Gelsenkirchen. Die Bundeswehr hilft in Gelsenkirchen bei der Covid-19-Kontaktverfolgung. Warum das selbst für erfahrene Soldaten kein leichter Job ist.

Das Ende der Zettelwirtschaft bei der Kontaktverfolgung Infizierter in Gelsenkirchen naht. Bei der Außenstelle des Gesundheitsamtes in Buer, wo 15 Bundeswehrsoldaten das Team der Ärzte, Gesundheitsamtsmitarbeiter und weiteren Helfer unterstützen, ist die neue Zeit schon angebrochen. Nach ganztägigen Schulungen aller Mitarbeiter Anfang der Woche, gehen alle im Rahmen der Kontaktverfolgung gewonnenen Daten nun direkt digital ins System ein, auch die Labormeldungen zu den „Indexpersonen“, wie die positiv getesteten Personen intern heißen. Auch das RKI ist so direkt erreichbar.

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Von Thomas Mader, Stephanie Weltmann und unseren Lokalredaktionen

Sie sitzen zu zweit in den Büros, getrennt durch eine Plexiglasscheibe, in Tarnfarben, soldatische Dienstkleidung eben. „Getarnt“ ist auch die Dienststelle in dem Mehrfamilienhaus, in dem die Kontaktverfolger seit dieser Woche untergebracht sind. Nichts weist darauf hin. Auf drei Etagen mit je fünf Büros sitzen die Helfer, mit Headset auf dem Kopf und einer Namensliste (noch auf Papier) vor sich. Sie telefonieren ganztägig, geduldig und beharrlich. Die Aufgaben sind verteilt, eine Gruppe für die Indexfälle, eine für die Kontakte Infizierter aus Schulen und Kitas – aufgeteilt nach dem Alphabet –, eine andere für Infizierte und Kontaktpersonen in besonders gefährdeten Bereichen wie Altenheimen, Krankenhäusern und Arztpraxen.

Mit Seniorenheim-Leitern sprechen die Ärzte selbst

Oberfeldwebel Marco Kalipke hat in Gütersloh schon im Testzentrum nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies mitgeholfen.
Oberfeldwebel Marco Kalipke hat in Gütersloh schon im Testzentrum nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies mitgeholfen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Vor allem bei Fällen in Heimen und Kliniken sitzen die Ärzte selbst am Telefon, um geeignete Schutzmaßnahmen abzusprechen, erklärt Marco Kalipke, 31, Oberfeldwebel – und eigentlich in Augustdorf bei Bielefeld stationiert. Im Corona-Einsatz sind er und auch einige Kameraden aus seinem Standort bereits seit Juli: Er gehörte zum Testteam beim Corona-Ausbruch bei Tönnies in Gütersloh. In Gelsenkirchen unterstützen er und die Kameraden seit dem 1. Oktober das Gesundheitsamt. Bis zu dieser Woche allerdings saß man gemeinsam mit den anderen 15 Soldaten im Großraumbüro im Stadtsüden. „Das war schon anstrengend und laut“, räumt er ein. Die Arbeit hier in Buer ist angenehmer.

Oberstleutnant Thomas Barth ist stellvertretender Leiter der Kreisverbindungskommandos Gelsenkirchen.
Oberstleutnant Thomas Barth ist stellvertretender Leiter der Kreisverbindungskommandos Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Kontingent der Bundeswehr ausgeschöpft

30 Bundeswehrsoldaten – darunter eine Frau – sind in Gelsenkirchen im Einsatz, 1.000 sind es NRW-weit . Dass noch mehr kommen, ist eher unwahrscheinlich, da das Kontingent je 1.000 Einwohnern in Gelsenkirchen schon übererfüllt ist und die Ressourcen – so Thomas Barth – bereits knapp werden.

Aufstocken will das Gesundheitsamt Gelsenkirchen das Team für die Kontaktverfolgung trotzdem. Die Suche nach Mitarbeitern und Arbeitsplätzen für diese läuft bereits.

