Buer. . Ganz plötzlich wurde Joanna Renz mit ihren zwei Kindern obdachlos. Nun ist sie überglücklich, Weihnachten in der eigenen Wohnung feiern zu können.
Kein richtiges Dach über dem Kopf zu haben: Diese Notlage von Maria und Josef gehört zur biblischen Weihnachtsgeschichte wie die Geburt Christi im Stall. Sie nachzuempfinden, mag so manchem in unserer Wohlstandsgesellschaft schwer fallen. Joanna Renz nicht: Sie war mit ihren Kindern Maciej und Taisiya selbst drei Wochen obdachlos – und ist nun überglücklich, in Buer eine Wohnung gefunden zu haben.
Das rote Sofa ist an diesem Vormittag kaum zu erkennen unter den vielen Kartons und Taschen: Joanna Renz (42) steckt noch im Einzugsstress. Entschuldigend räumt sie die Sitzfläche frei. Eine eigene Couch zu besitzen, Besuch zu bekommen: All das war ihr vor Kurzem noch undenkbar.
Sie schämte sich vor ihren Kindern
Ende September war es, als die gebürtige Polin mit ihrer Tochter zurückkehrte nach Deutschland, wo sie bereits 2004 bis 2016 gelebt hatte. „Maciej ging es nicht gut. Er kam alleine nicht zurecht“, erzählt sie in flüssigem Deutsch und blickt den 20-Jährigen ernst an. Der Biologie-Student hört das nur ungern, räumt aber ein: „Ich war noch nicht bereit, alleine für mich zu sorgen.“ Er war nach der Rückkehr von Mutter und Schwester 2016 in Velbert geblieben, um sein Abitur am Berufskolleg zu machen. Untergebracht war er in einer WG.
„Wir konnten nichts sparen“
Die alleinerziehende Mutter zog also im September mit ihren zwei Kindern bei Freunden in Gelsenkirchen ein, lebte dort auf engsten Raum, „bis es nicht mehr ging“, wie sie nur andeuten mag. Die Zeit hatte nicht ausgereicht, sich eine eigene Wohnung zu suchen, und so stand die Familie erst einmal auf der Straße – mit Auto zwar, in dem auch das Gepäck verstaut war, aber letztlich ohne Dach über dem Kopf. Eine Katastrophe für die Make-up-Artistin und Visagistin mit Abitur. Sie schämte sich, ihren Kindern das zumuten zu müssen. In Polen hatte sie in der Nähe von Kattowitz mit ihrer Tochter (8) in einer eigenen Wohnung gelebt und als Callcenter-Mitarbeiterin gearbeitet. „Weil die Miete aber recht hoch war und ich meinem Sohn regelmäßig Geld schickte, konnte ich nicht viel sparen.“
Die Familie von Maciejs bestem Freund in Düsseldorf war es schließlich, die sie aufnahm. Der Lehrer und seine Frau hatten dem jungen Mann schon öfter geholfen, als er „mitten in den Abiturprüfungen oft nicht wusste, wie ich mir die nächste Mahlzeit beschaffen sollte, weil das Amt kein Geld überwies.“
Joanna Renz war es sehr unangenehm, diese Gastfreundschaft anzunehmen. „Das Paar hatte Maciej oft geholfen, und nun kamen auch noch Mutter und Schwester hinzu. Ich wollte den Leuten nicht zur Last fallen.“ Also überwand sie sich nach drei Tagen und bat ihren Ex-Mann, Taisiyas Vater, um eine vorübergehende Bleibe.
Jeder wird in der Begegnungsstätte gleich behandelt
Über eine Freundin hörte sie vom Weißen Haus in Buer, der Beratungs- und Begegnungsstätte für Obdachlose an der Hochstraße – und konnte kaum fassen, wie passgenau die Hilfe dort war. „In den Wochen ohne eigene Wohnung waren wir jeden Tag dort. Das warme Mittagessen, der Austausch mit anderen in der gleichen Situation, die Beratung: Das alles hat uns sehr geholfen.“ Ihr Sohn nickt: „Dort beurteilt man Menschen nicht nach ihrem Äußeren. Jeder wird gleich behandelt. Das ist selten.“
Am Ende war es der Tipp einer Bekannten, der ihr zu der Wohnung verhalf. „Ich konnte es kaum glauben. Sogar die Küche der Vormieter haben wir geschenkt bekommen. Und das Weiße Haus hat uns eine gebrauchte Waschmaschine vermittelt!“
Pläne für eine Berufsausbildung
Dass die Kinder sich ein Zimmer teilen müssen: Darüber zu klagen, wäre Jammern auf hohem Niveau, meint sie. „Die Räume sind hell und freundlich. Es ist wirklich wunderschön“, schwärmt sie. Mit einem Möbelhaus-Gutschein vom Vermieter konnte sie das Nötigste kaufen, der Rest kommt später. „Mir war der Gutschein lieber als das Angebot, die Wände streichen zu lassen. Das habe ich dann selbst gemacht.“
Taisiya geht jetzt in die Beckeradschule, lernt eifrig und genießt es, einen eigenen Schreibtisch zu haben. „Sobald der Wasserschaden an der Schule behoben und der Schichtunterricht beendet ist, will ich eine Ausbildung als Kinderpflegerin machen. Von Hartz IV will ich nicht leben“, sagt Joanna Renz.
Ob sie über Obdachlose nun anders denkt? „Früher habe mir über sie keine Gedanken gemacht. Nun weiß ich, dass das jedem passieren kann. Hinter jedem Obdachlosen steckt eine Geschichte. Und jeder hat eine neue Chance verdient!“
<<<<Hilfsangebote für Obdachlose
- In Gelsenkirchen muss niemand draußen übernachten. Männer können nachts im sogenannten Männerübernachtungsheim der Stadt an der Caubstraße 28 ( 0209 861 57) schlafen (4,50 Euro pro Nacht inklusive medizinischer Versorgung durch das „Arztmobil“). Auch für Frauen stehen für 4,50 Euro Übernachtungsmöglichkeiten bereit. Bei Bedarf werden individuelle Lösungen durch Stadt ( 0209 169-2150) und Caritasverband (0209 201402) vermittelt.
- Tagsüber können Wohnungslose in der Altstadt das Wilhelm-Sternemann Haus aufsuchen (Husemannstr. 52, 0209 20 14 02), in Buer das Weiße Haus, Hochstraße 80 (0209 349274). Beide Einrichtungen des Caritasverbandes bieten einen günstigen Mittagstisch, eine Kleiderkammer, Sozialberatung, Tagesstruktur sowie weitere Hilfen. Das Horster Regenbogenhaus von Diakoniewerk und katholischen und evangelischen Kirchengemeinden, Auf dem Schollbruch 47c ( 0209 51 33 48), hat ebenfalls einen günstigen Mittagstisch im Angebot, dazu eine Kleiderkammer und weitere Hilfen. Die Tafel gibt an verschiedenen Orten Lebensmittel an Bedürftige aus (Info: 0209 6388106).