Gelsenkirchen-Horst. Josef Berghorn kritisiert Empfehlung des Landes NRW, bei Covid-19-Verstorbenen nun auf Leichenhüllen zu verzichten. Das sei “fahrlässig“.
Wenn Bestatter in diesen Wochen ausrücken, Corona-Verstorbene im Krankenhaus abzuholen, fährt die Angst mit. "Wir sind zwar von Kopf bis Fuß mit Schutzkleidung ausgerüstet, fürchten aber sehr wohl eine Infektion", sagt Franz-Josef Berghorn, Geschäftsführer des gleichnamigen Horster Bestattungsunternehmens. Schließlich stecke sich auch medizinisches Fachpersonal mitunter an. Neue Nahrung erhält seine Sorge nicht zuletzt durch eine aktualisierte Empfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI), wonach Covid-19-Verstorbene nicht in luftdicht verschlossene Hüllen gelegt werden müssen. "Das ist absolut fahrlässig", kritisiert Berghorn.
Bis Ende April galt für Bestatter noch die Empfehlung des NRW-Gesundheitsministeriums, Corona-Tote nur in Leichensäcken aus Kunststoff im Sarg zu transportieren, so Berghorn. Aufbahrungen und ein Abschied am offenen Sarg waren verboten. Ging und geht doch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von einer "Infektiosität Verstorbener aus, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind. Auch von der Infektiosität von Körperflüssigkeiten, insbesondere aus den Atemwegen ist auszugehen, und über den Zeitraum weniger Tage auch von Rückständen von Körperflüssigkeiten auf Kleidung, Haut und Umgebung des Verstorbenen."
Gelsenkirchener Bestatter kritisiert neuen RKI-Empfehlung
Folgt man dem Robert-Koch-Institut, so hat sich die Einschätzung der Ansteckungsgefahr von Corona-Verstorbenen nicht geändert: Nach wie vor wird das Virus in der Biostoffverordnung der Risikogruppe 3 (von vier) zugeordnet, zu denen auch die Erreger von Tuberkulose und mehrere Influenzaviren gehören. Und nach wie vor wird medizinischem Personal und Bestattern deshalb eine komplette Ausrüstung - von Einmalhandschuhen über Schürze, Schutzkittel, Mund-Nasen-, Augen- und Haar- bis hin zum Fuß-Schutz empfohlen.
Allein: Den Leichnam "in zwei formalingetränkte Tücher zu hüllen und dann in zwei gut verschließbaren, flüssigkeitsdichten Leichenhüllen aus Kunststoff zu legen", sei nicht mehr nötig, so das aktuelle RKI-Merkblatt vom 24. April, auf das das NRW-Gesundheitsministerium nun verweist. Auch der Abschied am offenen Sarg ist nun mit Auflagen wieder möglich.
RKI-Begründung: "Da Covid-19-Verstorbene der Risikogruppe 3 zuzuordnen sind, erfordert der Umgang mit ihnen nicht dieselben Maßnahmen wie (mit, d. Red.) Patienten, die an hochkontagiösen, tödlich verlaufenden Erkrankungen verstorben sind." Als hochkontagiös gelten Virus-Krankheiten der Risikogruppe 4 wie Ebola, bei denen keine Vorbeugung und Behandlung möglich ist.
Bestatter Berghorn sieht erhöhtes Gefahrenpotenzial in neuem Verfahren
Bestatter Berghorn sieht in dem neuen Verfahren freilich ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für sich und seine Mitarbeiter. "Beim Umlagern der Verstorbenen lässt es sich gar nicht verhindern, dass Atemluft aus der Lunge entweicht. Auch trägt der Einsatz von Medikamenten auf der Intensivstation erfahrungsgemäß dazu bei, dass vermehrt Körperflüssigkeiten abgesondert werden", fordert er konkretere Anweisungen vom Land und dem Gesundheitsamt ein wie etwa die, Covid-19-Verstorbene in eine luftdicht verschlossene Hülle zu legen - wie es bis Ende April auch noch empfohlen war. Den Sinneswandel kann er nicht nachvollziehen.
"Schon das bisherige Verfahren barg Risiken für uns Bestatter, weil wir es waren, die die Toten in die Kunststoffhülle legen mussten. Bereits da wäre es sicherer für alle Beteiligten gewesen, die Verstorbenen schon auf der Station so luftdicht zu verpacken, so dass niemand mehr mit deren Aerosolen oder Körperflüssigkeiten in Kontakt kommt", so Berghorn (68).
Gelsenkirchener Krankenhäuser übernehmen Verantwortung
Während das Gelsenkirchener Gesundheitsamt erklärt, für dieses Thema nicht zuständig zu sein und auf Land und Robert-Koch-Institut verweist, begnügen sich diese auf Anfrage dieser Redaktion damit, die Notwendigkeit von Schutzausrüstung zu betonen. Ähnlich argumentiert die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Wie es zu der geänderten Einschätzung in Sachen Leichenhülle kam, dazu mochte sich keine der Behörden äußern.
Derweil sehen sich einige Krankenhaus-Betreiber sehr wohl in der Verantwortung. Die St. Augustinus Gelsenkirchen GmbH, die u.a. das Sankt-Marien-Hospital Buer, das Marienhospital in Ückendorf und das St.-Barbara-Hospital Gladbeck betreibt, hat bereits vor Wochen flüssigkeits- und (bedingt) gasdichte Leichensäcke bestellt - "als Maßnahme, die über die formalen Vorgaben hinaus geht", so Unternehmenssprecher Wolfgang Heinberg. Ansonsten hielten sich alle Häuser an RKI-Vorgaben.
Auch im Bergmannsheil Buer würden "infektiöse Verstorbenen standardgemäß bereits auf der Station in Leichensäcke gelegt. So werden sie dem Bestatter übergeben", teilte auf Anfrage Presse-Referentin Sabine Ziegler mit. Die Evangelischen Kliniken Gelsenkirchen GmbH äußerten sich nicht konkret. Sprecherin Corinna Lee teilte lediglich mit, "dass wir uns an die Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes halten."
Sich allein auf das Entgegenkommen der Krankenhäuser zu verlassen, ist Berghorn freilich nicht genug. Er wünscht sich (wieder) strengere Empfehlungen bzw. Vorgaben vom Land und dem RKI. "Es ist schließlich nicht auszuschließen, dass entweichende Atemluft und Körperflüssigkeiten infektiös sind. So wäre auch das medizinische Personal im Krankenhaus auf der sicheren Seite, wenn es die Verstorbenen in die Pathologie transportiert."
>>> Bestattungen: Keine Begrenzung der Teilnehmerzahlen mehr
Bei Beerdigungs- und Einäscherungsfeiern auf den Friedhöfen gelten seit einigen Tagen keine Beschränkungen der Teilnehmerzahlen mehr. Die Nutzung von Trauerhallen ist derzeit aber noch untersagt.
Trauergäste sind verpflichtet, nur mit Mundschutz an den Bestattungen im Freien teilzunehmen, sich in eine Kontaktliste einzutragen und ausreichend Abstand zu den anderen Besuchern einzuhalten.