Gelsenkirchen. Probleme der Armutsmigration - wie die Vermüllung in Gelsenkirchen - müsse man diskutieren ohne Stereotype zu bedienen, sagen Betroffene.

  • Bei der Diskussion um die Armutsmigration aus Südost-Europa werden oft Ressentiments gegen Sinti und Roma verstärkt, kritisiert der NRW-Landesverband Deutscher Sinti und Roma.
  • Gefordert wird mehr Aufklärung über die schwierige Situation vieler Roma-Familien und ihre jahrhundertelange Diskriminierungsgeschichte.
  • Der Antiziganismus - die Diskriminierung von Sinti und Roma - spielt auch im Programm der Gelsenkirchener Wochen gegen Rassismus eine Rolle.

Während in Talkshows gerne diskutiert wird, wie man pikante Paprikasaucen nun nennen soll, spielt sich der Antiziganismus – die Diskriminierung von Sinti und Roma – in Städten wie Gelsenkirchen auf völlig anderen Ebenen ab. Von vermüllten und heruntergekommenen Grundstücken bis Verdachtsfällen von Kindergeldbetrug gibt es zahlreiche Probleme, die mit der Armutsmigration aus Südosteuropa in Verbindung gebracht werden – in ihrer Abhandlung aber häufig antiziganistische Zuschreibungen mitschwingen lassen.

So beobachtet es Roman Franz als Vorsitzender des Landesverband Deutscher Sinti und Roma in NRW. „Wir werden sehr oft über einen Kamm geschoren“, sagt der 72-Jährige. Anlässlich der aktuellen internationalen Wochen gegen Rassismus fordert er mehr Aufklärung über die jahrhundertelange Diskriminierungsgeschichte der Sinti und Roma und wünscht sich, dass Debatten über Schwierigkeiten in den Problemvierteln von Städten wie Gelsenkirchen mit mehr Fingerspitzengefühl geführt werden.

Warum Gelsenkirchens Müll-Problem nichts mit Roma zu tun hat

Die Arbeitsscheuen, die Schmutzigen, die Bettler: Schädliche Stereotype, mit denen nicht zuletzt die Nationalsozialisten die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma in Konzentrationslagern begründeten, seien auch im Ruhrgebiet weiterhin gegenwärtig. „Was aber“, fragt Roman Franz, „können Menschen dafür, wenn ihnen eine Wohnung vermietet wird, die verschimmelt ist, die eigentlich für eine vierköpfige Familie gedacht ist, in der sie aber zu zehnt Platz nehmen sollen?“

So erkläre sich schließlich auch der Müll vor vielen Problemhäusern: Wo nur drei Tonnen stehen, aber viel mehr Menschen wohnen als angedacht, quelle der Müll schließlich schnell über. Hinzu komme, dass viele Roma in ihren Heimatländern unter „menschenunwürdigen Bedingungen“ leben müssen, „häufig auf Müllkippen am Rande der Stadt“ - und diese Lebenserfahrung mit ins Ruhrgebiet nehmen.

Michael Niehaus hat als Teamleiter der Caritas-Flüchtlingshilfe ebenfalls viele Begegnungen mit Roma-Familien. Er ergänzt. „Es ist nie in Ordnung, wenn jemand Müll nach draußen wirft. Aber jemand wirft seinen Müll nicht nach draußen, weil er Teil der Roma ist, sondern weil er ein Mensch ist, der sich nicht an Regeln hält. Und es macht niemand stellvertretend für seine Gruppe. Die ethnische Gruppenzugehörigkeit ist immer nur ein kleiner Teil der Identität eines Menschen.“

Roma verstecken ihre Identität

Dass genau dieser Teil der Identität von vielen Sinti und Roma versteckt werde, erlebt Niehaus häufig. „Aus Angst weiter ausgegrenzt zu werden, wollen es viele am liebsten gar nicht erst erwähnen.“ Schließlich sei es nicht nur die Aussicht auf bessere Arbeit und Bildung, die viele Roma zur Ausreise bewege.

Projekte von Awo und Caritas

Mit ihrem Projekt „Insan Rom - Mensch Mensch“ gibt die Caritas Gelsenkirchen erlittener Diskriminierung ein Gesicht und lässt Betroffene auf Fotos und Videos zu Wort kommen. Auf facebook.com/InsanRom wird auch eine Romni aus Gelsenkirchen zitiert mit den Worten „30 Euro für 12 Stunden Arbeit ist nicht fair“. Wie Caritas-Mitarbeiter Michael Niehaus erzählt, habe die Dame in Deutschland sieben Tage die Woche ganztägig für einen solchen Tagessatz in einem Restaurant gearbeitet.

Die Awo hat angesichts der internationalen Wochen gegen Rassismus die Kommunikationsplattform awovielfalt-gelsenkirchen.info online gestellt. Auf der Website sind Vorträge zu Themen wie Integration durch Sport, Gesundheit und Migration oder Frauenrechte und Gewaltfreiheit zusammengestellt. Die Beiträge sind im Rahmen der digitalen Fachtagung „GElungenes Zusammenleben GEstalten“ entstanden.

Nicht zuletzt sei es auch die ganz alltägliche Diskriminierung in der balkanischen Heimat, die Roma-Familien letztendlich nach Gelsenkirchen bringen würde, ergänzt Admir Bulic von der AWO-Integrationsagentur. „Deswegen wollen sich viele auch hier in Gelsenkirchen nicht öffnen.“ Bulic wünscht sich keine „rosarote Sozialromantik“, aber fordert von den Gelsenkirchenern, sich mehr über die Zugezogenen und ihre Migrationsgründe zu informieren.

„Das Z-Wort ist ein zutiefst demütigendes Wort“

Wer nach Gelsenkirchen migriert, ist üblicherweise ein Rom oder eine Romni und kein Sinto oder eine Sintiza. Während Sinti Angehörige einer Minderheit sind, die sich längst in Deutschland und anderen west- und mitteleuropäischen Staaten angesiedelt haben, leben Roma in der Regel in Südost-Europa.

Statt sich als Rom oder Sinto zu bezeichnen, würden viele aber einfach selbst „Zigeuner“ sagen, wenn sie nach ihrer Herkunft gefragt werden, sagt Roman Franz. „Denn oft weiß das Gegenüber nichts mit den Wörtern Rom oder Sinto anzufangen. Franz hält es dennoch für falsch, das Z-Wort aus pragmatischen Gründen als Selbstbezeichnung zu verwenden. Auch der Gesellschaft sei es zuzumuten, andere Vokabeln anzunehmen.

Und die Talkshow-Debatten über Z-Soße und Z-Schnitzel? Die erübrigen sich laut Franz, wenn man bedenkt: „Das ‚Z‘ für Zigeuner wurde uns von den Nazis in die Haut gebrannt. Es beinhaltet die negativsten Zuschreibungen, die man sich ausdenken kann. Es ist nichts weiter als ein demütigendes Wort.“

Das Thema Antiziganismus wird auch im Gelsenkirchener Programm der Anti-Rassismus-Wochen abgedeckt. Silas Kropf, ein deutscher Sinto aus Hanau und Mitglied der „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ im Bundesinnenministerium, referiert am Mittwoch (24.3.) in einem Online-Vortrag über die Geschichte der Sinti und Roma und die immer noch vorherrschenden Feindbilder. Der Vortrag findet von 18 bis 20 Uhr statt. Wer teilnehmen möchte, kann sich per Mail an sabine.walther@gelsenkirchen.de anmelden. Der Link zum Vortrag kommt mit der Anmeldebestätigung.