Gelsenkirchen. Inzidenz steigt in Gelsenkirchen auf 204,5. Jetzt droht Distanzunterricht und wohl auch eine Ausgangssperre, die kaum kontrolliert werden kann.

Die Osterfeiertage haben einige Zeit das Bild der tatsächlichen Corona-Infektionslage in Gelsenkirchen getrübt. Weniger Tests und die verspätete Bearbeitung der Ergebnisse führten dazu, dass der Inzidenzwert vom Robert-Koch-Institut noch am Montag mit 117,5 angegeben wurde.

Nur drei Tage später, am Donnerstag, ist der Wert auf 204,5 geklettert. Während sich Schüler, Eltern und Lehrer ohnehin nahezu jeden Tag neu orientieren müssen, ob sie nach den Osterferien nun wieder vor Ort in den Schulen, im Distanzunterricht, im Wechsel oder als Abschlussjahrgang gar in Klassenstärke im Präsenzunterricht lernen dürfen, kommt für Gelsenkirchen nun eine weitere Komponente dazu.

Stadt Gelsenkirchen steht im Austausch mit dem Bildungsministerium

NRW-Bildungsministerium Yvonne Gebauer (FDP) hatte am Mittwoch erklärt, dass gemäß des geplanten bundeseinheitlichen Infektionsschutzgesetzes in Städten mit einer Inzidenz über 200 der Präsenzunterricht eingestellt werden soll. Die geplante Regelung sieht für die Schulen – mit Ausnahmemöglichkeiten für Abschlussklassen – in ganz Deutschland Distanzunterricht ab einem lokalen Inzidenzwert von 200 vor. Die Stadtverwaltung steht mit dem Düsseldorfer Bildungsministerium im Austausch, um zu klären, welche Schüler in Gelsenkirchen ab dem 19. April nun tatsächlich unter Einhaltung der Testpflicht in den Präsenzunterricht gehen dürfen. Eine Entscheidung steht noch aus.

Ebenso noch nicht final entschieden, aber wahrscheinlich ist, dass angesichts der Infektionslage schon sehr bald eine Ausgangssperre von Ückendorf bis Hassel gilt. Denn nach wie vor gilt nur der Inzidenzwert als entscheidende Größe bei der Frage nach der Verschärfung der Coronaschutzmaßnahmen, und dieser ist in Gelsenkirchen besonders hoch.

Am Dienstag hat das Bundeskabinett bereits die Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Obwohl bereits einige Gerichte verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet und die Regelung wieder einkassiert haben, sieht die Corona-Notbremse auch nächtliche Ausgangssperren in der Zeit von 21 bis 5 Uhr vor.

Noch muss das Gesetz durch den Bundestag, der Bundesrat muss nach Auffassung der Bundesregierung aber nicht zustimmen, weil es sich bei der Novelle des Infektionsschutzgesetzes um ein Einspruchsgesetz handelt. Das bedeutet, dass der Bundesrat allenfalls mit der Mehrheit der Mitglieder Einspruch einlegen kann, was die Einsetzung des Vermittlungsausschusses zur Folge hätte.

Doch wie soll eine Ausgangssperre in Gelsenkirchen überhaupt kontrolliert werden?

Die Stadt steht vor Herausforderungen, die sie im Grunde gar nicht lösen kann. 51 Mitarbeiter gibt es beim Kommunalen Ordnungsdienst, die dann – bei Einführung der Ausgangssperre – nicht nur tagsüber, sondern auch in der Nacht auf Gelsenkirchens Straßen kontrollieren müssten. „Grundsätzlich kann man nicht alle Bürger überwachen“, betont in diesem Zusammenhang die Polizei.

Derzeit sei das Thema Ausgangssperre und die Kontrolle der Einhaltung noch reine Spekulation, heißt es seitens der Polizei. Die Gelsenkirchener Behörde befände sich aber in Gesprächen mit der Stadt, so ein Polizeisprecher auf Nachfrage. „Als Amts- und Vollzugshilfe zur Unterstützung des Kommunalen Ordnungsdienstes sind wir da“, so der Sprecher weiter. Wie und in welchem Umfang das sein wird, dafür sei es derzeit eben einfach noch zu früh.

Auch Stadtsprecher Martin Schulmann erklärt, dass die Stadtverwaltung zunächst abwarten wolle, wie das Gesetz denn konkret formuliert sein wird, ehe sie beantworten kann, wie und ob sie die Einhaltung überhaupt kontrollieren kann. Zur Zeit sei beispielsweise noch völlig ungeklärt, nach welchen Kriterien ein Ordnungsdienstmitarbeiter oder ein Polizist entscheiden soll, wann ein berechtigter Grund vorliegt, um gegen die Ausgangssperre zu verstoßen, und wie das überprüft werden soll.

Ausgangssperren sind umstritten

Nicht zuletzt deshalb ist die geplante Ausgangssperre höchst umstritten. Während Kritiker sie für verfassungswidrig halten, äußerte beispielsweise Essens Oberbürgermeister und Städtetags-Vize Thomas Kufen (CDU) zwar grundsätzliche Skepsis gegenüber Ausgangssperren, verwies aber zugleich auf die Wirksamkeit dieser drastischen Maßnahme: Internationale Studien zeigten, dass kurzfristig ein Beitrag zur Reduzierung der Corona-Infektionszahlen zu erwarten sei. „Insbesondere können Ausgangssperren dabei unterstützen, private Zusammenkommen zu verhindern. Der eigene Haushalt ist nach wie vor der häufigste Infektionsort“, so Kufen.

Führende Aerosolforscher warnten dagegen, die Ausgangssperren versprächen mehr als sie halten können. „Die heimlichen Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen noch mehr zu entziehen“, schrieben die Fachleute in einem Brief an die Bundesregierung – und betonten, Sars-CoV-2-Erreger würden fast ausnahmslos in Innenräumen übertragen. Im Freien sei das äußerst selten, im Promille-Bereich. Hierauf sollten die begrenzten Ressourcen nicht verschwendet werden.

Wie Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) über Ausgangssperren denkt, wollte sie auf WAZ-Nachfrage nicht beantworten. Die erste Bürgerin der Stadt ließ durch Stadtsprecher Martin Schulmann erklären: „Wir werden zunächst abwarten, wie der Gesetzestext konkret aussieht und welche Ausführungsbestimmungen es dazu geben wird. Damit ist es auch zu früh für eine politische Aussage seitens der Oberbürgermeisterin.“

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