Gelsenkirchen-Schalke. Ein echter Wachstumsmarkt: In Cellophanbeuteln, sogenannten Blistern, portioniert Steinweg Medical in Gelsenkirchen Pillen für 17.000 Patienten.

Von außen ist die Vorgeschichte des Gebäudes noch durchaus zu erkennen: Rotbraune Klinker, weites Satteldach, funktionale Architektur, große Parkfläche rundum. So sehen ungezählte Lebensmittel-Discounter in Deutschland aus. Hier an der Magdeburger Straße 16c, wo Schalke sich so etwas wie einen industriellen Kern bewahrt hat, war mal Netto im Geschäft – eben Handelseinerlei. Seit dem 12. März arbeitet im runderneuerten Komplex ein Betrieb, der sich zu den bundesweit rund zehn Firmen zählt, die in großem Stil ein recht neues Wirtschafts und Dienstleistungsfeld besetzen: Die Steinweg Medical GmbH (SMG) ist spezialisiert auf die sogenannte „patientenindividuelle Verblisterung“.

Kernstück des Unternehmens ist der Reinraumbereich. Auf gut 500 der 1000 Quadratmeter Gebäudefläche wird unter besonderen Bedingungen gearbeitet: Spezielle Filter reinigen die Luft. Die wird zehnmal pro Stunde umgewälzt, die Luftfeuchtigkeit ist konstant. Menschen und Maschinen arbeiten hier sozusagen klinisch rein.

Steinweg Medical hat zwei Millionen Euro in Gelsenkirchener Betrieb investiert

Einblick in die Arbeit im Reinraum des Blisterzentrums: OB Karin Welge und Geschäftsführer Henning Rüdiger beim Betriebsrundgang.
Einblick in die Arbeit im Reinraum des Blisterzentrums: OB Karin Welge und Geschäftsführer Henning Rüdiger beim Betriebsrundgang. © Andreas Weiss

Wer in die SMG-Herzkammer will, muss entsprechend durch eine Sicherheitsschleuse: Einweg-Überschuhe und -Overall anziehen, Haarhaube überstülpen, Hände desinfizieren – erst dann geht es rein in die Produktion. Eine Prozedur, der sich Dienstag auch Oberbürgermeisterin Karin Welge unterzieht. Mit Vertretern der städtischen Wirtschaftsförderung besucht sie das Unternehmen. Als Spezialist auf dem Gesundheitssektor, so Welge, passe SMG mit „seinem Dienstleistungsangebot, das nicht zuletzt durch die Pandemie zunehmend an Bedeutung gewinnt, gut nach Gelsenkirchen“.

SMG ist ein „pharmazeutischer Produktionsbetrieb“. Geschäftsführer Henning Rüdiger nennt weitere Rahmendaten. „Wir sind Dienstleister für niedergelassene Apotheken und verblistern um die 50 Millionen Tabletten pro Jahr. Aktuell sind 140 Apotheken Kunden, die sich unter anderem auf die Arzneimittelversorgung von Pflegeeinrichtungen spezialisieren.“ Rund 17.000 Patienten werden, in der Regel wöchentlich, mit - in Summe – über 3500 verschiedenen Medikamenten versorgt.

In Schalke bieten sich auf 5000 Quadratmeter Grund Entwicklungsmöglichkeiten

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Im Zweischicht-Betrieb arbeiten 70 Beschäftigte für SMG in Gelsenkirchen. Am alten Standort waren die Grenzen des Wachstums erreicht. In Schalke bleiben auf dem 5000 Quadratmeter großen Grundstück weitere Entwicklungsmöglichkeiten. Der Betrieb brummt: „Wir sind in den vergangenen beiden Geschäftsjahren jeweils um die 30 Prozent gewachsen“, sagt Rüdiger.

