Ückendorf. Gelungene Szeniale-Premiere in Gelsenkirchen: Das 24-Stunden-Programm von Kunst und Kultur im Quartier Ückendorf stößt auf ein riesiges Echo.

Die Sonne blinzelte zustimmend durch die Wolken, als „Stay the Night“ über den Platz vor der Bühne I am Wissenschaftspark klang. „Bleib für die Nacht“ hätte damit das Motto der „Szeniale“ lauten können, des ersten 24-Stunden-Festivals für Kunst und Kultur in Ückendorf, das Julian Rybarski als einer der Festival-Leiter anstimmte. „Szenial“ als völlig offener Begriff und Fundgrube für Wortschöpfungen ist seit diesem Event wohl auch ein Gütesiegel.

40 Spielorte zogen die Kultur-Pendler im gesamten Quartier an, wie hier an der Bochumer Straße.
40 Spielorte zogen die Kultur-Pendler im gesamten Quartier an, wie hier an der Bochumer Straße. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

40 Spielorte im Gelsenkirchener Süden

Vier Bühnen, 40 einzelne Spielorte, gut 100 Aktive und bestimmt 700 rundherum als Gastgeber, Helfer, Roadies und Schrauber machten die Szeniale möglich, um 1440 Minuten voller Impulse zu präsentieren. Das grellgrüne Programmheft, das gleichzeitig den Quartiersplan und viele Hintergründe zu den einzelnen Stationen und Auftritten bot, wurde zum Erkennungszeichen der Kulturpendler zwischen Ückendorfer und Bochumer Straße im Osten und im Westen, zwischen der Siedlung Halfmannshof und dem Justizzentrum im Norden.

Fahrradparkplätze mit Aufsicht und Haltepunkte für die Rundtour per Shuttle-Bus sowie unzählige Plakate mit Hinweisen auf die Spielorteerleichterten die Anreise und die Orientierung der Besucher. Die hielten tatsächlich über Tag und Nacht durch und pendelten genüsslich zwischen den Stationen.

Pendlerströme wuchsen ständig

Hatten sich zum (offiziellen) Start am Samstag um 11 Uhr noch überschaubar viele Neugierige eingefunden, so zogen die Bereiche um die Schwerpunkte und die vier Bühnen am Wissenschaftspark, in der Künstlersiedlung Halfmannshof, im Pestalozzi-Hain zwischen den Kirchen und vor dem Justizzentrum immer mehr Interessierte an. Zur besten Ausgeh-Zeit am frühen Abend war es dann richtig voll, und die Club-Szene hielt auch die Nacht bei Laserlicht und Elektro-Sound durch.

24 Stunden Programm bei der Szeniale in Ückendorf

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    Die „Trinkhalle am Flöz“ an der Bochumer Straße 139 wurde gleich zur Eröffnung zum Treffpunkt der Szeniale-Besucher.
    Die „Trinkhalle am Flöz“ an der Bochumer Straße 139 wurde gleich zur Eröffnung zum Treffpunkt der Szeniale-Besucher. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

    Eine Ückendorfer Premiere

    Wenn nach der Szeniale vor der Szeniale ist, müssten die Vorbereitungen schon anlaufen.

    Oberbürgermeister Frank Baranowski hatte sich bei der Eröffnung am Samstag überzeugt gezeigt, dass das Festival von nun an alle zwei Jahre an immer wechselnden Orten der Stadt stattfinden werde. Das Echo in der Ruhrgebiets-Kunst- und Kulturszene unterstreicht diese Haltung.

    Allerdings entstand all’ das auch vor dem Hintergrund des beginnenden Aufbruchs in Ückendorf, vielleicht gerade und auch nur dort. Das Format ist eine dankbare Basis für jedes Quartier, die Größe und Fülle hat unbedingt überrascht und hängt ganz bestimmt an den vielen Machern, Unterstützern und Helfern.

    Impressionen von der ersten Szeniale gibt es auch in einer Fotostrecke und einem Video im Multimediabereich auf waz.de/gelsenkirchen

    Überhaupt machten die Kontraste die Attraktivität der Programmpunkte und der Spielorte aus. Wer mochte, riskierte einen Abstecher in die Nicolai-Kirche zu barocker Musik von „Caterva Musica“ oder den Impressionen und Improvisationen von Michael Gees und Andreas Fröhling an Klavier und Orgel und entgegengesetzten Orten im Kirchenschiff. Während er vielleicht gerade den Nieselregen über der Wiese in der Künstlersiedlung erlebt hatte, den Nina Heinrich vom Trio „Sackville Street“ und irischen und schottischen Arbeiter- und Folklore-Songs auf der winzigen Bühne II nur kurz kommentierte: „Woodstock!“

    Vor dem Start noch einmal Vorurteile

    Kopfschütteln und Staunen drückten dagegen die trockenen Statements der Besucher aus, die zwischen „So viel Betrieb hab’ ich in 25 Jahren in der Kirche nicht erlebt“ und „wenn ich denke, was hier früher war“ die gesamte Gefühlsbreite von sentimental bis freudig-erwartungsvoll abdeckten.

    Nicht umsonst hatte Julian Rybarski für seine Mitstreiter im Leitungsteam, Diana Miebach, Christoph Lammert und Arnd Wende, vor dem Start nur die Klischees genannt, die Ückendorf und die Szeniale vorab noch einmal abbekamen: „Heruntergekommen, vernachlässigt, abgehängt“. Alles spätestens jetzt überholt.