Gelsenkirchen-Horst. Knapp 40 Gesamtschüler aus Gelsenkirchen-Horst nahmen an einer individuellen Berufsberatung teil. Sie förderte Überraschendes zu Tage.
Zuerst wird er jahrelang herbeigesehnt, der Schulabschluss, und dann stellt sich bei vielen Schülern doch langsam Panik ein: Wie, bitteschön, soll die berufliche Zukunft denn nun aussehen? Dass solche existenziellen Entscheidungen nicht vom Himmel fallen, ist den Verantwortlichen für Berufs- und Studienorientierung der Gesamtschule Horst nicht neu, und so beginnen sie schon früh damit, die Jugendlichen zu beraten. Nun hat die Stadtteilschule erstmals mit einem darauf spezialisierten Partner kooperiert – und den Teilnehmern mit dem Zauberwort „Fibido“ zu einem echten Aha-Erlebnis verholfen.
Auf Initiative und mit finanzieller Hilfe der Gelsenwasser-Stiftung und der Volksbank Ruhr Mitte konnten knapp 40 Oberstufenschüler bei der „Freiwilligen Individuellen Berufsorientierung in der Oberstufe“ (Fibido) mitmachen. Kernpunkt ist eine rund vierstündige Analyse der Stärken und Schwächen durch das Institut für Bildungs- und Karriereberatung „thimm“.
Aufbau der Tests ähnelte einem betrieblichen Assessment-Center
Und die hatte es durchaus in sich, wie Katja Wischermann, bei der Volksbank für die Schulkontakte zuständig, zugeben musste: „Der Aufbau ähnelte einem Assessment-Center bei der betrieblichen Personalauswahl. Die Schüler mussten schon richtig beweisen, was in ihnen steckt.“
Das konnten drei der rund 40 Schüler nur bestätigen: „Abgefragt wurden nicht nur in einem schriftlichen Test Allgemein- und Fachwissen in Deutsch, Englisch und Naturwissenschaften. Es ging auch um unsere Persönlichkeit, um Kommunikations- und Teamfähigkeit und Kreativität“, berichtete Irem Altunay (16).
Rollenspiele und Diskussionen
So beobachteten Berater die in Kleingruppen eingeteilten Schüler etwa bei Rollenspielen oder Diskussionen. „Wir mussten Pro- und Contra-Argumente zu Themen wie Abtreibung oder Schönheitsoperationen entwickeln und unsere Meinung überzeugend vertreten. Dabei achteten die Mitarbeiter des Instituts natürlich auch darauf, ob wir andere ausreichend zu Wort kommen ließen oder zu emotional wurden“, erzählte Chantal Kohlert (17).
Bei einer anderen Aufgabe galt es, mit Hilfe von Holzstäbchen und Klebeband eine Schutzhülle für ein Ei zu bauen – und sich anschließend eine Geschichte auszudenken, die die merkwürdige Konstruktion begründete. „Das hat richtig Spaß gemacht“, erinnerte sich Gina Marcinczyk (17) an jenen Nachmittag im November 2019.
Tipps für Ausbildungs- und Studienrichtung
Das Ergebnis der Stärken-Schwächen-Analyse „Fibido“ des Instituts für Bildungs- und Karriereberatung „thimm“ gab’s zwei Wochen nach dem Test-Nachmittag.
In persönlichen Gesprächen erläuterten die Berater individuell die Resultate, die die Schüler auch verschriftlicht in einer dicken Mappe mit nach Hause nehmen konnten. Ergänzt wurden sie um Empfehlungen für bis zu drei Ausbildungs- und Studienrichtungen, Kontaktadressen und weiterführende Online-Links. Zudem können die Teilnehmer sich bis zum Ende der Schulzeit immer wieder für weitere Beratungsgespräche melden.
Die Gelsenwasser-Stiftung und die Volksbank Ruhr Mitte finanzierten das Projekt für mehr als 200 Schüler an Schulen in Gelsenkirchen und Gladbeck.
Überraschende Ergebnisse
Was dabei für Gina herauskam? „Dass ich im kommunikativen Bereich doch viel besser bin als ich noch vor einiger Zeit gedacht habe.“ So fühlt sie sich nun ermutigt, einen Job im Bereich Journalismus in Erwägung zu ziehen. Ob sie das ohne „Fibido“ gemacht hätte, weiß sie nicht. Auch Imre beeindruckte in Diskussionen mit ihrer offenen, zugewandten Art und bekam vom Profi bestätigt, dass sie tatsächlich über ein kreatives Talent verfügt. „Ich überlege nun, ob ich nach dem Abitur Innen-Architektur studieren soll.“ Dass sie eine Begabung in Biologie haben soll, war für sie völlig überraschend. „Damit hätte ich nicht gerechnet.“
Chantal wiederum attestierten die Berater, dass sie über ein besonderes psychologisches Gespür verfügt, außergewöhnlich viel Mitgefühl im Umgang mit anderen zeigt. „Ich habe jetzt verstärkt auf mein eigenes Verhalten geachtet und festgestellt, dass mich wirklich interessiert, ob es anderen gut geht. Ich finde, niemand sollte traurig sein.“ Ob sie beruflich tatsächlich Richtung Psychologie denkt oder doch eher BWL, wie sie das ursprünglich plante, muss sich noch zeigen. Zwei Jahre haben die Elftklässlerinnen noch Zeit.