Gelsenkirchen. Werner Kunkes Mutter lebt im Altendomizil Convenio. Dort sind Besuche in den Apartments nicht mehr ohne Weiteres möglich. Der 67-Jährige klagte.

Am Ende dieses Weges steht ein Gerichtsbeschluss. Schwarz auf weiß steht da im Urteil des Amtsgerichtes Gelsenkirchen: Werner Kunke darf seine Mutter in ihrem Apartment besuchen. Der Billerbecker hatte seine Mutter bei einer Klage gegen das private Wohn- und Pflegezentrum Convenio in Bulmke-Hüllen vertreten, in dem die 94-Jährige lebt – und bekam Recht.

Kunkes Mutter wohnt seit vier Jahren im Seniorenwohnheim. Die 94-Jährige ist dement, lebt aber innerhalb der Einrichtung in ihrer eigenen Wohnung und empfing dort auch Besuch. Bis die Corona-Pandemie kam. Laut Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen, das der WAZ vorliegt, hat Convenio am 1. Juli eine neue Besuchsregelung und ein Hygienekonzept eingeführt: Bewohner des privaten Altendomizils können, so das Gericht, zwischen 8 und 17 Uhr ohne Zeitbeschränkung die Einrichtung verlassen, um sich draußen mit Angehörigen zu treffen. Von diesen Uhrzeiten ist auch in einem von Co-Geschäftsführerin Benedikta Mihsler unterzeichneten Schreiben die Rede, das der WAZ ebenfalls vorliegt.

„Die Bewohner stehen dem Vermieter hilflos gegenüber“

Zusätzlich gibt es einen Besprechungsraum, in dem die Bewohner unter coronabedingten Einschränkungen Besuch empfangen können. „Bisher konnten wir unsere Besuche so einrichten, dass wir uns, wie akzeptiert, mit unserer Mutter im Freien, außerhalb der Wohneinrichtung aufgehalten haben“, erzählt Kunke. Doch nun, da der Winter vor der Tür stehe, habe sich der 67-Jährige mit der bisherigen Regelung nicht mehr abfinden wollen. „Die Bewohner stehen dem Vermieter hilflos gegenüber“, findet er. In Vertretung seiner Mutter klagte er deshalb ihr Recht ein, unter Einhaltung des Infektionsschutzes Besuch in ihrer Wohnung zu empfangen.

Reinhard Christfreund, Co-Geschäftsleiter des Convenio, widerspricht Kunkes Darstellung. Er sagt, Angehörige hätten schon vorher die Bewohner in ihren Apartments besuchen können – mit der Einschränkung, dass diese danach fürs Erste nicht mehr in die Gemeinschaftsbereiche dürften. „Bei uns leben Demenzkranke, die die Abstandsregeln nicht einhalten können und so andere potenziell gefährden“, begründet er diesen Schritt. Die Regelungen dienten dem Schutz der 50 Bewohner und der Mitarbeiter.

„Angehörige können die Bewohner rund um die Uhr zu einem Spaziergang abholen“

Mit der Regelung, so Christfreund, seien alle Angehörigen außer Kunke einverstanden gewesen und hätten deshalb gerne die Besuche nach draußen verlagert oder den vorgesehenen Besuchsraum genutzt. Auch der Zeitrahmen für die Besuche draußen ist strittig: Christfreund spricht davon, der im Urteil genannte Zeitraum von 8 bis 17 Uhr sei nicht bindend, sondern umfasse nur die Kernbesuchszeiten. „Angehörige können die Bewohner aber rund um die Uhr zu einem Spaziergang abholen“, sagt Christfreund.

Die rechtliche Lage ist nicht einfach. „Bei Convenio handelt es sich nicht um ein Pflegeheim, sondern um einen privaten Vermieter. Die Mutter von Herrn Kunke hat daher einen normalen Mietvertrag und zusätzlich einen Pflegevertrag sowie einen Abonnement-Vertrag für Reinigung und Verpflegung abgeschlossen“, erklärt der Rechtsanwalt Maxim Sugrobov, der Kunke vor Gericht vertreten hat. Damit unterliege Convenio nicht die staatlichen Heimaufsicht.

Land NRW hat Pflegeheime dazu verpflichtet, Besuche zu ermöglichen

Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hatte am 27. August eine Corona-Allgemeinverfügung erlassen, die Pflegeeinrichtungen dazu verpflichtet sicherzustellen, dass ihre Bewohner täglich Besuch empfangen können. Convenio berief sich aber laut des Gerichtsurteils darauf, dass sie keine stationäre Pflegeeinrichtung, sondern eher eine Wohngemeinschaft und dementsprechend kein Adressat der Allgemeinverfügung seien. Das Leben in der wohngemeinschaftlichen Atmosphäre würde ohne die beschlossenen Regeln gestört. „Convenio ist ein privater Vermieter, aber einer mit einem Konzept“, sagt Rechtsanwalt Sugrobov. „Wir vertreten daher die Ansicht, dass in diesem Fall erst Recht die Regeln gelten müssen, die auch für Pflegeheime gelten.“

Das sah das Amtsgericht Gelsenkirchen genauso. Es gab der Klägerin recht und verpflichtete Convenio, Besuche in ihrem Mietapartment zuzulassen. In der Urteilsbegründung heißt es, das Gericht sei sich bewusst, dass die Allgemeinverfügung konkret auf Pflegeeinrichtungen zugeschnitten sei. In einem privaten Altendomizil könne aber erst Recht nichts anderes gelten: „Es darf keinesfalls eine weitergehende Einschränkung zulasten der Mieter vorgenommen werden.“

Gericht spricht von erheblicher Grundrechtsbeeinträchtigung

Zu berücksichtigen sei die erhebliche Grundrechtsbeeinträchtigung. Und, so das Gericht: „Auch obliegt es der Beklagtenseite, entsprechende Regelungen im Haus zu finden, dass derartige Besuche stattfinden können, ohne die Infektionsgefahr für die übrigen Bewohner erheblich zu erhöhen.“ Weiter heißt es im Urteil: „Dem Bewohner, der ein Mietobjekt angemietet hat, ist es insoweit nicht zuzumuten, ggf. auch in Winterzeiten den Kontakt nur draußen zu suchen oder sich auf ein isoliertes Zimmer mit zeitlicher Begrenzung in Absprache mit anderen Mitbewohnern beschränken zu lassen.“