Gelsenkirchen-Bismarck. Kostümiert war auch Erzählmeister André Wülfing in der Kellerbar auf Consol in Gelsenkirchen. Der Karneval blieb an dem Abend dennoch außen vor.

Der Karneval tobt allerorten spätestens seit Altweiberfastnacht, das Wochenende in Gelsenkirchen gespickt mit Partys, Umzügen und Sitzungen. Da bietet das Consol-Theater, wie schon seit Jahren, am Freitagabend mit „André Wülfing erzählt aus der Bütt“ einen Ruhepol der gepflegten Unterhaltung für alle, die nicht laut und jeck sein möchten. Obwohl, so ein bisschen jeck ist der Protagonist des Erzählabends, und zwar im reinsten Sinne des Begriffes. Ein „Narr“, der in früheren Zeiten bei Hofe mit dem Freibrief des Verrückten dem König und der Gesellschaft den Spiegel vorhielt.

Wülfing ist in diesem Jahr im Thema des aristokratischen Kontextes geblieben, „300 Jahre Baron von Münchhausen“ hieß sein Programm, auch Lügengeschichten dienen dazu, menschliche Schwächen zu entlarven. Die Kellerbar im Consol war gut gefüllt, alle Sitzplätze belegt, Fans scharten sich um die wenigen Stehtische. Ein fulminanter Auftritt Wülfings mit Dreispitz und goldgeknöpftem Gehrock, schwungvoll nahm er rittlings auf dem Fass Platz, das normalerweise die Bütt darstellt. Er schwankte etwas von links nach rechts, dann war sie auch schon vorbei, die Andeutung von Münchhausens legendären Ritts auf der Kanonenkugel. Überhaupt wollte Wülfing den 300. Geburtstags des deutschen Adligen aus dem 18. Jahrhundert, der als „Lügenbaron“ literarische Berühmtheit erlangte, nur als Rahmen für den Abend nehmen.

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Als der Baron vom Erdendreher im „sicheren Deutschland“ abgesetzt wurde

Eine ganze Reihe „Erzählfrühling“ hat das Consol-Theater eingeführt. Auch sie wird von André Wülfing organisiert.
Eine ganze Reihe „Erzählfrühling“ hat das Consol-Theater eingeführt. Auch sie wird von André Wülfing organisiert. © WAZ | Andreas Hofmann

„Die vielen militärischen Bezüge seiner Geschichten sind nicht so mein Ding“. Aber das Grundprinzip des Geschichtenerzählens, das schon. Eine kleine Mär von Münchhausen gab es zum Einstieg dann doch. Der „Erdendreher“, der mit schnellen Schritten den Baron aus einem Land rettete, wo die Einwohner keine Fremden mögen und ihnen durch das Bewerfen mit allerlei Sachen an den Kragen wollen. Der imaginäre Helfer setzt Wülfing im sicheren Deutschland ab - ein Schelm, der Böses dabei denkt.

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Es ist angenehm André Wülfing zuzuhören, auch für jemanden, der nicht direkt auf seinen Stil anspringt. Nach wenigen Minuten zieht die warme, runde Stimme, die auch laut nie aggressiv wirkt, die Aufmerksamkeit an sich. Mag die Geschichte des „besten Taschendiebs des Ruhrgebiets“, der sich in die „beste Taschendiebin des Münsterlandes“ verliebt, anfänglich etwas schwach gewesen sein: Mit der Pointe gab es Lacher auch von denen, die nicht sowieso schon Fan des Schauspielers sind, der regelmäßig am Consol-Theater tätig ist. Beeindruckende Tiefe und Nachdenklichkeit bescherte der einsame Mann, der aus Langeweile die Wörter des Alltags vertauscht, sich eine neue Sprache zusammenreimt und viel zu spät merkt, dass er dadurch seiner Einsamkeit nun gar nicht mehr entrinnen kann.

Im März lesen die Bucheckern

In der Regel übt André Wülfing seine Kunst des Erzählens einmal im Monat, jeweils an einem Donnerstag, aus. Im März allerdings pausiert der Meister.

Dafür übernehmen am Sonntag, 15. März, ab 18 Uhr den literarischen Part in der Kellerbar die „Bucheckern“. Sie präsentieren Literatur von A bis Z, 26 Stück Lesegut, Prosa, Lyrik und mehr. Mehr dazu auf www.consoltheater.de

„Zum Zuhören verführen“

Witzig waren Einlagen von „Schildbauern“, die verzweifelt versuchen, 28 Zentner Korn unter sieben aufzuteilen, oder dem „Lügenkönig“, der überzeugt ist, unwahre Geschichten sofort zu erkennen, für jede Wahrheit droht „Kopf ab mit Schwert“. Hier flocht Wülfing fast unbemerkt dann doch die eine oder andere Anekdote von Münchhausen ein. Ein kurzweiliger, leiser Abend, ganz nach dem Wahlspruch des Schauspielers und Theaterpädagogen: „Ich will zum Zuhören verführen. Wir hören heutzutage im Alltag einander viel zu wenig zu“. Enttäuscht waren die Besucher, die bei dem Titel mehr „Münchhausen“ erwartet hatten.