Neustadt. Wie eine Bodenskulptur in Engelsgestalt an der Wiehagenschule Gelsenkirchen die Kulturen zusammenbringt. Und so Kriegskult entkräftet.

Eine graue Bodenplatte mit blauer Intarsie, deren Gestalt einem Engel ähnelt, und eine große Idee. Am Eingang der Grundschule Wiehagen begrüßt die Besucher ein „Engel der Kulturen“, gestaltet und dort eingelassen von dem Künstlerpaar Gregor Merten und Carmen Dietrich, die eine „Engel der Kulturen-Stiftung“ gegründet haben. Beim genauen Hinsehen zeigt sich: Der Engel wird gebildet von den angedeuteten Symbolen der drei großen abrahamitischen Religionen, die in Europa eine Rolle spielen, dem christlichen Kreuz, dem jüdischen Davidstern und der muslimischen Mondsichel. Es geht um friedliches Miteinander statt gegenseitiger Anfeindungen, und dafür will die Schule stehen. Dieser Gedanke stand auch am Anfang der Friedensfeste, die Schulleiterin Martina Sundheim vor drei Jahren als feste Größen im Jahreskalender der Schule einführte, unterstützt vom Pfarrer in der Gemeinde, Friedrich Stahlhut.

Ehrenmal von 1938 als Stein des Anstoßes

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Allerdings gab es einen Hinderungsgrund für das Künstlerpaar, ihren „Engel der Kulturen“ am Wiehagen zu installieren: Das überdimensionale Schwert mit einer Namenstafel ehemaliger Schüler, die im Ersten Weltkrieg als Soldaten gefallen waren, das an der Fassade der Schule als „Ehrenmal“ 1938 von einem nationalsozialistischen Regierungsrat eingeweiht wurde. Geschaffen war das Werk vom Gelsenkirchener Halfmannshof-Künstler Franz Marten, der auch das „Fünf-Säulen“-Fenster des alten Gelsenkirchener Bahnhofs entworfen hatte.

Das Schwert mit der Tafel erinnert an ehemalige Schüler, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Eine Tafel des Instituts für Stadtgeschichte erklärt nun kindgerecht den Hintergrund.
Das Schwert mit der Tafel erinnert an ehemalige Schüler, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Eine Tafel des Instituts für Stadtgeschichte erklärt nun kindgerecht den Hintergrund. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Das „Ehrenmal“ sei unkommentiert zu martialisch, nicht mit dem Gedanken der Gewaltfreiheit, der den Engel trägt, vereinbar, klagten die Künstler. Auch für die engagierte Schulleiterin Martina Sundheim ist das friedliche Miteinander gerade an einer Schule wie der ihren, an der so viele Kulturen zusammenkommen, ein zentrales Anliegen. Sie ist froh, ein klares Zeichen setzen zu können – neben den zahlreichen anderen Aktionen mit gleichem Ziel.

Kindgerechte Erklärung, wie schrecklich Kriege sind

Vor der Diskussion über den Umgang mit dem Relief im Bildungsausschuss war das Institut für Stadtgeschichte eingeschaltet worden. Auch hier hielt man es für wahrscheinlich, dass diese Ehrung als Werbung für die Soldatenrekrutierung genutzt wurde. Der Grünen-Sprecher im Ausschuss sprach von einer Verherrlichung des Soldatentodes, die so nicht geduldet werden könne.

Seit dem Sommer nun prangt das Schwert mit der Namenstafel zwar weiterhin an der schmucken Schulfassade des mehr als 100 Jahre alten Schulgebäudes – aber nicht mehr unkommentiert. Zwei Tafeln erläutern vielmehr in kindgerechter Sprache, was es damit auf sich hat und dass „Kriege schrecklich sind“ und „kein Kind der Schule später als Soldat sterben soll“. Auf der zweiten Tafel erläutern die Künstler, was es mit der Bodenskulptur vor dem Eingang und dem Engel auf sich hat. „Wir leben in einer Welt. Wir lassen einander zu und geben uns gegenseitig Raum zur Entfaltung. Mitmenschlichkeit und Achtung vor der Schöpfung prägen die von allen gebildete Mitte. Wir werden nur gemeinsam und friedlich die Zukunft gestalten können.“

Tag der Offenen Tür am Freitag

Am Freitag, 13. September, lädt die Schule Eltern und künftige Schüler zum Tag der Offenen Tür an die Josefstraße, und zwar von zehn bis zwölf Uhr.

Auch an der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen ist das Miteinander der Kulturen und Religionen ein großes Thema. Auch hier soll am Reformationstag, also am 31. Oktober, ein „Engel der Kulturen“ installiert werden.

Großskulptur zur Moschee und zur Synagoge durch die Stadt gerollt

Am gemeinschaftsstiftenden „Engel der Kulturen“ kommt nun keiner mehr vorbei, der in die Wiehagenschule möchte. Das Miteinander wird an der Schule ganz selbstverständlich gelebt.
Am gemeinschaftsstiftenden „Engel der Kulturen“ kommt nun keiner mehr vorbei, der in die Wiehagenschule möchte. Das Miteinander wird an der Schule ganz selbstverständlich gelebt. © Funke Foto Services | Heinrich Jung

Installiert wurde die Platte in einer großen Aktion, in der eine großformatige Engelskulptur durch die Stadt gerollt wurde, an Moscheen und Synagoge vorbei, stets begleitet von Schülern, Lehrer, Eltern und Geistlichen. „Bei dieser Aktion hat sich auch die Ditib-Moschee sehr aufgeschlossen gezeigt und uns unterstützt. Judith Neuwald-Tasbach, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, hat schon viele derartige Aktionen unterstützt. Sie haben wir bei der Gelegenheit von unserer Stiftung aus auch ausgezeichnet“, erläutert Künstler Gregor Merten.

Ins Leben gerufen haben die beiden in Wuppertal ansässigen Künstler, die abgesehen vom Engel keine Aktionskunst, sondern Skulpturen schaffen, die Engel-Aktion bereits 2008. Auch die Gesamtschule Ückendorf trägt ihn schon, ebenso wie zahlreiche andere Institution und Schulen in der ganzen Republik. Die Einweihung in der Neustadt, wo besonders viele Nationen und damit Kulturen und Religionen aufeinander treffen, wurde von der Stadt Gelsenkirchen, dem Oberbürgermeister und dem Institut für Stadtgeschichte unterstützt.