Gelsenkirchen. Die Bezirksregierung lässt ein Gutachten über Gesundheitsrisiken durch die Deponie-Erweiterung erstellen. Warum dies auf Kritik stößt.
Im Zuge der geplanten Erweiterung der Zentraldeponie Emscherbruch an der Stadtgrenze von Gelsenkirchen und Herne zeichnet sich nach Abschluss des zweiten Erörterungstermins neuer Ärger ab. Im Zentrum der Kritik von Deponiegegnern, die seit langem die Schließung der 50 Jahre alten Deponie fordern, steht ein human-toxikologisches Gutachten der Bezirksregierung Münster über mögliche Gesundheitsrisiken.
Methodik des human-toxikologischen Gutachtens stößt auf Protest
Auf Druck der Bürgerinitiative Uns Stinkt’s (BI) und auf den Vorstoß der Stadt Herne hatte die Bezirksregierung Münster ein human-toxikologisches Gutachten bei einem Institut aus Bielefeld in Auftrag gegeben. Die Vorgabe der Genehmigungsbehörde: Eine Prüfung der Gesundheitsrisiken für die Anwohner durch die Erweiterung der Deponie (siehe Info-Kasten). Die Methodik stößt jedoch bei der BI auf Protest. Sie will, wenn nötig, das Umweltministerium in der Sache einschalten.
Vorwurf: Statistiken verfälschen das Ergebnis des Gutachtens
„Die Bezirksregierung hat keine Untersuchung von Anwohnern der Deponie in Auftrag gegeben, sondern lediglich eine Bewertung des zu erwartenden Gesundheitsrisikos“, sagt BI-Sprecher Heinz-Peter Jäkel. Das gehe aus den Antworten der Bezirksregierung auf seine Anfrage im Rahmen des Umweltinformationsgesetzes (UIG) hervor. Jäkel weiter: „Da werden lediglich Statistiken zu Rate gezogen, um das Gesundheitsrisiko zu bewerten. Das ist was völlig anders, als eine Untersuchung der Anwohner, die oft schon seit Jahrzehnten dort wohnen und ständig den Belastungen ausgesetzt sind.“
Für die Deponie-Gegner ist das Ergebnis des beauftragten Gutachtens von daher vorhersehbar, wie der BI-Sprecher erklärte. „Da die Zentraldeponie angeblich ja alle Grenzwerte einhält, das Prüf-Institut keine eigenen Messungen durchführt und spezifische Untersuchungswerte der Anlieger nicht vorliegen, ist die Antwort klar: Es gibt keine negativen Folgen durch die Erweiterung der Deponie“, prognostiziert der Ingenieur im Ruhestand.
Zusätzlicher Protest: Gesundheitsgutachten soll nicht veröffentlicht werden
Zusätzlich befeuert wird die Kritik an Bezirksregierung und Gutachten durch den Umstand, dass nach Angaben der Bürgerinitiative die Ergebnisse der Risikobewertung nicht veröffentlicht werden sollen. Das habe die Behörde Jäkel auf dessen UIG-Anfrage mitgeteilt. Das Gutachten, so liest der BI-Sprecher vor, „dient der behördeninternen Bewertung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens“. Heinz-Peter Jäkel schließt daraus, dass die Bezirksregierung Münster durch dieses Gutachten versucht, „die Gesundheitsproblematik einzufangen“ und das Thema „human-toxikologisches Gutachten“ dadurch zu beenden.
Bürgerinitiative will an die Stadtspitzen herantreten nach erster Ratssitzung
Die Bürgerinitiative will nun den Weg über die Stadtverwaltungen gehen. „Gelsenkirchen und Herne sollten gemeinsam bei der Landesregierung vorstellig werden“, so Jäkel zu den nächsten Schritten der BI. Sobald die Ratsversammlungen erstmals nach den Kommunalwahlen zusammengekommen sind, will die Bürgerinitiative mit Gelsenkirchens und Hernes Entscheidungsträgern Karin Welge und Frank Dudda sowie den Vorsitzenden der Umwelt- und Gesundheitsausschüsse das Gespräch suchen.
Wann die Gremien in Gelsenkirchen erstmals zusammentreten, ist nach Angabe von Stadtsprecher Martin Schulmann noch nicht festgelegt. „Die Parteien befinden sich noch in Koalitionsgesprächen, deren Ende noch nicht absehbar ist“, sagt Schulmann. Das könne ganz schnell gehen oder auch noch etwas Zeit benötigen. Ins Auge gefasst worden ist ursprünglich mal der 5. November, spätestens aber am 11 . Dezember müsse der Rat zusammentreten, „das sieht das Gesetz vor“, so Martin Schulmann.
Gutachten nach dem Vorbild Deponie Eyller Berg für Gelsenkirchen und Herne
Das Ziel der Deponie-Gegner: Auch für die Zentraldeponie Emscherbruch sollte ein human-toxikologisches Gutachten nach dem Vorbild Kamp-Lintforts erstellt werden. Für die dortige Lagerstätte Eyller Berg sei durch die Technische Hochschule Aachen ein vom NRW-Umweltministerium initiiertes und finanziertes Gutachten erstellt werden, bei dem auch Anlieger untersucht worden seien: „Warum sollte die Bevölkerung in Herne und Gelsenkirchen weniger wichtig sein als die Anwohner in Kamp-Lintfort?“, fragt Heinz-Peter Jäkel.
Im Fall der Deponie Eyller Berg – eine Lagerstätte der Klasse drei wie auch die in Gelsenkirchen - hatten Untersuchungen von Anwohnern eine hohe Belastung mit krebserregenden Stoffen ergeben, beispielsweise mit Schwermetallen. Am Ende des Kampfes der Deponie-Gegner stand ein gerichtlich erwirktes, verbindliches Ende der Abfallablagerung zum 31. Dezember 2022. Gelsenkirchen liegt bei bösartigen Tumoren seit Jahren an der Spitze der NRW-Statistik.
Die Bezirksregierung Münster hat auf mehrfache Anfragen nach einer Stellungnahme bislang noch nicht geantwortet.
Zum Hintergrund: 4,6 Millionen Kubikmeter mehr Abfall, darunter auch gefährlicher Müll
Auf der Zentraldeponie Emscherbruch sollen bis zu 4,6 Millionen Kubikmeter zusätzliche Abfallmengen deponiert werden, darunter auch gefährlicher Müll. Dagegen haben sich Bürger sowie die Politik und Verwaltungen von Gelsenkirchen und Herne explizit ausgesprochen.
Beim Genehmigungsverfahren zur Erweiterung der von der 100-prozentigen RVR-Tochter AGR betriebenen Deponie ist am 20. August der zweite Erörterungstermin abgeschlossen worden, der wegen eines Formfehlers der zuständigen Bezirksregierung Münster notwendig geworden war.
Wann die Prüfung abgeschlossen sein wird und die Bezirksregierung Münster ein Ergebnis und eine Entscheidung verkünden kann, steht nicht fest.