Gelsenkirchen. Dass ein gerechtes Abitur 2021 möglich ist, bezweifeln viele Gelsenkirchener Absolventen. Die Lern-Voraussetzungen sind zu unterschiedlich.
Um es positiv zu formulieren: Weniger Ablenkung vom Lernen für das Abitur oder die Zentralen Prüfungen nach Klasse 10 als im Corona-Lockdown gab es lange nicht. Der Haken: Dies gilt nur für Schüler, die daheim die nötigen Arbeits- und Rückzugsmöglichkeiten haben, sprich einen Schreibtisch plus eigenen PC/Laptop oder ein Tablet. Und nur für Schüler, deren Schulen und Lehrer für Distanzunterricht entsprechend ausgestattet sind.
Nur bedingt gut vorbereitet
Viviane Wanczura (19), stellvertretende Schülersprecherin an der Gesamtschule Buer-Mitte (GBM), und Jahrgangssprecher Gianluca Sanfilippo (18), gehen jetzt ins Abitur. Und obwohl sie selbst gute Lernvoraussetzungen haben -- eigenes Zimmer, eigener Laptop, eine digital im NRW-Vergleich gut aufgestellte Schule und vorwiegend fitte Lehrer -- fühlen sie sich und vor allem ihre daheim weniger privilegierten Mitschüler nur bedingt gut vorbereitet auf ihr Abitur.
Videokonferenzen, die sie als ausgesprochen hilfreich beschreiben, stehen für sie täglich mehrfach auf dem Plan. Nicht immer allerdings klappt es auf Anhieb, häufig sind Leitungen überlastet. "Heute haben wir fünf Anläufe gebraucht für die Mathe-Konferenz", erzählt Gianluca. Aber die digitale Arbeit sei jetzt mit IServ auf jeden Fall besser als im ersten Lockdown, wo es schwer war, einen Aufgabenüberblick zu behalten.
Lieber auf die Abiturfächer konzentrieren
Viviane würde sich wünschen, dass jetzt die Konzentration auf die Abiturfächer beginnen könnte statt in anderen Fächern neuen Stoff zu erarbeiten, obwohl alle Prüfungen dafür durch sind. Bei ihr ist es die Biologie, bei Gianluca Spanisch: "Da wird weiter gelernt mit Druck, obwohl keiner von uns Spanisch im Abitur hat." Dabei gäbe es genug nachzuholen in den Abiturfächern. Fast alle Schüler haben Lücken auch aus der Präsenzzeit, wenn sie in Quarantäne mussten. Auch Viviane und Gianluca waren betroffen. Die angekündigte größere Aufgabenauswahl für die Abiprüfungen greife auch nicht bei allen Fächern, zumal es Aufgabenpakete gebe aus unterschiedlichen Bereichen, klagen die beiden. Da sei die Auswahl kaum größer als sonst.
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Beide würden sich schnellstmöglich Wechselunterricht in der Schule wünschen zur Vorbereitung. "Aber das gilt nicht nur für uns. Auch für die Schüler, die in die Zentralen Prüfungen nach Klasse 10 gehen. Ich habe mehrere Nachhilfeschüler aus verschiedenen Schulen, in denen der digitale Unterricht nicht so gut läuft wie bei uns und die beim Distanzlernen kaum noch mitkommen. Für die wäre Präsenzunterricht jetzt auch sehr wichtig", betont Gianluca.
Irgendwie gemeinsam feiern -- aber wie?
Irgendwie eine gemeinsame Abschlussfeier, im Idealfall als Abiball, planen die Schüler schon; was aber im Juli möglich ist, wissen die beiden nicht. Das ist auch nicht die erste Priorität für sie. Ähnlich wertet das Mihajlo Popovic (18), Jahrgangssprecher der Q2, also des Abiturjahrgangs am Max-Planck-Gymnasium (MPG). "Wir müssten jetzt Verträge für Juli abschließen. Wenn die Politik aber nicht einmal bis Juli planen kann, wie sollen wir das dann?" fragt er.
"Auch ohne Corona hätte die Politik die digitale Ausstattung vorantreiben müssen"
Auch er hält Präsenzunterricht im Wechselmodell mit Kleingruppen so schnell wie möglich zur besseren Vorbereitung aufs Abitur für dringend notwendig. "Im ersten Lockdown haben viele gar nicht mithalten können. Wenn man keine Möglichkeit hat, zeitnah Fragen zu stellen bei neuem Stoff, ist das kaum machbar. Ein gerechtes Abitur ist bei uns angesichts der schlechten Ausstattung und Lernbedingungen vieler Schüler ohnehin kaum möglich. In diesem Jahr gilt das aber noch stärker", klagt er. Dass die Politik hier auch ohne Corona nicht längst für eine gute digitale Ausstattung von Schülern und Schulen gesorgt habe, sei nicht nachvollziehbar.
Gerechter wären nur schulspezifische Prüfungsaufgaben
Er selbst teilt sich daheim zwei haushaltseigene Laptops und zwei Schul-IPads mit fünf Geschwistern und will darüber nicht klagen. Mihajlo will Chirurg werden, die Abinote ist also wichtig für ihn, auch wenn mittlerweile Tests an den Unis das Verfahren erleichtern. Ein wenig mehr Gerechtigkeit bei den Prüfungen könnte in diesem Jahr nur erreicht werden, wenn schulspezifische Aufgaben gestellt würden, denkt er.
Viviane und Gianluca wollen beide Lehrer werden. Viviane wollte eigentlich nach dem Abi vier Wochen in Peru Englisch unterrichten. Ob das noch funktioniert, ist mehr als fraglich. Gianluca hat ein soziales Jahr geplant -- an der Sekundarschule. Immerhin das ist -- im Gegensatz zur geplanten Ägyptenreise -- sicher.
Auch Schulleiter wünschen sich Wechselunterricht für Absolventen
Ulrike Purz, Leiterin der GBM, und ihre Jahrgangsleitungen hoffen, dass größere Auswahlmöglichkeiten im Abitur hilfreich sind. Distanzunterricht im Wechselmodell für die Abschlussklassen ist auch ihrer Überzeugung nach wünschenswert, sobald die Infektionslage es zulässt. Generell glaubt sie allerdings, dass Abiturienten in diesem Jahr besser darauf vorbereitet sind als im letzten Jahrgang.
Nach den Osterferien soll es auf jeden Fall noch gezielte Prüfungsvorbereitungen für Abiturienten geben. Schon jetzt seien fast alle neuen Stoffe durch, könne man sich auf Vertiefung konzentrieren.
Abschlusszeugnis nach Vornoten
Präsenzunterricht im Wechselmodell vor allem für Abiturienten und auch Zehntklässler wünschen sich viele Gelsenkirchener Schulleiter. Allerdings gibt es auch Forderungen - etwa vom Leiter der Gesamtschule Ückendorf, Achim Elvert, statt der Prüfungen gerade bei den Zehntklässlern ein Abschlusszeugnis nach dem Vornoten zu vergeben.
Dass die Bildungsministerin sich dafür entscheidet, ist allerdings nicht zu erwarten. Ohnehin ist noch völlig offen, ab wann und in welcher Form wieder Präsenzunterricht erlaubt ist.
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