Gelsenkirchen. Einen Monat vor Kriegsende am 8. Mai 1945 wurde das Alltags-Leben in Gelsenkirchen schon wieder neu geregelt. Militärprotokolle erinnern daran.

Am 7. April 1945 fand die erste Besprechung zwischen Vertretern der Stadtverwaltung und Besatzungsoffizieren der US-amerikanischen Truppen statt, die zu diesem Zeitpunkt bereits das Stadtgebiet nördlich des Kanals kontrollierten. Die gesamte Stadt wurde nur wenige Tage danach befreit, die Kämpfe im „Ruhrkessel“ hörten endgültig am 17. April 1945 auf – Wochen vor dem Kriegsende am 8. Mai 1945. Mit den Befreiern von der NS-Zeit, die zunächst als Besatzer kamen, gab es im kriegszerstörten Gelsenkirchen etliches zu regeln: Es ging um die Versorgungslage, Vorschriften, um die medizinische Betreuung, Baustoffe – und ums Geld.

Granattreffer beschädigte Tresor der Gelsenkirchener Sparkasse

Letzteres war zumindest in der Gelsenkirchener Sparkasse verschwunden, hält das Protokoll der Besprechung mit der Militärregierung vom 7. April 1945 fest. Ein Grund wird auch benannt: Der Tresor war durch einen Granattreffer geöffnet worden…

Deutsche Gesetze galten übrigens vorerst „insoweit weiter, als es sich nicht um sogenannte Nazivorschriften handelt, insbesondere nicht um diskriminierende Vorschriften. Es bleiben zum Beispiel die Gesundheitsgesetze, aber nicht die Rassengesetze“, hält das Protokoll fest. Bereits am 9. April wird, diesmal handschriftlich, festgehalten, was es weiterhin dringlich zu regeln galt: Die Wiederherstellung des elektrischen Netzes und der Gasversorgung beispielsweise. Oder die Besetzung der „Hilfspolizei“, für die „ein drastischer Wechsel“ vorzunehmen sei. „Zum Befördern von Kranken“ stand nun wieder ein Wagen bereit. Er wurde „vor dem Rathaus zur Verfügung“ gehalten.

Protokoll der Besprechung ist das erste Dokument der Nachkriegszeit

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Das säuberlich getippte Protokoll dieser Besprechung ist das erste Dokument der Nachkriegszeit, die in Gelsenkirchen vor 75 Jahren einige Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reiches“ begann. Es ist heute Teil einer Akte, die unter der Signatur GE 39-292 zu den Beständen des Stadtarchivs im Wissenschaftspark zählt. Darin befinden sich die Besprechungsergebnisse sowie die Korrespondenz zwischen der neuen Militärregierung und der Stadtverwaltung aus den ersten Tagen und Wochen nach der Befreiung der Stadt durch die Alliierten. „Es handelt sich um eine ausgesprochen bedeutende Quelle zur Geschichte Gelsenkirchens“, so die Historiker des Instituts für Stadtgeschichte ISG.

