Gelsenkirchen-Buer. Nach 204 Jahren ist die „Buersche Alte Apotheke“ in Gelsenkirchen ab sofort geschlossen. Der Grund: Eine wirtschaftliche Schieflage.
Sie war einst die erste ihrer Art in Buer: Am 1. April 1817 eröffnet im damaligen Neubau an der Hochstraße die „Buersche Alte Apotheke“. Jahrzehnte lang ist sie die einzige Apotheke am Platz, ist bis heute für alle Bueraner untrennbar mit dem Stadtbild verbunden. Diese Ära jedoch ist ab sofort vorbei. Seit Wochenbeginn ist die Apotheke in Gelsenkirchen geschlossen – einige Tage vor dem geplanten Termin, weil etliche Mitarbeiter sich krank gemeldet haben.
Warum Inhaber Gerhard Daniel schließen muss? Er hat Insolvenz angemeldet. Seit der Pandemie gingen die Umsätze stetig zurück. „Die Stadtapotheken haben alle ihr Päckchen zu tragen, weil die Menschen viel online bestellen. Coronabedingt. Bis dahin hatten wir sogar Umsatzzuwächse in beinahe zweistelliger Höhe.“ Nun aber verschärfen sich Probleme, die so neu nicht sind: Es fehlt an Ärzten im direkten Umfeld, viele Praxen sind geschlossen worden. Das verursache einen Mangel an Patienten. „Coronabedingt fehlen natürlich auch die Gelegenheitskäufe.“ Schließlich vertreiben Apotheken schon lange nicht mehr nur Medikamente, sondern auch Kosmetik und vieles andere.
Für den Gelsenkirchener endet auch ein Stück Familiengeschichte
In dieser Zeit erreicht Gerhard Daniel ein Steuerbescheid, der eine hohe Nachzahlung fordert. Weil er die nicht sogleich begleichen kann, scheint die selbstverwaltete Insolvenz, eine Besonderheit im Apothekerwesen, die beste Lösung, um das Unternehmen wieder auf solide Beine zu stellen. „Daraufhin hat die Amtsapothekerin der Stadt die Schließung verfügt.“ Dabei berufe sie sich auf das Apothekengesetz, wonach Apotheker im Falle einer Insolvenz ihre Vertrauensstellung verlören, erklärt der Pharmazeut und sagt: „Das war korrekt, aber auch eine Ermessenssache.“ Menschlich sei er enttäuscht.
Zumal für den 74-Jährigen auch eine ganz persönliche Ära endet. Im Jahr 1927 nimmt Vater Erich Daniel in der Traditionsapotheke seine Arbeit auf. 1939 pachtet er den Betrieb, zehn Jahre später übernimmt er ihn ganz – mitsamt der Immobilie. „Das ist mein Elternhaus. Wir haben hier oben gewohnt. Das war bis zum Studium mein Zuhause.“ Der Beruf, so sagt Gerhard Daniel, sei ihm quasi in die Wiege gelegt worden. „Ich musste Pharmazie studieren. Mein großer Traum damals war es, zur Marine zu gehen.“ Für zwei Jahre in der Jugend erfüllt sich der gebürtige Erler diesen Wunsch. Beim Sanitätsdienst bringt er es zum „Flottenapotheker“, das entspricht dem Rang eines Oberst. „Ich bin auch ein bisschen zur See gefahren.“
Das müssen die Kunden der Apotheke wissen
Sonderfall: Insolvenz bei Apotheken
Der Insolvenzfall ist bei einer Apotheke schwierig. Eine Insolvenz nämlich besteht grundsätzlich darin, dass ein von Gericht bestellter Insolvenzverwalter im Idealfall versucht, den Betrieb zu retten oder ihn, im schlechteren Fall, abwickelt.
Das Apothekenrecht jedoch schreibt eindeutig vor, dass eine Apotheke nur von einem Pharmazeuten geleitet werden darf. (§7 ApoG: „§ 7 Die Erlaubnis verpflichtet zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung.“) Eine Trennung in einen pharmazeutischen und einen wirtschaftlichen Teil ist nicht zulässig. Es kann, per Sondererlaubnis durch ein Gericht, eine selbstverwaltete Insolvenz, betreut durch einen fachlichen Berater, durchgeführt werden. Im Falle der „Buerschen Alten Apotheke“ sei dies von der Amtsapothekerin nicht gestattet worden, so Daniel.
Zum 1. Januar 1976 übernimmt der junge Mann den elterlichen Betrieb – zunächst als Pächter. Seit 1992 ist die Apotheke das Eigentum des Pharmazeuten, der „ganz nebenbei“ auch studierter Medizinhistoriker und Historiker ist. Vor ein paar Jahren trennt er sich von der Immobilie. Nun steht auch der Abschied von der Apotheke an. Für ihn selbst und alle Bueraner. Denn schon jetzt sei klar, künftig werde das Ladenlokal anderweitig genutzt. „Ich habe erfolglos einen Käufer gesucht.“ Das sei der aktuellen Lage geschuldet.
Eigentlich hätte der Betrieb noch einige Tage weiter laufen sollen. Weil es nun an Mitarbeitern fehlt, können nun nur noch vorbestellte Medikamente montags bis freitags von 10 bis 13 Uhr abgeholt werden. Den Abschied mache das nicht einfacher. „Was mich richtig angerührt hat ist, dass hier einige Tränen geflossen sind. Das ist für Buer ein ziemlicher Schock.“
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