Gelsenkirchen. Test, Quarantäne, nichts dergleichen? Unverständnis in Gelsenkirchen für die Stadt bei Corona-Verdachtsfällen. Antworten auf wichtige Fragen.

Seit Monaten hetzt er von einem Termin zum anderen, seit zwei Wochen ist er wieder im Krisenmodus. Luidger Wolterhoff ist Gelsenkirchens Gesundheitsdezernent – und somit gewissermaßen der erste Corona-Bekämpfer der Stadt. Lange Zeit hatten er und die zuständigen Behörden die Pandemie weitestgehend im Griff, so schien es zumindest.

Doch mit dem rasanten Anstieg der Covid-19-Infektionen seit Mitte Oktober und der Überschreitung des Inzidenzwertes am 13.10. offenbarte sich immer mehr, dass das Gesundheitsamt für so viele Fälle nicht gewappnet ist. Längst gesteht man in der Stadtverwaltung ein: „Wir sind überfordert.“

Gesundheitsamt Gelsenkirchen muss täglich mehr als 1000 Telefonate bewältigen

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Weit über 50 Neuinfektionen pro Arbeitstag registriert das Gesundheitsamt zur Zeit in Gelsenkirchen, jeder Fall zieht etwa 30 Telefonate nach sich, um möglichst alle Personen zu informieren, die in einem relevanten Maß Kontakt zu dem Erkrankten hatten. Wolterhoff hatte bereits bei einer kurzfristig einberufenen Krisen-Pressekonferenz der Stadt vergangene Woche eingeräumt, dass die 70 Kontaktverfolger im Gesundheitsamt lediglich bis zu einem Inzidenzwert von 50 ausreichend waren.

Aktuell ist der Sieben-Tage-Infektionswert (pro 100.000 Einwohner) dreimal so hoch. Auch die Unterstützung durch Bundeswehrkräfte reicht noch nicht, um wieder schnellstmöglich die Kontaktverfolgung gewährleisten zu können. Deshalb werden kommende Woche 20 weitere Einsatzkräfte in Gelsenkirchen erwartet. Inzwischen wurde das Team schon auf fast 100 Personen aufgestockt.

Unverständnis für Behörden wächst

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Die Überforderung des Amtes sorgt indes für immer mehr Unsicherheiten bei den Bürgern. Immer häufiger wenden sich Leser an die WAZ, weil sie den Umgang der Stadt mit Corona-Verdachtsfällen nicht verstehen.

So berichten besorgte Eltern etwa von nachgewiesenen Corona-Fällen in einem Fußballverein und davon, dass das Gesundheitsamt die Familien, die direkten Kontakt zu den Erkrankten hatten, erst eine Woche nach Bekanntwerden des Corona-Falls im Amt kontaktiert hätten. „Und das, obwohl wir der Stadt unverzüglich eine Anwesenheitsliste geschickt haben“, ärgert sich eine Mutter.

Die betroffenen Familien hätten sich teilweise selbst in Quarantäne begeben, andere hätten ohne nachweisbare Anordnung der Stadt zur Arbeit gehen müssen. „Das versteht kein Mensch, ist doch klar, dass die Situation so weiter außer Kontrolle gerät“, schimpft eine Betroffene.

Von ganz ähnlichen Erfahrungen mit dem Gesundheitsamt berichtet auch eine ganze Reihe weitere Leser. Luidger Wolterhoff stellt sich den Fragen der WAZ-Leser.

Fragen und Antworten zu Corona in Gelsenkirchen

Wann wird jemand unter Quarantäne gestellt?

Personen, die positiv getestet wurden, müssen in Quarantäne. Außerdem auch Personen, die mit einem Infizierten zwei bis drei Tage vor Auftreten seiner ersten Symptome engen Kontakt hatten. Das heißt: Mindestens 15 Minuten und weniger als anderthalb Meter Abstand. Wer mit einer Person in einem Haushalt wohnt, die unter Quarantäne gestellt, aber nicht (positiv) getestet wurde, muss zunächst erstmal nicht selbst in häusliche Isolation.

Stellt die Stadt eine Bescheinigung über die Quarantäne-Anordnung aus?

Ja, und auch über die Beendigung der Quarantäne. Diese können dem Arbeitgeber dann vorgezeigt werden.

Wann wird man vom Amt über einen Corona-Fall im Kontaktumfeld informiert?

Positiv Getestete werden nach Möglichkeit umgehend benachrichtigt, wenn das Ergebnis vorliegt. Dann wird anhand der Abfrage priorisiert. Wer engen Kontakt hatte (siehe oben), wird benachrichtigt. Darüber hinaus bleibt es eine Frage der Kapazitäten.

Wie viele Gelsenkirchener sind aktuell in häuslicher Isolation?

1400. Insgesamt waren es bisher 10.400.

Wie geht die Stadt inzwischen mit Corona-Fällen in Schulen und Kitas um?

Wir versuchen auch hier, direkte Kontakte zu identifizieren und unter Quarantäne zu stellen. Direkte Sitznachbarn eines infizierten Schülers beispielsweise. Wenn es sonst keine Vermischung in der Klasse gab, können die restlichen Schüler weiter in die Schule gehen. In Kitas müssen ganz Gruppen unter Quarantäne gestellt werden, weil hier natürlich keine Abstände eingehalten werden können.

Warum hat das Gesundheitsamt die niedrigen Infektionszahlen im Sommer nicht genutzt, um ausreichend Mitarbeiter für die erwartete zweite Welle zu schulen?

Wir haben so viel Personal vorgehalten, wie es das Land für die Inzidenz-Warnstufen 35 und 50 vorgesehen hat.

Unter welchen Voraussetzungen testet mich das Gesundheitsamt auf Corona?

Wenn Sie direkten und engen Kontakt zu einer infizierten Person hatten und Symptome aufzeigen.

Wie viele Tests werden täglich durch die Stadt veranlasst?

100 bis 150. Bei etwa 200 kommt das Deutsche Rote Kreuz an seine Kapazitätsgrenze. Insgesamt haben wir bisher etwa 15.000 Tests veranlasst.

Wie sieht der Plan der Stadt für einen weiteren drastischen Anstieg der Infektionszahlen aus?

Wir stocken weiter das Personal im Gesundheitsamt aus, aber entscheidend ist, dass wir alle unseren persönlichen Kontakte einschränken. Das ist der wirksamste Hebel gegen die Ausbreitung des Virus.