Digitale Angebote, die Interessierte von zu Hause wahrnehmen können

Gelsenkirchen vor 75 Jahren- Das Ende des Zweiten Weltkriegs

Ein US-Infantrist auf dem Stahlträger einer zerstörten Brücke. Nachdem am 7. April die Einkesselung des Reviers abgeschlossen war, bereitete man die Überquerung der Emscher und des Rhein-Herne-Kanals vor, die am 9. April um 6.35 Uhr startete – hinüber nach Gelsenkirchen-Bismarck.
Ein US-Infantrist auf dem Stahlträger einer zerstörten Brücke. Nachdem am 7. April die Einkesselung des Reviers abgeschlossen war, bereitete man die Überquerung der Emscher und des Rhein-Herne-Kanals vor, die am 9. April um 6.35 Uhr startete – hinüber nach Gelsenkirchen-Bismarck. © Bork/Siebert/Ausstellung Christuskirche
Einsam unterwegs in einer menschenleeren Stadt: Foto-Material aus den US-Archiven zeigt den Einmarsch in Gelsenkirchen Bismarck durch US-Truppen.
Einsam unterwegs in einer menschenleeren Stadt: Foto-Material aus den US-Archiven zeigt den Einmarsch in Gelsenkirchen Bismarck durch US-Truppen. © Bork/Siebert/ Ausstellung Christuskirche
Einmarsch in Bismarck: Am 10. April 1945 war für die Gelsenkirchener der Zweite Weltkrieg faktisch beendet. US-Truppen auf ihrem Weg nach Bismarck.
Einmarsch in Bismarck: Am 10. April 1945 war für die Gelsenkirchener der Zweite Weltkrieg faktisch beendet. US-Truppen auf ihrem Weg nach Bismarck. © Bork/Siebert/Ausstellung Christuskirche
Im Schlauchboot übergesetzt: Für die Ausstellung in Bismarck wurde freies Fotomaterial aus US-Archiven genutzt. 
Im Schlauchboot übergesetzt: Für die Ausstellung in Bismarck wurde freies Fotomaterial aus US-Archiven genutzt.  © Bork/Siebert/Ausstellung Christuskirche
Unter dem Roten Kreuz: Das Foto zeigt die Uniform und Ausrüstung eines US-Feldsanitäters im Zweiten Weltkrieg.
Unter dem Roten Kreuz: Das Foto zeigt die Uniform und Ausrüstung eines US-Feldsanitäters im Zweiten Weltkrieg. © Philipp Siebert
Ziel der alliierten Bomberstaffeln waren die Chemiewerke in der Stadt. Das Foto entstand im August 1944 und zeigt das zerstörte Hydrierwerk in Gelsenkirchen-Scholven.
Ziel der alliierten Bomberstaffeln waren die Chemiewerke in der Stadt. Das Foto entstand im August 1944 und zeigt das zerstörte Hydrierwerk in Gelsenkirchen-Scholven. © Institut für Stadtgeschichte
Horst wurde im Zweiten Weltkrieg mehrfach angegriffen. 1944 dokumentiert das Bild die Zerstörungen an der Raffinerie.
Horst wurde im Zweiten Weltkrieg mehrfach angegriffen. 1944 dokumentiert das Bild die Zerstörungen an der Raffinerie. © Institut für Stadtgeschichte
Die Crew eines US-Bombers B 17: Piloten und Mannschaft flogen in der Angriffsstaffel, die am 26. August 1944 die Hydrierwerke in Gelsenkirchen-Scholven als Ziel hatte. Von der deutschen Flugabwehr abgeschossen, stürzte der Bomber bei Rheinberg ab.
Die Crew eines US-Bombers B 17: Piloten und Mannschaft flogen in der Angriffsstaffel, die am 26. August 1944 die Hydrierwerke in Gelsenkirchen-Scholven als Ziel hatte. Von der deutschen Flugabwehr abgeschossen, stürzte der Bomber bei Rheinberg ab. © Archiv Huebotter
Über 60 Prozent der Innenstadtgebäude waren 1945 schwer zerstört: Das Foto zeigt beschädigte Wohn- und Geschäftshäuser und die Altstadtkirchen in Gelsenkirchen in der Straße am Rundhöfchen.
Über 60 Prozent der Innenstadtgebäude waren 1945 schwer zerstört: Das Foto zeigt beschädigte Wohn- und Geschäftshäuser und die Altstadtkirchen in Gelsenkirchen in der Straße am Rundhöfchen. © Institut für Stadtgeschichte
Leben in Trümmern: In den 1940er Jahren gehörten die Zerstörungen zum Alltag in Gelsenkirchen. Die Infrastruktur musste nach Kriegsende mühsam wieder aufgebaut werden. In den letzten Kriegstagen wurde das Hans-Sachs-Haus (Foto) nochmals schwer getroffen, zahlreiche Menschen starben dort im Luftschutzraum.
