Gelsenkirchen. Er hat eine „Sauklaue“, ist Kontrollfreak und mag feine Leberwurst: Zum Abschied vom Amt erfahren 200 Gäste noch Neues über OB Frank Baranowski.

Ein paar Gewissheiten bekommen die rund 200 Gäste im Großen Saal des Musiktheaters an diesem Sonntagvormittag dann doch, die sie vielleicht vorab nicht hatten. Frank Baranowski besteht beim Bäcker-Imbiss beispielsweise grundsätzlich auf Brötchen „ohne Butter, aber belegt mit feiner Leberwurst“, er hat, wie er eingesteht, eine „echte Sauklaue“ und seine handgeschriebenen Zettelbotschaften erfordern eine gewisse Entschlüsselungsroutine. Er fremdelt eine wenig mit der Amtskette und der sichtbaren Funktion als Würdenträger. Und er ist, das sagt er selbst von sich, ein „Kontrollfreak“ am „Beginn des Kontrollverlusts“. Deshalb, so der Oberbürgermeister, „ist „so eine Veranstaltung die Hölle für mich, weil ich nicht weiß, was passiert.“

Gelsenkirchener OB wird im Musiktheater im Revier verabschiedet

Amtskette und Goldenes Buch der Stadt liegen bei der Talkrunde mit Moderator Matthias Bongard zu Füßen des Oberbürgermeisters. Frank Baranowski gesteht, dass er mit den offiziellen Auftritten als Würdenträger manchmal fremdelte.
Amtskette und Goldenes Buch der Stadt liegen bei der Talkrunde mit Moderator Matthias Bongard zu Füßen des Oberbürgermeisters. Frank Baranowski gesteht, dass er mit den offiziellen Auftritten als Würdenträger manchmal fremdelte. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Und es passiert einiges. Nun, da muss er Sonntag erst an der Seite seiner Frau Gudrun Wischnewski und später auf der MiR-Bühne durch. Frank Baranowski scheidet Ende Oktober nach 16 Jahren und drei Amtszeiten aus dem Amt. Sein Abschied wurde bereits Sonntag zelebriert. Mit Musik aus Musicals, mit Opernarien und Filmmusik, mit Gesprächen im unterhaltsamen Plauderton, mit Erinnerungen von Weggefährten und Mitarbeitern. Und ohne eine einzige ausufernde, offizielle Rede.

Auch interessant

„Lehn dich zurück und genieß“ habe ihm seine Frau, die auch maßgeblich die musikalischen Wunschtitel für ihren Mann ausgewählt hatte, mit auf den Weg gegeben. „Es ist oft klug, was Gudrun sagt“, stellt Frank Baranowski fest und tat wie empfohlen: mal gerührt, oft amüsiert, ein, zwei Mal mit Griff zum Taschentuch.

Selbstdisziplin: Joggingrunden vor dem Frühstück

„Es ist der Plan, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die über Frank Baranowski reden“, kündigt Moderator Matthias Bongard an. Das tun dann beispielsweise Michael Schulz, Generalintendant des Musiktheaters im Revier, oder auch Regierungspräsidentin Dorothee Feller und Alt-CDU-Bürgermeister Klaus Hermandung. Oder seine Büromannschaft. Von Offenheit, von Vertrauen, von politischen Gespür und Durchsetzungsvermögen, von offenem Interesse an den Menschen, von zähem Ringen um politische Inhalte und immer wieder auch um Etatmittel in Berlin und Düsseldorf, von großer Selbstdisziplin und hohem Arbeitspensum, auch von der Kulturbegeisterung Baranowskis ist die Rede.

Hermandung: „Ich habe nie erlebt, dass er in Fettnäppchen getreten ist“

Ebenso von seiner Sportlichkeit, die ihn selbst bei Städtepartnerschafts-Besuchen trotz kurzer Nächte zu frühen Joggingrunden trieb. „Ich habe nie erlebt, dass er in Fettnäppchen getreten ist“, sagt Hermandung über den Oberbürgermeister. „Zu seinen inneren Organen gehört so etwas wie ein politischer Seismograph, auf den konnte man sich immer verlassen“, stellt auch sein Büroleiter Jörg Kemper fest.

