Gelsenkirchen. . Neuer Hebesatz von 675 Prozent trifft Eigentümer und Mieter in Gelsenkirchen. Durchschnittshaushalt wird mit etwa 110 Euro mehr im Jahr belastet.
Nichts ist so empfindlich wie das Portemonnaie des Bürgers. Besonders zu Jahresbeginn schlagen die turnmusgemäßen Bescheide über die fälligen Grundbesitzabgaben vielen Eigentümern aufs Gemüt. Anhebungen sind ein exzellenter Nährboden für vergrätzte Bürger, dabei wird übersehen, dass eine Stadt, die für einen auskömmlichen Haushalt qua Gesetz sorgen muss, nicht viele Stellschrauben hat, an denen sie drehen kann. Schon gar nicht Gelsenkirchen, das als Stärkungspaktkommune verpflichtend auf Sanierungskurs ist.
„Wir sind da also nicht ganz frei“, sagt Stadtkämmerin Karin Welge, um Deckungslücken im Haushalt zu schließen. Entweder die Stadt verringere das Angebot – gleichbedeutend mit der Schließung öffentlicher Einrichtungen wie Bäder, Bibliotheken, Theater etc. und von daher gleichermaßen mit viel Protestpotenzial behaftet – oder der Ertrag wird anderweitig erhöht.
Mehrkosten von etwa 110 Euro im Jahr
Gelsenkirchen hat sich 2016 per Ratsentscheidung mit Blick auf die prognostizierten Einnahmen dazu entschlossen, die Grundbesitzabgaben „moderat“ anzupassen. Der Hebesatz beträgt jetzt 675 Prozent, vormals lag er bei 545 Prozent. Zum Vergleich: Mülheim kommt auf 890 Prozent, Duisburg auf 844 Prozent, Bottrop auf 680 Prozent, Essen auf 670 Prozent und Bochum auf 645 Prozent. „Wir liegen mit dem Hebesatz in der unteren Hälfte von Städten im Stärkungspakt“, sagt Welge.
Was heißt das für Eigentümer?
Auf einen Durchschnittshaushalt (Einheitswert der Immobilie 32.586 Euro, 120 Quadratmeter Wohnfläche, vier Personen) kommen Mehrkosten in Höhe von etwa 110 Euro im Jahr zu. Nachricht davon bekommen die Bürger ab Donnerstag, dann gehen die ersten von 70.000 Jahresbescheiden auf den Postweg.
Circa 60.000 Grundstücke in Gelsenkirchen
Der Gesamtumfang der Erträge für die Verwaltung liegt bei circa 60.000 zu Grunde gelegten Grundstücken bei 46 Millionen Euro, die in den Haushalt fließen.
Dazu kommen noch die Gebühren für Straßenreinigung und Winterdienst (9 Millionen Euro), Müllabfuhr (27 Millionen Euro) sowie Grundstücksentwässerung (54 Millionen Euro). Sie sind ein durchlaufender Haushaltsposten. Heißt: Sie decken nur die entstandenen Kosten (Deckungsprinzip).
Stichwort Einheitswert, der maßgeblich zur Grundsteuer beiträgt: Höchstrichterlich ist der Bund zum Nachsitzen verurteilt worden. Die Berechnung des Einheitswertes, der in die Grundbesitzabgaben einfließt, muss neu geregelt werden (siehe Info-Box). Ein Streitthema, denn eine für alle Eigentümer gerechte Lösung wird es am Ende wohl nicht geben. Heftig diskutiert die Politik darüber, was künftig als Basis dienen soll für den Einheitswert: die wirtschaftliche Ertragskraft, die Nutzungsart, die Grundstücksfläche und das Baujahr von Wohngebäuden und und und. Am Ende also wird es wieder viele Bürger geben, die die Faust in der Tasche ballen.
>> Reform muss bis Ende 2019 stehen
Etwa 14 Milliarden Euro nehmen die Kommunen bislang durch die Grundsteuer ein – eine ihrer wichtigsten Finanzierungsquellen. Die droht zu versiegen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Grundsteuer in ihrer jetzigen Form für grundgesetzwidrig erklärt und eine Neuregelung bis Ende 2019 gefordert. Zuständig ist der Bund, die Länder müssen den Änderungen jedoch im Bundesrat zustimmen.