Leben in Trümmern: In den 1940er Jahren gehörten die Zerstörungen zum Alltag in Gelsenkirchen. Die Infrastruktur musste nach Kriegsende mühsam wieder aufgebaut werden. In den letzten Kriegstagen wurde das Hans-Sachs-Haus (Foto) nochmals schwer getroffen, zahlreiche Menschen starben dort im Luftschutzraum. © Institut für Stadtgeschichte
Kriegsschäden in Gelsenkirchen: Den Weg in die NS-Diktatur, die Situation in Gelsenkirchen und die Folgen für die Stadt zeichnet die Dokumentationsstätte in Erle in ihrer Dauerausstellung und Katalogen nach. 
Kriegsschäden in Gelsenkirchen: Den Weg in die NS-Diktatur, die Situation in Gelsenkirchen und die Folgen für die Stadt zeichnet die Dokumentationsstätte in Erle in ihrer Dauerausstellung und Katalogen nach.  © Institut für Stadtgeschichte
Aufräumen mit Schaufel und Körperkraft: Männer, Frauen und Kinder packen mit an und beseitigen Trümmer vor der evangelischen Altstadtkirche.
Aufräumen mit Schaufel und Körperkraft: Männer, Frauen und Kinder packen mit an und beseitigen Trümmer vor der evangelischen Altstadtkirche. © Privat
Die Amerikaner kommen: Am 10. April 1945 besetzen Truppen des 134. US-Infantrie-Regiments, unterstützt von Kampfpanzern, Gelsenkirchen.
Die Amerikaner kommen: Am 10. April 1945 besetzen Truppen des 134. US-Infantrie-Regiments, unterstützt von Kampfpanzern, Gelsenkirchen. © Ralf Blank
Not in Friedenszeiten: Brot, Fett und Fleisch gab es in den Nachkriegsjahren oft nur für Lebensmittelmarken. Diese hier hatte Renate Niedballa aufbewahrt, die als Ost-Flüchtling nach Gelsenkirchen kam.
Not in Friedenszeiten: Brot, Fett und Fleisch gab es in den Nachkriegsjahren oft nur für Lebensmittelmarken. Diese hier hatte Renate Niedballa aufbewahrt, die als Ost-Flüchtling nach Gelsenkirchen kam. © Funke Foto Services | Joachim Kleine-Büning
Die Hinterlassenschaften des Krieges: Blindgänger finden sich bis heute überall im Gelsenkirchener Stadtgebiet. Tausende Tonnen Bomben wurden bis 1945 abgeworfen. Das Foto vom 28. August 1988 entstand in Buer: Feuerwerker Manfred Beckmann hält den Zünder einer soeben von ihm entschärften Fünf-Zentner-Bombe in der Hand.
Die Hinterlassenschaften des Krieges: Blindgänger finden sich bis heute überall im Gelsenkirchener Stadtgebiet. Tausende Tonnen Bomben wurden bis 1945 abgeworfen. Das Foto vom 28. August 1988 entstand in Buer: Feuerwerker Manfred Beckmann hält den Zünder einer soeben von ihm entschärften Fünf-Zentner-Bombe in der Hand. © WAZ Foto-Pool | Heinz-Jürgen Kartenberg
Die Dachdeckerfirma Grumpe hat die katholische Altstadtkirche St. Augustinus zweimal gedeckt: vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Dachdeckerfirma Grumpe hat die katholische Altstadtkirche St. Augustinus zweimal gedeckt: vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. © Grumpe
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Das ISG hat diese Akte nun digitalisiert und macht sie auf seiner Webseite der Öffentlichkeit zugänglich: Unter dem Hashtag #closedbutopen posten zurzeit viele Kultureinrichtungen wie Bibliotheken, Museen und Archive, die momentan für die Öffentlichkeit geschlossen sein müssen, digitale Angebote, die Interessierte von zu Hause wahrnehmen können. Auch das ISG im Wissenschaftspark ist derzeit für Nutzerinnen und Nutzer geschlossen – voraussichtlich noch bis Mitte des Monats.

Das Goldene Buch der Stadt wurde online veröffentlicht

Damit die Zeit des Wartens auf die Wiedereröffnung nicht zu lang wird, stellt das ISG jedoch regelmäßig neue Angebote auf seine Webseite, die Einblicke in die Geschichte Gelsenkirchens liefern. So hat das ISG bereits im März die Gelsenkirchener Stadtchroniken zu den 1970er Jahren und zuletzt auch das Goldene Buch der Stadt online veröffentlicht, nun zum Kriegsende und seinen Folgen im Frühjahr vor 75 Jahren.