Gelsenkirchen. Junge Menschen leiden in der Pandemie unter fehlenden Kontakten. Eine Gelsenkirchener Kinderpsychiaterin erklärt, wer besonders gefährdet ist.

Hinterlässt die Corona-Pandemie bei Kindern und Jugendlichen bleibende Schäden? Möglich wäre das zumindest, sagt Dr. Marion Kolb. Die 48-jährige ist Leitende Ärztin der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen. Dort erfährt sie tagtäglich, mit welchen Herausforderungen junge Menschen in der nun schon ein Jahr andauernden Pandemie konfrontiert sind.

Dr. Marion Kolb ist Leitende Ärztin der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen.
Dr. Marion Kolb ist Leitende Ärztin der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen. © Bergmannsheil Buer

„Die Nerven liegen bei allen blank – auch bei jungen Menschen“, sagt Kolb. Klar sei definitiv: „Kinder brauchen Kontakte zu anderen Kindern.“ Die Schließung von Schulen und Freizeiteinrichtungen erschwerten diese so wichtigen Kontakte massiv. Und während Kolbs Erfahrung nach die meisten Kinder keinerlei Schwierigkeiten mit der Maskenpflicht oder den Abstandsregeln hätten, litten sie unter der Trennung von guten Freunden.

Bereits Anstieg von Ängsten, Depressionen und Essstörungen zu beobachten

„Es gibt bereits Studien über einen Anstieg von Ängsten, Depressionen, Schlafstörungen und Essstörungen im Zuge der Corona-Pandemie“, sagt Kolb. Besonders gefährdet seien junge Menschen, die zuvor schon mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten. „Bei ihnen kann die Situation akute Krisen auslösen“, so die Kinder- und Jugendpsychiaterin. Zudem bestehe die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche einem zu hohen Medienkonsum verfallen. Die damit einhergehende mangelnde Bewegung habe in einigen Fällen schon zu einem Gewichtsanstieg geführt.

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Jugendliche in der Pubertät sind laut Kolb besonders anfällig für eine problematische Internetnutzung – auch wenn die digitale Welt auf der anderen Seite ein wichtiges Mittel sei, um Kontakt zu den Freunden zu halten. Und: „Pubertierende sind im Moment viel alleine zu Hause, was ihnen natürlich zunächst gefällt, weil sie in ihrem Alter gerne autonom sein wollen“, beschreibt Kolb. „Manchmal sind sie dann aber doch zu sehr sich selbst überlassen.“

Überall, wo eine große Veränderung ansteht, kann es schwierig werden

Doch nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch junge Erwachsene leiden unter den Folgen der Pandemie. „Die Situation ist besonders schwer für alle, in deren Leben gerade eine große Veränderung ansteht“, sagt Kolb. Das könne ein Schulwechsel sein oder eben der Übergang von der Schule zur Ausbildung oder zum Studium: „Überall dort, wo man erst einmal die Leute kennenlernen und sich vernetzen muss, wo man anfangs auf Unterstützung angewiesen ist, wird es schwierig.“

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Komme dann noch Perspektivlosigkeit dazu, weil junge Erwachsene aufgrund der Pandemie keinen Ausbildungsplatz fänden, könne das im schlimmsten Fall zu einer Depression führen: „Solche Fälle haben wir auch bei uns in der Klinik.“

Soziales Umfeld spielt eine große Rolle bei der Bewältigung der Pandemie-Folgen

Ob und wie gut junge Menschen den Lockdown verkraften, das hänge letztlich von individuellen Faktoren ab, sagt Kolb. Ein wichtige Rolle spiele das soziale Umfeld. „Für die Kinder, die gut abgesichert sind und in einem Haus mit Garten leben, ist die Situation natürlich einfacher als für die, die sich mit mehreren Geschwistern ein Zimmer teilen.“ Wer ein schwächeres soziales Umfeld habe, sei auch eher gefährdet, noch länger unter den Folgen der Pandemie zu leiden.

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Für ausnahmslos alle Kinder gelte aber: „Ein Jahr ist für uns Erwachsene nicht viel, für Kinder ist es ein sehr langer Zeitraum, in dem sie viele Entwicklungssprünge machen.“ Ein Zeitraum, der vom Leben in der Pandemie beeinflusst werde – nur wie stark und wie langfristig, das könne jetzt noch niemand sagen.

Gelsenkirchener Kinderpsychiaterin rät: Miteinander im Gespräch bleiben

Den gegenteiligen Effekt gibt es aber durchaus auch: „Viele Familien sehen die Situation auch positiv und sagen: ‘Wir hatten noch nie so viel Zeit zusammen wie jetzt’.“ Es gebe einige Kinder und Jugendliche, die die zusätzliche Zeit mit den Eltern genießen. Entscheidend sei an dieser Stelle die Stimmung zu Hause. „Stehen die Eltern unter Stress, dann überträgt sich das meist auf die Kinder“, weiß Kolb.

Den Eltern rät sie deshalb, sich selbst im Alltag immer wieder Inseln zu schaffen und Kraft zu tanken: „Man sollte nicht den Anspruch haben, Job, Haushalt, Homeschooling und Kinderbetreuung immer perfekt unter einen Hut zu bekommen.“ Stattdessen gelte es, miteinander im Gespräch zu bleiben und immer wieder zu fragen, wie es dem anderen geht.