Gelsenkirchen. Die Verfassungsschützer sind beunruhigt. Die Fälle rechter Straftaten haben zugenommen. Wie sieht die Lage in Gelsenkirchen aus? Die Fakten.

Die rechte Gewalt in Deutschland nimmt zu. Das geht aus dem Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hervor. Demnach ist die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten im vergangenen Jahr auf 48 angestiegen – eine Zunahme von mehr als 70 Prozent. Im Vergleich: 2017 waren noch 28 rechte Gewalttaten registriert worden. Das klingt beunruhigend. Folgt Gelsenkirchen dem Bundestrend? Wie sieht die Lage hier aus?

„Wir hatten im vergangenen Jahr 103 Fälle von politisch motivierter Kriminalität von rechts“, sagt Christopher Grauwinkel, Sprecher der Polizei Gelsenkirchen. Das ist eine Zunahme von rund 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2017 lag die Zahl derartiger Straftaten bei 65, in den drei Jahren zuvor registrierte das Polizeipräsidium 72, 63 und 68 Fälle.

Gelsenkirchen in der Rangliste auf Platz acht in NRW

 Gelsenkirchen steht in NRW auf Platz 8 bei rechten Gewaltdelikten.
Gelsenkirchen steht in NRW auf Platz 8 bei rechten Gewaltdelikten. © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Damit liegt Gelsenkirchen in der Rangliste auf Platz acht in NRW, Dortmund (253 rechte Straftaten), Köln (243) und Wuppertal (194) führen das Feld an, die Nachbarstädte Bochum (140), Duisburg (134) und Essen (133) belegen die Plätze fünf sechs und sieben.

In den Bereich der Gewalttaten fallen acht Fälle von Körperverletzung und ein Fall von Widerstandshandlungen gegen Vollzugsbeamte. Den größten Teil der bekannt gewordenen Straftaten mit rechtem Hintergrund nimmt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ein, hier stehen 56 Fälle in der Liste. „Darunter fällt auch der Ausruf ‘Sieg Heil!’ oder ein auf geschmiertes Hakenkreuz“, erklärt Christopher Grauwinkel. Das Skandieren der Nazi-Parole gehe zumeist auf einzelne Personen zurück, die mehrfach in Erscheinung getreten seien, die Schriftzüge (Tags) haben Beamte an unterschiedlichen Orten der Stadt gefunden, woraus sich kein Schwerpunkt ablesen lässt. Bedrohungen respektive Nötigungen und Sachbeschädigungen treten mit drei beziehungsweise fünf Fällen eher in den Hintergrund.hier gibt es mehr artikel und bilder aus gelsenkirchen

Verrohung beginnt mit der Sprache, endet im Verhalten

Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist in der Polizeistatistik zwölf Mal zu finden, Beleidigungen sind 15 Mal aufgeführt. Das passt ins Bild, denn rechte Gewalt und Bedrohung sind nicht erst seit dem Mord an dem Kasseler Landrat Mord Walter Lübcke auch hier ein Thema. Die Rechte Szene hatte sich beispielsweise im September vergangenen Jahres Gelsenkirchen als Plattform ausgesucht, um ihr Gedankengut zu verbreiten. Und auch OB Frank Baranowski hat sich schon Drohungen ausgesetzt gesehen. Die Strafanzeige des Stadtoberhauptes lief allerdings ins Leere, trotzdem beginnen Grenzverschiebungen fast immer mit der Verrohung der Gepflogenheiten – erst über die Sprache, dann im Verhalten.

Land bietet ein Ausstiegsprogramm an

So genannte „Gefährder-Ansprachen“ sollen Mitgliedern des politisch motivierten kriminellen Milieus signalisieren, dass die Behörden sie „systematisch identifizieren und kategorisieren“.

Zugleich bietet NRW ein Ausstiegsprogramm an. Das Vorgehen gegen Rechtsextremisten gleicht den Methoden, mit denen die Behörden auch islamistische Extremisten beobachtet.

2018 wurden insgesamt 3767 „politisch motivierte Straftaten rechts“ gezählt. Das Innenministerium geht von einer hohen Dunkelziffer aus.

Der Jahresbericht des Verfassungsschutzes listet auch die Zahl der versuchten Tötungsdelikte mit rechtsextremem Hintergrund auf. Im Jahr 2018 waren das sechs.

Bei der Aufklärung rechter Straftaten ist die Polizei durchaus erfolgreich, die Quoten schwanken allerdings. Bei den eingangs erwähnten acht Körperverletzungen betrug die Aufklärungsquote rund 90 Prozent, ein Fall blieb ungeklärt. Dafür wurde der Widerstand gegen Vollzugsbeamte zu 100 Prozent geklärt. Schwieriger ist es für die Polizei bei skandierten Nazi-Parolen, rechten Schmierereien sowie Sachbeschädigungen, weil die Beweiskette nicht immer geschlossen werden kann, mangels Zeugen, Beweis-Fotos oder -videos. Beispielsweise, weil Graffiti im Schutze der Dunkelheit entstehen oder Parolen aus einer Gruppe heraus gegrölt werden.

Zwei Drittel der rechten Straftaten werden aufgeklärt

Daher wurde kein Fall von Sachbeschädigungen gelöst, aber immerhin schon ein Drittel der Bedrohungsfälle. Die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, also „Sieg Heil!“-Parolen und Ähnliches, kommt auf eine Aufklärungsquote von 60 Prozent, Volksverhetzung auf 75 und Beleidigungen auf rund 87 Prozent. Das heißt unterm Strich in der Gesamtbilanz: Zwei Drittel der rechten Straftaten werden aufgeklärt.