Gelsenkirchen. Reiserückkehrer, Kita- und Schulbeschäftigte – auf Gelsenkirchens Praxen rollen tausende Corona-Tests zu. Manche Ärzte lehnen das ab.
Mit großer Besorgnis blicken Ärzte in Gelsenkirchen auf die freiwilligen Tests für Reiserückkehrer, Lehrer, Erzieher, Schul- und Kita-Personal. Sie befürchten, einem Ansturm zu Beginn der Schule nach den Ferien nicht gewachsen zu sein. Erst recht, wenn bald auch noch die Grippe-Saison losgeht. Auch die Lehrergewerkschaft sieht in dem Vorhaben eine enorme organisatorische Herausforderung, bezeichnet die Tests aber als alternativlos.
„Noch ist die Lage ruhig in Gelsenkirchen“, sagt Dr. Klaus Rembrink, Sprecher der niedergelassen Ärzte und Leiter der Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL). Zwei Tests hat Rembrink Reiserückkehrern zu Wochenbeginn abgenommen. Auch bei Hausarzt Dr. Arnold Greitemeier sind bislang nur wenig Patienten aufgetaucht, die sich auf das Corona-Virus haben testen lassen. „Am Montag waren es drei Krankengymnasten, die in Belgien waren“, sagt Greitemeier. Und beim Gelsenkirchener Hygieneinstitut sind bislang ebenfalls „keine nennenswerten Steigerungen von Corona-Tests aufgefallen“.
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Sorge: Überforderung durch Tests bei ohnehin schon starkem Patientenaufkommen
Beide Ärzte teilen die Sorge, dass der große Ansturm erst noch kommt. „Und zwar zu Schulbeginn.“ Da befürchten die Ärzte, mit ihren Teams an Kapazitätsgrenzen zu stoßen. „Unser System ist darauf ausgelegt, Kranke zu versorgen und nicht dafür, auch noch Gesunde zu testen“, sagen sie. Schließlich gelte es, die Versorgung der normalen Patienten weiter zu gewährleisten.“ Greitemeier und Rembrink richten sich darauf ein, von Lehrern und Erziehern am Ende oder gar außerhalb der Sprechstunden einen Abstrich zu machen.
Der Sprecher der Hausärzte hat allerdings von Kollegen gehört, dass sie sich „aufgrund des ohnehin schon großen Andrangs dazu on top nicht in der Lage sehen“. Passend dazu: Bislang haben sich hier etwa 20 Hausärzte bereit erklärt, diese zusätzlichen Abstriche durchzuführen, das sind etwa zehn Prozent der Hausarztpraxen in der Stadt.
Ärztesprecher: Coronatests erhöhen Risiko der Übertragung auf Praxispersonal
Mit Blick auf mehr Arbeit in ohnehin schwierigen Corona-Zeiten, wächst auch die Sorge, dass sich Covid-19 trotz alles Vorsichtsmaßnahmen auf Arzt und medizinisches Personal überträgt. „Das wäre der Super-Gau für eine Praxis, geradezu existenzbedrohend“, sagt Rembrink. Denn: Andrang führt zu Hektik, Stress zu Fehlern und Fehler vielleicht auch zu einer Ansteckung.
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5500 Lehrer und Erzieher können sich in Gelsenkirchen testen lassen
Zwar kommt nicht jeder Lehrer und jeder Erzieher, der in Gelsenkirchen arbeitet, auch aus der Stadt, dennoch sind die Dimensionen beeindruckend, in denen sich die Zusatzaufgabe für die Ärzte bewegen wird. Und: Für andere Städte gilt dasselbe – es ist also so oder so eine Herkulesaufgabe. Nach Angaben der Kassenärztliche Vereinigung und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW) gibt es in NRW rund 210.000 Lehrer und etwa 150.000 Kitamitarbeiter. In Gelsenkirchen beträgt die Zahl der Lehrer aktuell rund 3100, dazu kommen 2400 Kita-Kräfte.
Per Bescheinigung zum Corona-Test: Termin verbindlich
Die Kosten für die Corona-Tests übernimmt das Land. Die Organisation der Testungen erfolgt nach Angaben der Bezirksregierung Münster über die Kassenärztlichen Vereinigungen. Testmöglichkeiten sind demnach bei den bestehenden Testzentren sowie niedergelassenen Ärzten, vorrangig den Hausärzten gegeben. Die Schulleitungen stellen für Beschäftigte, die das Angebot nutzen wollen, eine Bescheinigung aus.
Um eine Überlastung der Labore zu vermeiden, sind die in der Bescheinigung aufgeführten Termine für die Testungen der Behörde zufolge verbindlich. Sobald das Ergebnis vorliegt, wird die getestete Person persönlich durch das untersuchende Labor informiert.
In Gelsenkirchen gibt es 78 Schulen.
Mit Blick auf den propagierten Testmodus vom 10. August bis 9. September – das Schulpersonal in den ungeraden Kalenderwochen, das Kita-Personal in den geraden Kalenderwochen und jeweils außerhalb der Arbeitszeiten – spricht GEW-Geschäftsführer Michael Schulte von einer „enormen Herausforderung“. Noch sei nicht in nennenswerter Zahl von den Tests Gebrauch gemacht worden, das könne sich allerdings schnell ändern.
GEW: Tests sind alternativlos, Gefahr von „Infektionszeitbomben“
Schulte glaubt, dass sich die Testzahlen schlagartig erhöhen werden. „Es gibt keine Alternative dazu“, so der GEW-Geschäftsführer. Und er begründet warum: „Die Quote der positiv getesteten Reiserückkehrer beträgt ungefähr 2,5 Prozent. Nimmt man dies als Maßstab, so könnten alsbald 5250 Lehrer als Infektionszeitbomben, als Super-Spreader, durch die Schulräume laufen.“ Bei gerade steigenden Infektionszahlen – aktuell und bundesweit gibt es täglich durchschnittlich 710 neue Fälle innerhalb von sieben Tagen - müsse man jede weitere Ausbreitung von Corona mit allen Mitteln verhindern – „insofern sind die Testmaßnahmen sinnvoll“. Die Frage ist nur, wie viele sich freiwillig testen lassen.
Angst wegen Grippe und Corona im Herbst - Wellen könnten sich überlagern
Zurück zu den Ärzten Klaus Rembrink und Arnold Greitemeier. Sie hoffen, dass sich das System der Tests von Schul- und Kitapersonal nach einiger Zeit einspielt. Denn die Praxen hatten kaum Zeit, sich darauf einzurichten, wie sie sagen. Immerhin, die Abrechnungsmodalitäten sind geklärt, nächste Woche bekommen die Ärzte eine entsprechende Ziffer zugesandt, unter denen die Mehrarbeit verbucht wird. Denn das war lange ungeklärt.
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Was die Ärzte aber mehr bewegt, ist die nahende Grippesaison im Herbst. „Corona und Grippe – das kann dramatisch werden“, befürchten sie und schlagen vor, immer gleich zwei Abstriche zu machen, um schnell Klarheit zu bekommen. Zwei Wellen, die zu einer großen werden können: Das ist wie in der Natur – kaum oder gar nicht aufzuhalten.