Gelsenkirchen-Buer. Während für einige die Corona-Sperrstunde kein großes Problem ist, bedroht sie bei anderen die Existenz. Eine Bestandsaufnahme in Gelsenkirchen.

Freitagabend in Buer: Es ist trocken und mild, eigentlich ein guter Abend zum Ausgehen. Bei einer kleinen Tour zu den örtlichen Lokalen jedoch fällt auf: Die Stadt ist deutlich leerer als sonst.

Die erste Station, das „Zutz“, hat gar nicht geöffnet. „Betriebsferien“, so steht es an der Tür. Beim Gang über die Hochstraße kreuzen nur wenige Passanten den Weg. Die meisten tragen allerdings keine Maske. Erst beim Anblick des gemischten Doppels, bewaffnet mit Schreibblock und Fotokamera, zücken viele ihre Maske und setzen sie auf.

Ganz klar: Sie halten die Reporter der WAZ für das Ordnungsamt. Was einen zunächst zum Schmunzeln bringt, offenbart jedoch eine gewisse Tragik. Sie alle scheinen zu wissen, was jetzt angesagt ist – nur halten sie sich nicht dran, zahlreichen Schildern zum Trotz.

„Sperrstunde gefährdet die Existenz der Gastronomen“

Zahlreiche Schilder weisen inzwischen auf die Maskenpflicht in den Fußgängerzonen in Gelsenkirchen hin.
Zahlreiche Schilder weisen inzwischen auf die Maskenpflicht in den Fußgängerzonen in Gelsenkirchen hin. © FFS | Frank Oppitz

„Gestern war das ganz schlimm“, erzählt Thorsten Wehde. Wie am Vortag sitzt er auch jetzt vor dem „Botticelli“. In zweieinhalb Stunden habe er am Donnerstagnachmittag unzählige Menschen ohne Maske gesehen. So viele, dass er beim Ordnungsamt anrief und fragte, wo denn die Kontrolleure seien. Von der nun geltenden Sperrstunde jedoch hält er nichts. „Nicht zielführend“, ist sein Urteil. Weil die Menschen danach ja doch privat weitermachten. Auf der anderen Seite aber gefährde man die Existenz der Gastronomen. Eine Auffassung, die an diesem Abend noch häufiger zu hören sein wird.

In der Weinbar „Lounge 1“ ist reger Betrieb. Unter Corona-Bedingungen, versteht sich. Draußen wie drinnen sind Tische belegt. Das sei auch kein Problem, erklärt Sofia Biancolin und zeigt ihre neueste Anschaffung: Ein Filtergerät für die Luft im Innenraum. Das komme sonst in norwegischen Krankenhäusern und Arztpraxen zum Einsatz. Rund 250 Quadratmeter große Räume soll es coronafrei halten können. Die kleine Bar misst gerade mal 70 Quadratmeter.

Eine Investition in die Gesundheit

Sofia Biancolin hat für ihren Betrieb in einen Luftumwälzer investiert.
Sofia Biancolin hat für ihren Betrieb in einen Luftumwälzer investiert. © FFS | Frank Oppitz

Das ließ sich Sofia Biancolin einen mittleren fünfstelligen Betrag kosten. „Es ist eine Investition in die Gesundheit meiner Gäste, in die meines Personals und meiner eigenen Familie.“ Die Gastronomin bleibt optimistisch. „Wenn es keinen zweiten Lockdown gibt, dann schaffen wir es durch die Krise. Und wenn sich alle an die Regeln halten, gibt es auch keinen Lockdown.“

Ältere Gäste kommen aus Angst vor Corona nicht

Die neue Sperrstunde verkraftet auch Johannes Möller, Wirt des „Hexenhäuschens“, ganz gut. „Wir spüren das schon“, sagt er. Aber man lebe in der Hauptsache von Speisen am Abend. „Unser Problem ist ein ganz anderes: Die älteren Leute kommen aus Angst vor Corona nicht mehr zum Mittagessen.“ Dass aktuell im Sommer getätigte Reservierungen von Weihnachtsfeiern storniert werden, verschärfe die Lage.

