Gelsenkirchen. Stadtdechant Pottbäcker und Superintendent Montanus halten Einschränkung bei Gottesdiensten für angemessen. Religionsfreiheit sei nicht gefährdet
Zugegeben: Wirklich voll sind die Kirchen nur an hohen Feiertagen wie Weihnachten und Ostern. So leer wie in der Corona-Pandemie, da öffentliche Gottesdienste verboten sind, haben aber weder Stadtdechant Markus Pottbäcker noch Heiner Montanus, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid, die Gotteshäuser erlebt. Werten sie das tatsächlich als Eingriff in die Religionsfreiheit? Die Redaktion hakte nach.
"Keine Frage: Die Eucharistiefeier ist ein hohes Gut, und es ist sehr unschön, dass das derzeit nicht möglich ist. Aber ich halte die zunächst bis 3. Mai geltenden Einschränkungen für angemessen angesichts der gesundheitlichen Risiken von Menschenansammlungen; und das wären heilige Messen ja", betont Pottbäcker, Propst in St. Augustinus und St. Urbanus.
Gelsenkirchens Stadtdechant sieht Grundrecht nicht gefährdet
Das Grundrecht auf Religionsfreiheit, nein, das sieht er nicht gefährdet. "Wir leben in keiner Diktatur, sondern in einem völlig freien Land. Jeder kann sich auf den Markt stellen und beten. Was eingeschränkt ist, ist die Religionsausübung. Aber das müssen wir jetzt so hinnehmen", lehnt er Forderungen ab, die Kirchen jetzt schon für öffentliches Gottesdienstleben zu öffnen.
Dass seit dem 20. April für Geschäfte Lockerungen gelten, für religiöse Versammlungen jedoch nicht, hält er gleichwohl für unglücklich. Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hatte "mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen, dass das Verbot von öffentlichen Gottesdiensten aller Religionsgemeinschaften derzeit erhalten bleiben soll" und es als nicht nachvollziehbar bezeichnet, dass die Kirchen von ersten Lockerungsmaßnahmen ausgeschlossen sind.
Pottbäcker ruft zu vermehrtem sozialen Engagement auf
Pottbäcker weist unterdessen darauf hin, dass es neben der Gottesdienst-Teilnahme zwei weitere Grundvollzüge des katholischen Glaubens gebe: tätige Nächstenliebe sowie Verkündigung. "Gottesdienste lassen sich per Radio oder Fernsehen erleben, ansonsten ist jeder aufgerufen, sich etwa für sozial Benachteiligte im Weißen Haus oder Sternemann-Haus zu engagieren und seinen Glauben in Gesprächen zu bekennen."
Es sei "maßlos übertrieben", von einem Eingriff in die Religionsfreiheit zu sprechen. Da werde "mit zweierlei Maß gemessen", denn viele derer, die das behaupten, hätten etwa die Forderung, im Amazonas-Gebiet den Zölibat aufzugeben und Frauen zur Priesterweihe zuzulassen, abgelehnt. Deshalb müssten die Gläubigen dort Wochen warten, bis ein Priester von weither zum Gottesdienst anreist, weil ein Mangel an Geistlichen herrsche. "Das passt doch nicht zusammen", so Pottbäcker.
Superintendent hält Öffnung von Möbelhäusern für "schräg"
Auch Superintendent Montanus bedauert das Verbot öffentlicher Gottesdienste als "heftigen Eingriff in das Grundrecht der Religionsausübung; aber es ist mit der Evangelischen Kirche abgestimmt und toleriert". Er hält es wie Pottbäcker für "angemessen", da das "höhere Gut Gesundheit" Vorrang habe - allerdings nur vorübergehend als Akt der Solidarität in Zeiten der Pandemie.
"Dass Möbelhäuser geöffnet werden können, Kirchen für Gottesdienste aber nicht, ist schon schräg. Deshalb muss als nächster Schritt geklärt werden, unter welchen Bedingungen wir wieder Gottesdienste feiern können", meint Montanus.
Wie das in der Praxis aussehen könnte, ist noch offen. Die geweihte Hostie per Pinzette zu verteilen, hält Pottbäcker für "unwürdig", ebenso sei es schwierig, Platzkarten für Gottesdienste auszugeben, um so die Teilnehmerzahl zu begrenzen. "Da bekommt dann womöglich eine alte Dame kein Ticket ab, weil sie keinen PC hat oder nicht schnell genug ist."
>> Das weitere Vorgehen
Bund, Länder, Kirchen und Religionsgemeinschaften haben vereinbart, bis Mittwoch, 22. April, Vorschläge zu machen, wie Gottesdienste unter Einhaltung der Kontaktauflagen wieder möglich gemacht werden.
Das Ergebnis dient als Entscheidungsvorlage für das Treffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Merkel am Donnerstag, 30. April. Dann soll über weitere Lockerungen entschieden werden.