Gelsenkirchen. Das Gesundheitsamt Gelsenkirchen hat eine Mai-Kundgebung untersagt. Der Veranstalter kämpft nun vor dem Verwaltungsgericht um seine Versammlung.

Peter Reichmann (67) hatte Mitte April im Namen des „Internationalistischen Bündnisses Gelsenkirchen“ bei der hiesigen Polizei die Durchführung einer Kundgebung am 1. Mai angemeldet. Diese sollte mit rund 100 Teilnehmern am Willi-Müller-Platz direkt neben dem Musiktheater im Revier (MiR) stattfinden. Obwohl das Mitglied der Wählergruppe AUF Gelsenkirchen und seine Mitstreiter ein Konzept beigelegt hatten, wie die Vorgaben der Corona-Schutzverordnung eingehalten werden sollten, untersagte das hiesige Gesundheitsamt diese Veranstaltung. Das geschah schriftlich, ohne persönliche Rücksprache. Und genau darin sehen die Demo-Organisatoren einen eklatanten Verstoß gegen höchstrichterliche Rechtsprechung.

Die erste Kammer des Bundesverfassungsgerichts hatte nämlich am 17. April 2020 entschieden, dass vor einer endgültigen Absage einer Versammlung stets noch eine möglichst „kooperative Abstimmung“ zwischen Behörde und Demo-Ausrichter erfolgen muss. Dort sollen beide Seiten miteinander im Gespräch alle in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen für die Versammlungsteilnehmer erörtern und gemeinsam nach möglichen Lösungen suchen, wie eine Demo auch in Zeiten des Coronavirus durchgeführt werden kann.

Verstärktes Ordnerteam sollte auf Einhaltung der Mindestabstände achten

Peter Reichmann, Mitglied der MLPD und von AUF Gelsenkirchen, wehrt sich vor Gericht gegen das Verbot seiner für den 1. Mai geplanten Kundgebung vor dem Musiktheater.
Peter Reichmann, Mitglied der MLPD und von AUF Gelsenkirchen, wehrt sich vor Gericht gegen das Verbot seiner für den 1. Mai geplanten Kundgebung vor dem Musiktheater. © Reichmann

„Ein solches Gespräch hat nicht stattgefunden. Das Gesundheitsamt hat uns in einer Mail lediglich seine Sichtweise dargelegt, von einer konstruktiver Suche nach Lösungen kann keine Rede sein“, kritisiert MLPD-Mitglied Reichmann, der viele Jahre dem Betriebsrat des Fahrzeugglas-Spezialisten Pilkington in Gelsenkirchen angehörte. Es sei gerade in diesen Zeiten enorm wichtig, für das Recht auf Versammlungsfreiheit zu kämpfen, so Reichmann.

Mit einem zahlenmäßig verstärkten Ordnerteam wollte Reichmann, der auch als Versammlungsleiter auftreten wollte, dafür sorgen, dass die vorgeschriebenen Abstände von zwei Metern zwischen den Teilnehmern eingehalten werden und diese allesamt Schutzmasken tragen. „In den Vorjahren waren immer rund 100 Leute da. So viele hätten wir auch diesmal erwartet“, so Reichmann.

Er und seine Mitstreiter halten das Absagen-Argument der Gesundheitsvorsorge für vorgeschoben. „In Schulbussen stehen Schüler nun wieder dicht gedrängt beieinander. Das gilt auch für die Mitarbeiter in so manchem Produktionsbetrieb“, sagt der Veranstalter. Da werde aber einfach so drüber hinweggesehen. Er befürchtet, dass die Bevölkerung mit dem Versammlungsverbot an die Einschränkung demokratischer Rechte gewöhnt werden soll.

Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Das Gesundheitsamt wertet die Situation völlig anders: Mit Blick auf oben beschriebene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sagt Stadtsprecher Martin Schulmann, dass diese Rechtsprechung sich ausdrücklich auf das Land Baden-Württemberg beziehe, nicht aber auf NRW und den Rest von Deutschland. Zudem hätte es einen Austausch gegeben, dieser sei aber schriftlich per E-Mail erfolgt, so Schulmann weiter. Welche Sichtweise nun die richtige ist, muss das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entscheiden. Dort liegt eine Anfechtungsklage des Demo-Veranstalters vor. Ein Urteil soll zeitnah gesprochen werden.

Das Gesundheitsamt hat Befürchtungen, dass mehr als die erwarteten 100 Teilnehmer am 1. Mai zum MiR kommen könnten. Diese Zahl sei „völlig aus der Luft gegriffen“. Vielmehr sei damit zu rechnen, dass „in der derzeitigen, von einer Ereignislosigkeit geprägten Situation ein deutlich überdurchschnittlicher Personenzulauf stattfinden wird“, mutmaßt das Amt. Geeignete Maßnahmen gegen ein mögliches „Überrennen“ der Veranstaltung fehlten vollständig, so die Behörde und schließt daraus: „Daher gibt es keine ausreichende Sicherheit, dass der Teilnehmerkreis überschaubar bleibt.“

Da die Veranstalter keinen effektiven Infektionsschutz sicherstellen könnten, trage die Nichtdurchführung dieser Versammlung zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung bei. Und dieser sei höher zu bewerten als das Interesse des Veranstalters an seiner Versammlung.