Am Heiligen Abend überbucht

Zudem wisse man nicht, wie man den Heiligen Abend bewältigen solle. Die meisten Frühstücksgäste hätten beim Verlassen des Lokals im letzten Jahr für dieses schon gebucht. Da gab es noch kein Corona. „Wir wissen gar nicht, wie wir die setzen sollen.“ Seine größte Sorge aber gilt weiteren Beschränkungen: „Noch mehr Auflagen, und wir sind weg.“

Vor dem „Lokal ohne Namen“ ist die Stimmung entspannt, stehen einige Gäste zum Rauchen vor der Tür. Sie gehören zu einer Generation, für die der Abend eigentlich um neun Uhr erst beginnt. Frühestens. Jetzt heißt es hier um 22.20 Uhr „letzte Runde“. „Das ist schon schwierig“, sagt Marius Wiebusch. „24 Uhr wäre verträglicher gewesen.“ Nun kämen die Gäste etwas eher, erzählt er. Und natürlich halten sie sich an alle Regeln. Problematisch seien jedoch die Privatpartys junger Menschen im Urbanuspark rund um das Michaelshaus. Dort geselle sich der eine oder andere Gast nach dem verfrühten Ladenschluss dazu. Hier aber kontrolliere niemand Abstand und Maske.

Privatpartys kennen keine Corona-Regeln

„Da gehen die Flaschen rund von Mund zu Mund“, schildert Aldin Vakutac seine Beobachtungen. Er arbeitet im „Wacholderhäuschen“ gleich gegenüber dem Park. Und während die Polizei hier nicht richtig durchgreife, gefährdeten die Corona-Maßnahmen die Existenz der Gastronomen. Für ihn ist das ein Ungleichgewicht.

Jugendliche feiern im Park in Buer

Die Ansammlungen junger „Party-People“ im Urbanuspark vor dem Michaelshaus sind in Buer ein echtes Aufregerthema.

Jeden Freitag gebe es hier Polizeieinsätze. Vielfach ohne nachhaltigen Erfolg. Seien die Beamten weg, komme es nicht selten zu Schlägereien. Zudem würden hier alle Regeln zum Schutz vor einer Corona-Ansteckung missachtet, berichten übereinstimmend mehrere Wirte und Bueraner.

Erst vor einer Woche war es in unmittelbarer Nähe zu einem Polizeieinsatz gekommen, bei dem ein Jugendlicher von einem Polizeihund gebissen wurde. Kurz nach Mitternacht sollten zwei jugendliche Randalierer in Gewahrsam genommen werden. Sie waren schon zuvor aufgefallen und hatten Polizisten beleidigt. Während ihr Kompagnon flüchtete und eine 18-Jährige festgenommen werden sollte, stieß eine weitere Gruppe jugendlicher Schaulustiger hinzu. Ein 16-Jähriger versuchte dabei, trotz Warnung durch den Diensthundeführer, einen Polizeihund zu streicheln. Schließlich biss der Hund den Jugendlichen in den Oberschenkel.

Um den Laden nämlich machen sie sich Sorgen. Seit 120 Jahren gibt es diese urtümliche Eckkneipe, die traditionell von Nachteulen besucht wird. „Wir haben es richtig schwer. Bei uns fängt das Geschäft ja erst um 23 Uhr an“, sagt Rosa Baez-Bianco. Sie arbeitet seit vielen Jahren hier. An alle Regeln und Auflagen habe man sich gehalten. Jedoch: „Wir sind die älteste Kneipe der Stadt und werden wahrscheinlich schließen.“ Derzeit erwirtschafte man noch nicht einmal die Stromkosten. Finanzielle Hilfen gebe es keine, sagt sie. Aldin Vakutac bringt es auf den Punkt: „Momentan schaut man uns mehr auf die Finger, als dass man hinter uns steht.“