Gelsenkirchen. . Terry Reintke sieht durch Brexit hohe Einbußen auf NRW zukommen. Eine Studie der Bündnisgrünen berechnet Verluste auf rund 37 Milliarden Euro.

Die Gelsenkirchenerin Terry Reintke geht am 26. Mai als NRW-Spitzenkandidatin für die Grünen ins Rennen um einen Sitz im Europaparlament. Beim Neujahrsempfang in Gelsenkirchen warb sie am Samstag für mehr soziale Gerechtigkeit in Europa. WAZ-Redakteurin Anne Bolsmann sprach vorab mit ihr über die Brexit-Diskussion, Bürgerängste und ihren Lieblingsplatz in der Heimat.

Frau Reintke, auf Ihrer Facebook-Seite posten Sie immer wieder Fotos, auf denen Sie die Briten bitten, doch ein Teil der EU zu bleiben. Warum nehmen Sie den drohenden Brexit so persönlich?

Terry Reintke: Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu Großbritannien und habe dort auch sehr viele Freunde, weil ich beispielsweise ein halbes Schuljahr in England und ein Erasmus-Jahr im schottischen Edinburgh verbracht habe. Ich finde, die Briten gehören zu einem starken Europa dazu.

Einbußen von 5,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes

Für uns in Gelsenkirchen ist die Brexit-Debatte manchmal ganz schön weit weg. Was denken Sie, würde sich hier vor Ort ändern, wenn der Brexit kommt?

Reintke: Das lässt sich nur schwer vorhersagen, weil man ja noch gar nicht weiß, ob die Briten die EU wirklich verlassen, und in welcher Form. Aber ich habe gemeinsam mit Kollegen im EU-Parlament eine Studie erarbeitet, die die möglichen Auswirkungen für Wirtschaft, Haushalt und Bevölkerung in NRW aufzeigt. Und da wird sehr deutlich, dass NRW durch den Brexit 5,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts einbüßen könnte, das sind 36,7 Milliarden Euro. Auf Gelsenkirchen haben wir es noch nicht heruntergerechnet. Aber die Tendenz wird deutlich – und wir sollten alles daran setzen, die Briten davon zu überzeugen, doch noch in der EU zu bleiben.

Terry Reintke steht auf Industriekultur und -kulissen.
Terry Reintke steht auf Industriekultur und -kulissen.

Auch in Deutschland sind nicht alle Bürger zufrieden mit den Entscheidungen, die auf EU-Ebene gefällt werden. In Gelsenkirchen sieht man beispielsweise die Zuwanderung aus den EU-Ost-Gebieten sehr kritisch. . .

Reintke: Ja, das ist ein schwieriges Thema, das hätte anders laufen müssen. Man hätte diese Öffnung besser vorbereiten müssen. Aber man muss auch sagen, dass da nicht nur auf Seiten des EU-Parlaments Fehler gemacht wurden, sondern auch auf Bundes- und Kommunalebene. Es gibt bei der EU einen speziellen Hilfsfonds, den EHAP, über den Gelder bereit gestellt werden, um die Integration von Zuwanderern und die Lebenssituation der Bürger hier und in den Herkunftsländern zu verbessern. Aber die Gelder wurden zu spät oder gar nicht abgerufen. Ich möchte das Problem nicht abwälzen – wir müssen uns als EU-Politiker auch in Zukunft stark um die sozialen Fragen in Europa kümmern. Das ist auch mein persönliches Anliegen.

Soziale Medien als Sprachrohr ohne Filter

Sie sind mit ihren politischen Ideen in den sozialen Medien sehr präsent. Im Dezember wurden Ihre Accounts gehackt und persönliche Daten abgerufen. Haben Sie darüber nachgedacht, sich aus den sozialen Medien zurück zu ziehen?

Reintke: Nein, das ist für mich keine Option. Ich habe den Datenklau zwar als einen schmerzhaften Eingriff in meine Privatsphäre empfunden. So etwas muss künftig stärker rechtlich geahndet werden. Für mich überwiegen die Vorzüge der sozialen Medien: Über sie kann ich meine politischen Ideen und Vorhaben auch in Ländern, in denen die Medien nicht so unabhängig arbeiten wie in Deutschland, den dort lebenden Bürgern nahe bringen. Ungefiltert.

Beim Neujahrsempfang sprechen Sie auch über die Kampagne #401GE. Was ist denn für Sie der schönste Ort in Gelsenkirchen?

Reintke (lacht): Obwohl ich bei den Grünen bin, gefällt mir die Industrieromantik dieser Stadt sehr gut. Ich liebe zum Beispiel das Consol Theater und die Kulisse drumherum. Und ich schätze die Offenheit und Gradlinigkeit der Menschen hier.

Terry Reintke hat in Berlin Politikwissenschaft studiert.
Terry Reintke hat in Berlin Politikwissenschaft studiert.

>> Seit 2014 im Europaparlament

Theresa „Terry“ Reintke wurde am 9. Mai 1987 im Sankt Marienhospital in Buer. Nach dem Abitur am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium hat sie Politikwissenschaft in Berlin studiert und ist seit 2014 Abgeordnete des EU-Parlaments. Die zitierte Studie ist abrufbar über terryreintke.eu/wp-content/uploads/Auswirkungen-des-Brexit-auf-NRW_Studie-Schade_Reintke.pdf