Gelsenkirchen. . Das Handicap macht dem 13-jährigen Alexander keine Probleme. Seine Mutter ärgert die Diskussion über den Bluttest zur Diagnose von Trisomie 21.
Liebevoll erweckt Alexander sein Pferdchen zum Leben. Soweit es eben möglich ist, steckt sein Arm in der Handpuppe. Das plüschige Tier lässt er mal über den Tisch galoppieren, dann sprechen. Dabei ist der Dreizehnjährige ganz dem Pferdchen zugewandt. „Seine Handpuppen, die liebt er. Wir haben die ganze Sesamstraße zu Hause“, sagt die Mama und lacht.
Für Fidela Schmidtke Terraza sind es aufregende Zeiten. Einmal mehr ist es, als ob ihre Familiengeschichte ein Thema ist, das ganz Deutschland bewegt, viele gar auf die Straße treibt. In diesem Sommer wird der Bundesausschuss entscheiden, ob derBluttest zur Früherkennung der Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom, eine Kassenleistung wird und damit vielen Müttern einfach zugänglich.
Wenn wir damit anfangen, wo hört es auf?
Alexander ist ein Down-Kind. Und seine Mutter entsprechend bewegt bei solch öffentlicher Diskussion. „Die gibt es ja schon immer. Auch als Alexander geboren wurde. Aber die Frage ist doch, wenn wir damit anfangen, wo hört es auf? Ich finde nicht, dass irgendwelche Menschen im Bundestag darüber entscheiden dürfen, wer von uns leben darf und wer nicht. Von zehn Menschen mit Down-Syndrom werden bereits neun abgetrieben. Der eine Verbleibende hat seine Überlebenschance nur, weil es keine Diagnose gab.“
Fidela Schmidtke Terraza ist hoch engagiert bei diesem Thema, leistet seit Alexanders Geburt Aufklärungsarbeit – auch in den Medien. Dabei spricht sie aber offen über alle Facetten. Räumt ein, dass ihr Leben seither nicht immer einfach ist. „Sie müssen ihren ganzen Tag strukturieren. Ich lasse meinen Sohn nie allein zu Hause.“ Dennoch schafft es die Gelsenkirchenerin, weiterhin berufstätig zu sein. Dank der Unterstützung der Schwiegermutter und auch der Angebote der Lebenshilfe. „Ich bin glücklich. Aber ich habe zwölf Jahre gekämpft.“ Warum sie dann ein solch erbitterter Gegner des Tests ist? „Weil ich Angst habe, dass man dadurch sagt, so, die haben wir schon mal weg. Wir kennen über 3000 Behinderungen. Wo fängt man da an? Die Menschen mit Down-Syndrom können doch wirklich gut integriert werden.“
Den Begriff Inklusion mag die Mutter nicht
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Das zeigen Schauspieler mit Down-Syndrom wie Luisa Wöllisch, die zu Jahresbeginn auf den Kinoleinwänden der Republik zu sehen war. Auch andere Betroffene stehen mehr und mehr in der Öffentlichkeit und führen ihre Positionen und Lebensleistungen ein.
Dass gleichzeitig nun über einen Frühtest debattiert wird, ist für Fidela Schmidtke Terraza ein Symbol für die Ambivalenz in dieser Frage. „Genau in diesem Spannungsfeld leben wir.“ Allen Bemühungen um Inklusion zum Trotz. Übrigens ein Begriff, den die Mutter so gar nicht mag. „Inklusion, so wie wir sie uns denken, geht nicht. Was soll er denn machen? „Soll er mit Hauptschulabschluss Schuhverkäufer werden?“ Einst, sagt sie, habe sie auch daran gedacht, den Sohn auf eine Regelschule zu schicken. Nun besucht er eine Förderschule – und ist glücklich. Nachmittags hat er oft volles Programm.
Alexander macht gerne Sport
„Ich mache Sport“, erzählt er. „Und Rehschwimmen.“ Was er noch gern mache? „Mit der Oma spiele ich Fußballkasten.“ Ein Tischkicker, den er sehr gern hat. Dann hat Alexander noch ein Hobby. „Trommeln.“ Im Kurs der Lebenshilfe. „Tschaka-Bumm. Tschaka-Bum.“ Der junge Mann legt los. Auf dem Tisch trommelt er die ganze Choreographie einmal durch. Wer kann, der kann – überall.
Dann ist das Pferdchen wieder angesagt. Das begleitet Alexander nur noch durch die Freizeit. „Mit zur Schule darf es nicht mehr“, erklärt die Mama. „Weil er jetzt 13 Jahre alt ist.“ Also in der Pubertät und auf dem Weg zum Erwachsenenalter. „So langsam merkt man das schon. Eine Zeit lang war er sehr stur. Jetzt geht es wieder. Aber vielleicht war das nur die Ruhe vor dem Sturm.“
Bluttest als Ersatz für die Fruchtwasseruntersuchung
Der Bluttest, um den sich die ganze Diskussion dreht, soll künftig die gefährliche Fruchtwasseruntersuchung ersetzen. Erlaubt ist er schon heute. Die Kosten allerdings müssen selbst getragen werden. Der Bundesausschuss wird entscheiden, ob der Test in bestimmten Fällen, in denen ein besonderes Risiko vorliegt, von den Kassen gezahlt werden muss.
Befürworter argumentieren, der Test schütze die werdende Mutter vor dem Risiko einer Fehlgeburt infolge einer Fruchtwasseruntersuchung. Die Gegner führen gleich mehrere Argumente ins Feld. Auch hier bestünden Risiken. Nicht nur ethischer Natur. Das „Ärzteblatt“ veröffentlichte im vergangenen Jahr, dass der Test vereinzelt falsche positive Ergebnisse liefere. Moralisch ist das ein großes Problem. Denn bei der Diagnose Down-Syndrom ist eine Spätabtreibung in Deutschland legal. „Das wissen ja auch die wenigsten Menschen“, sagt Fidela Schmidtke Terraza. „Das geht bis zur letzten Minute.“ Ein Punkt, der scheinbar mitunter viel dringender einer öffentlichen Diskussion bedarf.