Die Sopranistin Dongmin Lee singt am Sonntag im Großen Haus des Musiktheaters im Revier die Olympia-Arie aus „Hoffmanns Erzählungen“. In Jacques Offenbachs Oper ist Olympia eine bezaubernd aussehende, mechanische Puppe.
Die Sopranistin Dongmin Lee singt am Sonntag im Großen Haus des Musiktheaters im Revier die Olympia-Arie aus „Hoffmanns Erzählungen“. In Jacques Offenbachs Oper ist Olympia eine bezaubernd aussehende, mechanische Puppe. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Musikalisch rahmen Neue Philharmonie Westfalen (NPW) und Ensemble-Mitglieder des MiR die beiden Stunden ein. Offenbachs „Olympia“ Arie gehören zum musikalischen Aufgebot wie auch die Melodie aus dem Western-Opus „Der mit dem Wolf tanzt“. Oder, ganz sentimental, Edith Piafs „Non, je ne regrette rien““. „Nein, ich bedauere nichts. Ich würde alles noch einmal so machen“, sagt auch Baranowski in Anspielung auf den Titel.

Vierwöchiger Italienischkurs an einer Sprachschule

Spaß in der ersten Reihe: Oberbürgermeister Frank Baranowski mit seiner Frau Gudrun Wischnewski, die bei der Auswahl der Musikbeiträge sozusagen den Ton angab: Sie wählte einige von Baranowskis Lieblingswerken aus.
Spaß in der ersten Reihe: Oberbürgermeister Frank Baranowski mit seiner Frau Gudrun Wischnewski, die bei der Auswahl der Musikbeiträge sozusagen den Ton angab: Sie wählte einige von Baranowskis Lieblingswerken aus. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Was er nach dem 31. Oktober machen wird? Die Antwort ist unaufgeregt, typisch Baranowski: „Ich werde mir ein weißes Blatt Papier nehmen, als neuen Kalender. Ich freue mich, das ein oder andere zu tun, was ich bisher selten oder gar nicht getan habe.“ Intensiver Kultur erleben und nicht nur Ausstellungen eröffnen möchte Baranowski in Zukunft, italienisch lernen wird er („über vier Wochen in einer Sprachschule in Italien“), mehr gemeinsame Zeit will er mit seiner Frau verbringen.

Auch interessant

Dann steht der OB, der in seiner Amtszeit ungezählte Reden gehalten hat, in eigener Sache auf der MiR-Bühne: „Jetzt kommt dieser Moment, der nicht leicht wird. Aber es hilft ja nix“, sagt Baranowski – es ist an der Zeit, Danke zu sagen „für 16 intensive, spannende, bewegende und besondere Jahre“. Das tut Frank Baranowski anfangs mit belegter Stimme und sichtlich auch ergriffen. Dankt besonders seiner Frau, dankt „den vielen wunderbaren Menschen, die alle Interesse an dieser Stadt haben und sich berufen fühlen, etwas zu tun.“ Noch ein letztes herzliches Glückauf, die Besucher erheben sich und klatschen lange Beifall.

Zum Ausklang spielt die NPW das Thema aus dem Film Forest Gump

Doch es kommt ja noch ein musikalischer Nachschlag und ein kleines Präsent. Matthias Bongard überreicht Baranowski eine Schachtel Pralinen. Es ist eine Anspielung auf den letzten Musikbeitrag des Tages und auf die Unplanbarkeiten des Lebens. Das Thema von „Forrest Gump“ spielt die NPW. Filmfreunde wissen gedanklich die Verbindungslinie zu ziehen: „Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt“, heißt es mehrfach im Film.

Im oberen Foyer des Musiktheaters wissen die geladenen Gäste dagegen immerhin, was sie bekommen: Ein Büfett, lockere Tischgespräche und Loungemusik.