Gelsenkirchen. Wende im spektakulären Fall um die „Spritzenattacke“ in Gelsenkirchen. Die 13-Jährige hat sich den Angriff wohl nur ausgedacht, so die Polizei.
Riesenwirbel um nichts? Wie die Gelsenkirchener Polizei am Freitagnachmittag mitteilte, hat sich eine 13-Jährige eine vermeintliche Attacke mit einer Spritze ausgedacht. Die Schülerin ist am Freitag von einem Rechtsmediziner im Marienhospital Gelsenkirchen untersucht worden. Der Gutachter habe dabei festgestellt, dass sich das Mädchen die Verletzungen selbst zugefügt hat.
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Die 13-Jährige hatte behauptet, am Donnerstag von einem Unbekannten am Gelsenkirchener Wissenschaftspark mit einem Taschenmesser bedroht und später auf einem nahen Parkplatz mit einer Spritze angegriffen worden zu sein. Vor seiner Flucht habe der Mann noch „Nummer 6“ gerufen. Den angeblichen Vorfall machte die Polizei am gleichen Tag öffentlich.
Demnach ist der 13-Jährigen keine unbekannte Substanz gespritzt worden – etwa ein Gift oder ein Halluzinogen – immerhin hatten die Ermittler von „Ausfallerscheinungen“ beim vermeintlichen Opfer gesprochen: „Die serologische Untersuchung verlief ohne Befund.“ Aufgrund der neuen Erkenntnisse werde die 13-Jährige derzeit erneut befragt: „Die Polizei kommt zu dem Ergebnis, dass die Schülerin den Vorfall vorgetäuscht hat.“ Die Ermittlungen dauern an. Die 13-Jährige dürfte strafrechtlich mit keinen Konsequenzen zu rechnen haben. In dem Alter ist sie noch strafunmündig.
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13-Jährige im Beisein ihrer Eltern im Polizeipräsidium befragt
„Wir sind sehr überrascht, ich persönlich auch“, sagte Christopher Grauwinkel, Sprecher der Polizei Gelsenkirchen. Denn die Polizei hatte am Freitagvormittag zu einer Pressekonferenz geladen, bei der weitere Details zu dem Fall vorgestellt werden sollten. Der Gang in die Öffentlichkeit wurde sogar live im Fernsehen gezeigt, die „Attacke“ hatte deutschlandweit für großes Aufsehen und ein großes Medienecho gesorgt.
Das hatte die Schülerin zum Angriff behauptet
Die Schülerin hatte behauptet, sie sei am Donnerstag (14. November) am Wissenschaftspark in Gelsenkirchen (Munscheidstraße) von einem Mann angesprochen und mit einem Taschenmesser bedroht worden.
Dann soll er sie aufgefordert haben, mit ihm zu einem Parkplatz (am Lichthof) an der Virchowstraße zu gehen. Mit einer Spritze soll er dort dem Mädchen eine Substanz injiziert haben.
Bei Anwohnern hat die Schülerin dann geklingelt und um Hilfe gebeten. Einer fuhr sie dann ins nahe Marienhospital an der Virchowstraße in Ückendorf.
Und das aus gutem Grund. Der Ausspruch „Nummer 6“ hatte die Ermittler zur Annahme geführt, dass weitere Taten in Gelsenkirchen und den umliegenden Städten nicht ausgeschlossen werden könnten und dass es Überlegungen gebe, ein Phantombild des „Täters“ anzufertigen. Offenbar waren die Schilderungen des Mädchen und die sehr detaillierte Täterbeschreibung so überzeugend, dass die Polizei bis Freitagmittag keinen Anhaltspunkte dafür hatte, „dass der Vorfall vorgetäuscht ist“. Eine vielköpfige Ermittlungskommission wurde eingerichtet, die Fahndung ausgeweitet, Polizeipräsenz vor Ort und in der Umgebung verstärkt. Am Nachmittag war dies dann hinfällig. Nach dem überraschenden Untersuchungsergebnis musste die 13-Jährige im Präsidium im Beisein ihrer Eltern Rede und Antwort stehen.
Anwohner haben Angst, Verunsicherung spürbar
Insbesondere im Stadtteil Ückendorf hatte der vermeintliche Angriff große Besorgnis, Verunsicherung und auch Angst hervorgerufen. Beim dreifachen Familienvater Surikan Gürsel etwa. „Ich habe Angst um meine Kinder, ich lasse sie nicht mehr aus den Augen“, sagte der 49-jährige Anwohner, bevor er mit zweien seiner Sprösslinge am frühen Nachmittag im Auto vom Parkplatz der Gesamtschule Ückendorf fuhr. Zu dem Zeitpunkt war die „Bombe“ noch nicht geplatzt.
Tierfreundin Heike Neufeld (57), die an der Virchowstraße wohnt, schaute sich seit Donnerstag „öfter um, wenn ich mit dem Welpen spazieren gehe.“ Auch ihre Tochter habe Angst um ihren Enkel (5), „wenn hier so ein durchgeknallter Typ frei herumläuft, der Mädchen angreift.“
Cornelia Börstinghaus (63), ehemalige Kindergartenleiterin und ebenfalls an der Virchowstraße daheim, war ebenso erschüttert: „So etwas kennt man aus dem Kino, aber doch nicht aus unserer Straße.“
Bahar Düzgün (45), Inhaberin einer Bäckerei an Bochumer Straße/Ecke Virchowstraße, hat eine Enkelin in dem Alter des Opfers. Die Spritzen-Attacke mache ihr Angst, dass es auch andere treffen könnte, gab sie zu Protokoll. Ihre Schwester rufe die Tochter auf dem Schul- und Nachhauseweg mindestens zweimal an, um „sicher zu gehen, dass alles in Ordnung ist“.
Krankenhaus hielt Filmteams stundenlang auf Abstand
Vom behandelnden Krankenhaus, dem Marienhospital Gelsenkirchen, war nach der überraschende Wende im „Spritzenfall“ keine Stellungnahme zu bekommen. Die St. Augustinus Gelsenkirchen GmbH, zu der das Marienhospital gehört, hatte sich erwartungsgemäß schützend vor das vermeintliche Opfer und ihre Angehörige gestellt und den Tag über „Filmteams auf Abstand gehalten, als man noch von einer Straftat ausgehen musste.
- Kommentar zum Thema: „Offenbar alt genug, sich so eine perfide Story auszudenken“