Die jüdische Gemeinde Gelsenkirchen bereitet sich auf das zweite Pessach-Fest in Corona-Zeiten vor. Es ist in diesem Jahr ein ganz besonderes.

„Das Judentum lebt von der Gemeinschaft. Alles soll miteinander gemacht werden. Man kann unsere Religion nicht alleine leben“, erklärt Judith Neuwald-Tasbach. Das stellt die Gelsenkirchener Gemeinde seit Ausbruch der Pandemie schon vor Probleme. Besonders wieder jetzt, wo das wichtige Pessachfest bevorsteht.

In normalen Zeiten wäre das ein bedeutsamer wie schöner Höhepunkt im religiösen Jahr. Es ist ein Fest der Freiheit, der Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Knechtschaft. Davon erzählt das „Pessach-Haggadah“. Ein kunstvolles, altes Exemplar dieses Buches hat die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen mitgebracht. Es vereint Bilder und Bibelverse, die an die Zeit der Gefangenschaft erinnern, gibt Anweisungen, wie die sieben Tage des Festes zu begehen sind. „Die Geschichte des Auszugs aus Ägypten in die Freiheit ist der Schlüsselmoment im Judentum. Wann immer wir Pessach feiern, sollen wir dem nicht nur gedenken, wir sollen die Befreiung nachempfinden.“ In diesen Zeiten sei das gar nicht so schwierig. Was Freiheit bedeute, das lerne man durch Corona auf neue Weise.

Vor dem Fest wird auch in Gelsenkirchen geputzt

Der Hausputz gehört zur Tradition: Alena Prusak, Mitglied der jüdischen Gemeinde, breitet ihre Wohnung auf das Pessach-Fest vor.
Der Hausputz gehört zur Tradition: Alena Prusak, Mitglied der jüdischen Gemeinde, breitet ihre Wohnung auf das Pessach-Fest vor. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Mitgebracht hat Judith Neuwald-Tasbach auch einige Grundzutaten für das Fest. Gleich drei Pakete „Matzen“ stehen zur Ansicht bereit, das ungesäuerte Brot. Während der Festtage ist es Juden untersagt, Gesäuertes zu essen. „Weil auf der Flucht nicht die Zeit war, den Brotteig säuern zu lassen. Wir dürfen auch keine Hülsenfrüchte essen, weil man die einweichen muss. Auch dafür hatten die Menschen auf der Flucht nicht die Zeit.“ Darauf seien die jüdischen Rezeptbücher aber vorbereitet. „Man isst gut und muss nicht hungern“, sagt die orthodoxe Jüdin und lacht dabei.

Viele Tage vor dem Fest beginnen die Vorbereitungen. Es ist ein Gebot, das ganze Haus gründlich zu putzen. Die verbotenen Lebensmittel müssen entfernt und eigentlich verbrannt werden. „Das macht heute kaum jemand mehr. Meistens verschenkt man das an Nachbarn.“ Solche wiederkehrenden Handlungen seien sehr wichtig für die Gemeinschaft der Juden. „Diese Traditionen geben uns Halt und Sicherheit. Wenn wir an Pessach zusammen sitzen, dann weiß ich: Alle Juden auf der Welt tun in diesem Moment das gleiche – das verbindet uns über Raum und Zeit hinweg.“

Darum ist die Pandemie für die Juden ein schwerer Einschnitt

Wobei das mit dem zusammen sitzen so eine Sache ist in Pandemiezeiten. Ein bisschen versuche man, normale Angebote zu machen. So finde, unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen, ein Gottesdienst statt. Gegebenenfalls werde man vor der Türe Schnelltests durchführen. Der Bruch des Gebotes der Gemeinschaft lasse sich überhaupt nur mit einem Argument rechtfertigen: „Das Gesetz, das über allem steht, ist, dass man niemanden einer Gefahr aussetzen darf. Das entlastet uns.“ Dennoch sei die derzeitige Lage eine Zäsur. „In allen Punkten des Lebens steht für uns Juden der gemeinschaftliche Austausch an erster Stelle. Die Pandemie bedeutet für uns einen schweren Einschnitt.“

Fest mit vielen Traditionen

Das Pessachfest beginnt am Samstagabend, 27. März, und dauert bis Sonntag, 4. April. An diesen Tagen werden viele Traditionen gelebt, insbesondere an den ersten beiden Tagen.Am „Seder-Abend“ liest man in der Gemeinschaft das Buch „Pessach-Haggadah“ und folgt den Anweisungen, nimmt rituelle Speisen zu sich wie das Nussmus „Haroseth“, ein Symbol für die Lehmziegel, welche die Juden für die Ägypter fertigen mussten. Kräuter werden in Salzwasser getaucht und gegessen, um an die Tränen zu erinnern, die in der Knechtschaft folgten.Vorgeschrieben ist auch, vier Gläser Wein zu trinken und sich dabei auf der linken Lehne des Stuhls anzulehnen – weil dies die Seite der Freiheit ist.

Aber man müsse es eben nehmen, wie es kommt. In ein paar Tagen beginnt das Pessachfest und sicher werde es trotzdem bedeutsam und schön. Zumal es in diesem Jahr Symbolhaftes an sich hat: Der Auftakt des Festes ist der Vorabend des Palmsonntages. Damit fällt Pessach auf die Zeit, wie es schon einstmals war, als Jesus, selbst Jude, zu eben diesem Fest nach Jerusalem kam. „Das ist großer Zufall, dass das genau passt – eine schöne Gemeinsamkeit in diesen schwierigen Zeiten.“