Gelsenkirchen. Grüne und PARTEI fordern Liveübertragungen von Gelsenkirchener Ratssitzungen schon ab Mai. Warum es aus ihrer Sicht endlich Zeit dafür ist.

In vielen Ruhrgebietsstädten ist es längst Programm, in Gelsenkirchen ist man weiterhin nicht auf Empfang: Liveübertragung von Sitzungen des Stadtrats werden in der „Digitalen Modellstadt“ zwar seit Jahren diskutiert - sind aber immer noch untersagt. Nun nimmt die Grünen-Fraktion gemeinsam mit der zweiköpfigen Ratsgruppe der PARTEI einen weiteren Anlauf.

Gemeinsam legen Öko- und Satirepartei einen Antrag vor, über den der Stadtrat bei der nächsten Sitzung am 4. März abstimmen soll. Demnach soll das Rats-Fernsehen schon am 20. Mai auf Sendung gehen - ob wieder coronabedingt in der Schürenkamp-Halle getagt wird oder nicht. „Wenn mehr Menschen in Gelsenkirchen mitbekommen, um was es eigentlich im Rat alles geht, dann könnte die Politikverdrossenheit etwas sinken“, heißt es in dem Antrag. Nur: Wird so ein Angebot überhaupt sein Publikum finden?

Wer nicht gefilmt werden will, bleibt einfach sitzen

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„Es ist völlig egal, ob und wie viele das gucken würden“, argumentiert PARTEI-Ratsmitglied Gregor Stein. „Es geht einfach darum, dass man möglichst viel Transparenz schafft.“ Lokalpolitik dürfe nicht unbeobachtet stattfinden. Dass in der Vergangenheit häufig angebrachte Argument gegen Rats-TV, ehrenamtliche Lokalpolitiker damit auf eine Bühne zu drängen, auf der sie sich als Nicht-Profis möglicherweise nicht wohlfühlen, lässt Stein nicht gelten: „Auch wenn man als Hobby-Politiker antritt, entscheidet man sich damit, in die Öffentlichkeit zu treten.“

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Die Aufzeichnungen sollen erst in einer Mediathek, später auch im Stadtarchiv gesichert werden. Ob und wie jemand gefilmt werde, habe jedes Ratsmitglied dabei selbst in der Hand, erläutert Adrianna Gorczyk, Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion. „Die Kamera wird auf das Rednerpult im Ratssaal gerichtet sein. Wenn man auf seinem Platz sitzen bleibt, wird nur der Ton aufgezeichnet.“

Zwar werden auch aktuell schon Tonaufnahmen der Ratssitzungen angefertigt – allerdings nicht für die Öffentlichkeit. Und auch für Ratsmitglieder sei es schwierig, an diese heranzukommen. „Man muss viele Hebel in Bewegung setzen“, ärgert sich Gorczyk. Schriftliche Protokolle stünden dagegen erst nach langer Wartezeit und auch nur in Form von Ergebnisprotokollen bereit.

Grünen-Fraktionschefin hofft auf Wettbewerb um die beste Öffentlichkeitsarbeit

Die Rechte jedes gefilmten Wortbeitrags sollen nach Vorstellung von Gorczyk bei jedem Redner selbst liegen. Abzusehen ist, dass das verstärkt die AfD für sich nutzen wird, die als politische Kraft mit der größten digitalen Followerschaft dafür bekannt ist, Auszüge aus Parlamentsbeiträgen im Netz offensiv in Umlauf zu bringen. Auch die Gelsenkirchener AfD-Fraktion fragte bei der Verwaltung bereits aktiv nach, ob diese im Fall einer Umsetzung des Rats-TV Sequenzen selbst nutzen könnte.

Verwaltung prüfte bereits

Bereits zur letzten Sitzung des Hauptausschusses hatten Grüne und PARTEI jeweils eigene Anträge für die Einrichtung eines Livestreams gestellt. Damals verwies die Große Koalition aus SPD und CDU allerdings noch auf ungeklärte Fragen wie die Persönlichkeitsrechte der Mandatsträger.

Also machten Grüne und PARTEI einen Verfahrensvorschlag, der mehrheitlich angenommen wurde. Demnach hat die Verwaltung bereits geprüft, welche rechtlichen und technischen Voraussetzungen für eine Video-Aufzeichnung bestehen oder noch geschaffen werden müssen.

PARTEI und Grüne interpretieren die Prüfung durch die Verwaltung wie folgt: „Es spricht eigentlich nichts mehr gegen ein Rats-TV.“

Dass ausgerechnet jene Fraktion, die politisch am weitesten von Grünen und PARTEI entfernt ist, am meisten Kapital aus dem Livestream schlagen könnte, sehen die Antragsteller eher als Motivation für mühevollere Wortbeiträge. „Dann muss man es eben besser machen als die AfD“, sagt Gregor Stein. Auch Adrianna Gorczyk hofft, dass man so eher einen Wettbewerb um die beste Öffentlichkeitsarbeit eröffne. „Es hebt Kommunalpolitik auf ein anderes Level.“

Liveübertragungen statt Fahrrad-Nudeln

Beauftragt werden für das Filmen soll eine externe Firma. Die Kosten pro Ratssitzung schätzt die Grünen-Fraktionschefin auf etwa 4500 Euro. „Mit einberechnet wäre dabei auch die Übersetzung auf Gebärdensprache.“ Zu teuer für eine klamme Kommune?

„Die Stadt hat schon mal tausende Euro für Nudeln in Fahrrad-Form ausgegeben, um das Radwegenetz zu bewerben. Im Gegenzug zum Livestream könnte man also einfach auf Nudeln verzichten“, findet Satiriker Stein, der sogar eine Idee hätte, um zusätzliches Geld mit dem Rats-TV einzutreiben: Livevotings per SMS, um langweilige Politiker aus dem Rat zu voten. „Aber das war mit den Grünen nicht zu machen.“

Adrianna Gorczyk befürchtet, dass das Kostenargument am Ende dasjenige sein wird, an dem andere Fraktionen eine Ablehnung ihres Antrags festmachen werden. Sie rechnet deshalb mit einem eigenen Antrag von SPD und CDU, der eine abgespeckte Variante des Rats-TV einfordert. „Aber in irgendeiner Form wird das Ratsfernsehen in Gelsenkirchen kommen, da bin ich mir sicher.“