium.

Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hat einem Zeitungsbericht zufolge bislang keine Belege dafür gefunden, dass Krankenhäuser falsche Angaben zur Auslastung der Intensivbetten gemacht haben, um höhere Ausgleichszahlungen zu erhalten. 70 Krankenhäuser, bei denen sich „Auffälligkeiten im Meldeverfahren“ gezeigt hätten, seien überprüft worden, sagte ein Ministeriumssprecher dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Mittwoch). Nach dem aktuellen Stand der Auswertung sei „kein systematisches Fehlverhalten von Krankenhäusern festgestellt“ worden.

Den Verdacht, einige Krankenhäuser könnten über Gebühr von den Ausgleichszahlungen profitiert haben, weisen die Sprecher der St. Augustinus Gelsenkirchen GmbH und des Evangelischen Krankenhauses zurück.

Katholische Krankenhäuser in Gelsenkirchen: „Corona-Verluste exakt in Euro und Cent zu beziffern, ist rein spekulativ“

So erklärt der Sprecher der katholischen Häuser etwa: „Die an uns geleisteten Ausgleichszahlungen haben im Ergebnis dazu geführt, dass wir unser übliches Erlösniveau erreichen konnten.“ Die Pandemie habe schließlich dafür gesorgt, dass sogenannte elektive – also nicht akut erforderliche – Eingriffe nur eingeschränkt möglich waren. „Die möglichen Verluste, die der Corona-Betrieb verursacht hat, exakt in Euro und Cent zu beziffern, ist rein spekulativ und erübrigt sich, weil die sogenannten Ausgleichszahlungen für Kompensation gesorgt haben“, so Wolfgang Heinberg.

50.000-Euro-Betten nicht auffindbar

Kritik am Bundesgesundheitsministerium wurde nun auch deshalb laut, weil der Bund von März bis September 2020 jedes neue Intensivbett mit 50.000 Euro zusätzlich finanziert hat. Insgesamt wurden deutschlandweit von den Krankenhäusern dafür knapp 700 Millionen Euro abgerufen. Teilt man die Summe durch den Zuschuss pro Bett, müsste es jetzt 13.700 neue Intensivbetten in Deutschland geben – doch die kann der Rechnungshof nicht finden.

Wie viele zusätzliche Intensivbetten in Gelsenkirchener Krankenhäusern abgerechnet wurden, beantwortete das Berliner Ministerium nicht. Die Daten würden nur aufgeschlüsselt nach Bundesländern erfasst.

Der Sprecher der Augustinus-Gruppe, die vier Hospitäler in der Stadt betreibt, erklärt, die Anzahl der Intensivbetten, „die wir während der Pandemie zur Verfügung gestellt haben, war vor der Pandemie, also z.B. in 2019, genauso hoch wie sie es heute ist. Wir haben für kein einziges Intensivbett eine Einmalzahlung von 50.000 Euro erhalten“.

Letztlich hätten die staatlichen Kompensationsmittel dazu beigetragen, dass die Augustinus-Gruppe für 2020 und 2021 „mit einem stabilen, wirtschaftlichen Unternehmensergebnis“ rechnet.

Evangelischen Kliniken Gelsenkirchen: „Kapazität von 16 auf 33 Intensivbetten verdoppelt“

Auf das Jahr 2021 blicken auch die Evangelischen Kliniken an der Munckelstraße „vorsichtig optimistisch“ und sehen mit Abebben der Pandemie und der zunehmenden Durchimpfung der Bevölkerung „eine stabilere finanzielle Lage“, wie EVK-Geschäftsführer Olaf Walter auf Nachfrage erklärt. Im ersten Quartal 2021 und den Monaten April und Mai sei aber weiterhin eine erhebliche Zurückhaltung der Patienten deutlich.

„Die Kompensation eines Teils der Einbußen, die aufgrund des politischen Willens [Anm. d. Red.: Kapazitäten vorzuhalten] entstanden sind, ist folgerichtig“, sagt Walter und betont, dass die Höhe der Ausgleichszahlungen sich nach dem Belegungsdurchschnitt des Jahres 2019 berechne. „Neu aufgebaute Kapazitäten werden hierbei also auch gar nicht berücksichtigt und daher auch nicht kompensiert.“

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Die EVK hätten im vergangenen Jahr den Auftrag der Politik unverzüglich umgesetzt, ausreichend Versorgungskapazitäten für Corona-Patienten vorzuhalten. Zusätzlich zur regulären Intensivstation hat das Unternehmen eine weitere Intensivstation aufgerüstet und nach eigenen Angaben alle Betten mit Beatmungsgeräten und Überwachungskapazität ausgestattet. „Die EVK haben so zu Beginn der Pandemie in kürzester Zeit ihre Kapazität von 16 auf 33 Intensivbetten verdoppelt und für Covid-19-Patienten frei gehalten“, so ein Sprecher.

Weitere Angaben zur Belegung, den Kosten und dazu, ob pro neu geschaffenem Intensivbett auch 50.000 vom Bund und weitere vom Land NRW in Aussicht gestellte Förderungen in Anspruch genommen wurden, machte die EVK nicht.

Kritik auch am Masken-Geschäft mit Apotheken

Der Bundesrechnungshof hatte dem Gesundheitsministerium überdies überhöhte Erstattungspreise bei der Massenverteilung von Corona-Schutzmasken im Winter vorgeworfen. Bei der Erstattung der Masken für Menschen ab 60 oder mit Vorerkrankungen habe es „eine deutliche Überkompensation“ zugunsten der Apotheken gegeben.

Wie profitabel die Maskenverteilung für Gelsenkirchener Apotheken im Detail war, lasse sich nicht sagen, so Nina Grunsky, Sprecherin des Apothekerverbands Westfalen-Lippe. „Uns liegt derzeit noch keine offizielle Bilanz vor.“ Fakt sei, dass innerhalb kürzester Zeit Apotheken Masken organisieren mussten, die zu diesem Zeitpunkt am Markt nur begrenzt und teurer als heute zu bekommen gewesen seien.

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„Der Markt war unübersichtlich und es gab sowohl mit Blick auf die Qualität als auch den Preis viele unseriöse Angebote. Die Apotheken hatten einen hohen Aufwand, die geforderte Qualität zu beschaffen und zu prüfen. Sie mussten zudem finanziell in Vorleistung gehen. Außerdem hatten sie die Ausgabe vor Ort zu organisieren, um Warteschlangen, Gedrängel und zusätzliche Infektionsrisiken zu vermeiden. Sie hatten zusätzliche Personal- und Betriebskosten“, betont Grunsky.

Wie sehr die hiesigen Apotheken unterm Strich von den Zahlungen des Bundes profitiert haben und ob die Summen angemessen waren, mag die Verbandssprecherin nicht konkreter beurteilen.

Unbestreitbar indes sei, dass in Gelsenkirchen die Zahl der Apotheken von 2003 bis 2018 um 24 Prozent zurückgegangen sei. „Und“, so Grunsky weiter, „der rückläufige Trend setzt sich fort.“