Gelsenkirchen. . Beim Neujahrsempfang hatte OB Baranowski eine neue Uni fürs nördliche Ruhrgebiet gefordert. Wie positionieren sich Gelsenkirchener zu dem Thema?
OB Frank Baranowskis Appell an die Ruhrkonferenz zur Gründung einer Emscher-Universität für das nördliche Ruhrgebiet, erstmals verkündet beim Neujahrsempfang der Stadt, stößt in Gelsenkirchen auf geteiltes Echo.
Das sagt WH-Präsident Prof. Bernd Kriegesmann
Der Präsident der Westfälischen Hochschule (WH), Prof. Bernd Kriegesmann, sieht Bedarf für strukturelle Investitionen. „Das wäre sinnvoller, als immer wieder in dreijährige Alibi-Projekte zu investieren, deren Thema danach erledigt ist.
Dass die Effekte von Hochschulen in die Region ausstrahlen, zeigt ja auch das bei uns begründete Talentscouting mit dem Talentkolleg. Und auch die Bürger-ID für Gelsenkirchen wird ja in Kooperation mit der WH entwickelt,“ so Kriegesmann. Die WH stehe gern als Partner für eine neue Forschungsinstitution vor Ort zur Verfügung.
Das sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Fritz Jaeckel
„Mit gefällt der Begriff Emscher-Universität“, bekennt der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nord-Westfalen, Fritz Jaeckel. „Eine Hochschule ist immer ein Gewinn, auch aus Sicht der IHK, weil sie den Standort attraktiv macht, auch für Unternehmen. Aber man muss sich fragen, mit welchem Profil man antreten will, welches Alleinstellungsmerkmal möglich ist.“
Für sinnvoller als eine Neugründung hält er eine Ergänzung bestehender Einrichtungen und die Ansiedlung einer außeruniversitären Forschungseinrichtung mit anwendungsorientierter Forschung. „Dabei herrscht in der Emscher-Region eine klare Unterversorgung, gerade im Vergleich mit dem südlichen Ruhrgebiet.“
Baranowskis Rede
Beim Neujahrsempfang der Stadt Gelsenkirchen am 18. Januar hatte OB Frank Baranowski erstmals von einer Universität an der Emscher gesprochen (die WAZ berichtete).
Baranowski sagte: „Und wenn ich dann noch höre, dass auch für die Braunkohle-Regionen Kompensationen gefordert werden, obwohl in Aachen eine starke Universität ansässig ist – dann sage ich: Es ist an der Zeit, bei uns etwas zu tun. Es ist an der Zeit für eine echte Lösung, die uns noch einmal Schubkraft verleihen kann – es wird Zeit für eine Universität an der Emscher!“
Man könne sich darüber austauschen, wie realistisch eine solche Ansiedlung sein – „auch in Anbetracht dessen, dass wir eine hervorragende Fachhochschule haben. Aber (...): Vieles von dem, was zu Erfolgen wurde, war zunächst nur ein unrealistischer Gedanke.“
Tatsächlich ballen sich diese in Bochum, Dortmund, Essen und Duisburg, während das nördliche Ruhrgebiet dabei mit weißen Flecken auf der Landkarte glänzt. Die Helmholtzgemeinschaft etwa ist im gesamten Ruhrgebiet überhaupt nicht vertreten.
Das sagt Prof. Ulf Messner
Prof. Ulf Messner, Institutsdirektor an der Universität der Vereinten Nationen, befasst sich intensiv mit zukunftsfester Entwicklung von Städten.
Er plädiert ebenfalls eher für eine Kooperation mit einer bestehenden Universität, die einen Außenstandort in Gelsenkirchen einrichtet. Die Ruhr-Universität Bochum und die Technische Universität (TU) Dortmund lehnten eine Stellungnahme dazu auf WAZ-Anfrage ab. TU-Sprecher Martin Rothenberg räumt aber ein: „Natürlich gibt es positive Effekte durch Hochschulen und Kooperationen. Auch wir profitieren vom Talentkolleg der WH in Gelsenkirchen.“
Das sagt Prof. Radtke von der Uni Duisburg/Essen
Prof. Dr. Ulrich Radtke, Rektor der Universität Duisburg/Essen, steht Baranowskis Vorschlag durchaus positiv gegenüber, nicht ohne auf das Ruhrgebiet als eine der „dichtesten Hochschullandschaften Europas“ zu verweisen. Dank Universitätsallianz Ruhr (UA Ruhr) sei hier „einer der leistungsstärksten Wissenschaftsstandorte Deutschlands, der die Emscher-Region sehr wohl einbeziehe“.
Die Ansiedlung weiterer Forschungsinstitute hält er dennoch für wünschenswert, um den regionalen Wissenschaftsstandort zu stärken.
Das sagt Unternehmer Lars Baumgürtel
Lars Baumgürtel, Geschäftsführender Gesellschafter von Voigt & Schweitzer (Zinq), sieht ebenfalls klaren Kompensationsbedarf für Gelsenkirchen und den Emscher-Lippe-Raum durch strukturelles Fördern: „Auch – aber nicht nur – auf dem Gebiet der Wissenschaft.“
Aufgrund der erfolgreichen Entwicklung der Westfälischen Hochschule sei jedoch die Ansiedlung eines anwendungsorientierten Forschungsinstituts wie zum Beispiel ein Fraunhofer-Anwenderzentrum zielführender. „Ein wirtschafts- beziehungsweise industrienahes Institut wäre ein wichtiger Attraktor für Unternehmen, die sich für den Standort Gelsenkirchen interessieren.“
Das sagt Hannelore Pohl vom Berufskolleg
Hannelore Pohl, Leiterin des Berufskollegs Königsstraße, ist überzeugt von der Signalwirkung einer Universität: „Das sieht man an unserer Partnerstadt Newcastle im Norden Englands. Sie ist etwa so groß wie Gelsenkirchen, hat ebenfalls eine Kohlevergangenheit, aber eine Universität.“
Der Strukturwandel sei dort besser gelungen als hier – wohl auch dank der Anziehungskraft der Universität, denkt sie. Newcastle sei ein Magnet in der Region. „Und Gelsenkirchen hat eine Universität verdient,“ ist sie überzeugt.