Individuell für einzelne Patienten bestückt: Die Schlauchblister sind mit Pillen gefüllt. Aufdrucke geben Auskunft über Art und Wirkung der Medikamente oder auch die Einnahmezeiten.
Individuell für einzelne Patienten bestückt: Die Schlauchblister sind mit Pillen gefüllt. Aufdrucke geben Auskunft über Art und Wirkung der Medikamente oder auch die Einnahmezeiten. © Karsten Kuppig

Patientenindividuell verblistern bedeutet: SMG portioniert und verpackt feste, orale vom Arzt verordnete Arzneimittel für eine Dauermedikation. Dadurch entfällt das sogenannte Medikamente stellen durch Heim- oder Pflegepersonal, eine Aufgabe, die zeitintensiv ist und Irrtums-Risiken birgt. In (biologisch abbaubaren) Cellophanbeuteln, eben „Schlauchblistern“, werden die Pillen verpackt: Ein Code und Aufdrucke auf den fest verschlossenen Tütchen lassen (eigentlich) keine Fragen offen: Für welches Haus und welchen Patienten die Medikamente sind, welche Tabletten die Tütchen enthalten, wogegen sie wirken, wann und wie sie verabreicht werden sollen – all das erschließt sich über die Aufdrucke.

Maschinell werden Tabletten aus den Handelsverpackungen gedrückt

Neu verblistern heißt: Erstmal entblistern. Maschinell werden Tabletten aus den Handelsverpackungen gedrückt, in denen sie die Pharmaindustrie liefert. Zunächst landen sie in speziellen Boxen, die wiederum in Sortierautomaten eingehängt werden. Bis zu 500 verschiedene Medikamente kann jede Maschine aufnehmen. 13 arbeiten im Reinraum, spucken in zügigem Tempo ellenlange Schläuche mit sauber portionierten Tabletten, Kapseln und Dragees aus.

Milliardenmarkt Arzneimittel

Das Unternehmen SMG wurde 2006 durch den Apotheker Detlef Steinweg in Castrop-Rauxel gegründet. Mehrheitsgesellschafterin ist mittlerweile die Apothekergenossenschaft Noweda, deren Vertriebssystem SMG für die bundesweite Medikamenten-Zustellung nutzt.

Noweda mit Sitz in Essen hat 20 Niederlassungen in Deutschland. Eigentümer sind über 9300 Apothekerinnen und Apotheker. Mit 7,8 Milliarden Euro Gesamtumsatz ist Noweda eines der großen deutschen Handelsunternehmen.

Ein spezialisiertes Kamerasystem übernimmt die automatisierte Endkontrolle. An Rechnern und mit Scannern werden Daten und Fakten gespeichert. Für SMG geht es darum, maximale Sicherheit zu garantieren. Steinweg Medical erhielt als erste Firma eine Herstellungserlaubnis für diese Tätigkeit, Detlef Steinweg gilt seither als Pionier auf diesem Gebiet. Auch für den neuen Betrieb waren die Zulassungshürden hoch: Die Bezirksregierung Münster musste Umbau und Einrichtung absegnen.

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Das ehemalige Netto-Gebäude ist jetzt ein Pharma-Betrieb: Stadtrat Christopher Schmitt, Oberbürgermeisterin Karin Welge, Henning Rüdiger, Geschäftsführer Steinweg Medical GmbH, Thomas Jablonski, stv. Referatsleiter der Wirtschaftsförderung und Joachim Reinken, Leiter Unternehmenskommunikation Noweda, beim Firmenbesuch
Das ehemalige Netto-Gebäude ist jetzt ein Pharma-Betrieb: Stadtrat Christopher Schmitt, Oberbürgermeisterin Karin Welge, Henning Rüdiger, Geschäftsführer Steinweg Medical GmbH, Thomas Jablonski, stv. Referatsleiter der Wirtschaftsförderung und Joachim Reinken, Leiter Unternehmenskommunikation Noweda, beim Firmenbesuch © Andreas Weiss

Rund zwei Millionen Euro hat SMG in Gelsenkirchen investiert. Geschäftsführer Henning Rüdiger rechnet mit dauerhaftem Wachstum und weiterem Personalbedarf. Eine Botschaft, die eine Oberbürgermeisterin grundsätzlich gerne hört. Entsprechend „dankbar“ sei sie, sagt Welge, „dass Steinweg Medical aus dem Nettomarkt hier mehr gemacht hat“.