20 bis 30 Kontakte schafft jeder Mitarbeiter im Schnitt pro Tag. Gearbeitet wird nach einem festen Fragenschema. „Als Erstes fragen wir immer, wie es dem Angerufenen und der Familie geht. Erst dann geht es um Kontakte, Verhaltensweisen und Quarantänehinweise. Über die Quarantäne entscheiden ja nicht wir, sondern die Ärzte. Die Regeln dafür haben sich schon mehrfach geändert, aber es hängt auch mit dem Kontaktzeitpunkt zusammen“, erklärt Kalipke. Das Team, das die Infizierten in Quarantäne betreut, rufe nicht zwingend täglich an zur Kontrolle: „Aber wir stehen bereit, wenn es Probleme gibt. Die Betroffenen bekommen auch unsere Durchwahl, damit sie sich nicht durch die Hotline quälen müssen. Und vor allem gegen Ende der Quarantäne melden wir uns auch selbst noch mal.“

Schlechte Erfahrungen und Coronaleugner sind die Ausnahme

Orkun Kaya spricht fließend türkisch. Was ihm bei türkischstämmigen Betroffenen, selbst jenen, die deutsch sprechen den Zugang sehr erleichtert.
Orkun Kaya spricht fließend türkisch. Was ihm bei türkischstämmigen Betroffenen, selbst jenen, die deutsch sprechen den Zugang sehr erleichtert. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Schlechte Erfahrungen mache man eigentlich nur in Einzelfällen, versichert Kalipke und die Kollegen bestätigen das. Natürlich gebe es auch Coronaleugner und solche, die sauer sind, weil das Gesundheitsamt sich so spät gemeldet hat. „Aber unsere Soldaten sind sehr sensibel, sind deeskalierend geschult. Das Empathievermögen hat sich bei unserer neuen Personalstruktur doch stark verbessert“, versichert Thomas Barth, Oberstleutnant und stellvertretender Leiter des Kreisverbindungskommandos Gelsenkirchen. Orkun Kaya, auch er Soldat, spricht fließend türkisch und kontaktiert daher naturgemäß vor allem Betroffene mit entsprechenden Namen. „Es sprechen zwar viele längst Deutsch hier. Aber es hilft trotzdem sehr, wenn die Leute merken, dass ich einer von ihnen bin“, hat Orkun Kaya festgestellt.

Zwei Drittel leben im Hotel in Buer

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Die Herausforderungen für die Soldaten vor Ort sind nicht klein. Von Oktober bis Jahresende sind sie hier im Einsatz, von 7 bis 17 Uhr ist Dienstzeit, zwei Drittel leben in Buer im Hotel. Nach Hause geht es nur am Wochenende, gesellige Runden abends miteinander sind verpönt. Die Verpflegung hat die Freiwillige Feuerwehr Ückendorf übernommen. „Vegan und halal inklusive, das ist großartig“, lobt Thomas Barth. Ansonsten meint er: „Für die Soldaten ist das hier Krieg.“

Allerdings sind die meisten Soldaten hier – durchweg erfahrene – auch sonst nicht im Kampfeinsatz, sondern vor allem mit Logistik und Materialversorgung befasst. Als Soldaten geben sie sich am Telefon nicht zu erkennen, nur mit Namen meldet man sich, „um niemanden zu erschrecken.“

Von der Familienhebamme zum „Containment Scout“

Kontaktfrau zum Gesundheitsamt in der Außenstation ist unter anderem Ariane Giesen. Eigentlich arbeitet sie als Familienhebamme für die Stadt. „Bis zu einem Freitag im März“, erinnert sie sich. „Seither bin ich in Sachen Corona eingebunden. Containment Scout heißt das, was ich jetzt tue offiziell.“ Und das wird wohl auch noch eine ganze Weile so bleiben.